"Wie eine Statue" – Münchnerin ist hauptberuflich Aktmodell

Tanja Wilking ist bei der Arbeit häufiger nackt als angezogen: Sie arbeitet als Aktmodell für Künstler. An ihrem Job mag sie die körperliche Herausforderung, völlig regungslos zu posieren.
von  dpa
Sie arbeitet als Aktmodell für Künstler. An ihrem Job mag sie die körperliche Herausforderung, völlig regungslos zu posieren.
Sie arbeitet als Aktmodell für Künstler. An ihrem Job mag sie die körperliche Herausforderung, völlig regungslos zu posieren. © dpa

Tanja Wilking ist bei der Arbeit häufiger nackt als angezogen: Sie arbeitet als Aktmodell für Künstler. An ihrem Job mag sie die körperliche Herausforderung, völlig regungslos zu posieren. Mit Erotik oder einem perfekten Körper hat der Beruf nichts zu tun.

München  – Auf dem Bauch liegend, stehend auf einem Bein oder sitzend mit angezogenem Knie posiert Aktmodell Tanja Wilking regungslos für etwa ein Dutzend angehende Künstler. Im Halbkreis sind die Staffeleien aufgestellt, Wilking posiert nackt auf einem Podest.

Alle fünf bis zwanzig Minuten wechselt sie die Position. Damit die Künstler nicht das Gefühl haben, gemustert zu werden und sie frei ansehen können, schaut Tanja Wilking ihnen beim Zeichnen nicht ins Gesicht. Vor allem Anfänger seien sonst sehr gehemmt.

Etwa 30 Stunden pro Woche steht sie Modell. „Ich bin öfter nackt als angezogen“, sagt die 42-Jährige. Regungslos zu posieren ist körperlich sehr anstrengend – das ist für Tanja Wilking die Herausforderung: „Wenn du Schmerzen hast, geht immer noch ein bisschen mehr. Das Bisschen will ich rauskitzeln“, sagt die Münchnerin.

Um sicher zu gehen, dass sie sich nicht bewegt, merkt sie sich den Abstand von zwei Fixpunkte im Raum. Verändert sich ihr Abstand, muss Wilking ihre Position korrigieren. Das passiert ihr selten, viele Künstler sagen zu ihr: „Du stehst ja wie eine Statue.“ Genau das sei auch ihr Anspruch. Das Modellstehen sei für sie sowohl Sport als auch eine Art Meditation: „Ich bin ein Mensch mit einem sehr großen Ruhebedürfnis, das sich nicht durch Lesen oder Spazierengehen decken lässt.“

Beim Modellstehen mag sie keine Nebengeräusche, das störe die Konzentration. Eigentlich hat sie Jura studiert, bis zum ersten Staatsexamen, dann als Journalisten gearbeitet. Aktmodell wollte sie nie werden. Als sie durch Zufall an der Universität gefragt wurde, wollte sie zunächst ablehnen. Seit sechs Jahren ist Wilking hauptberuflich Aktmodell. Die Bezahlung sei einfach besser, sagt sie. In der Stunde verdient die Freiberuflerin im Schnitt 20 Euro.

Um Erotik oder den perfekten Körper, wie viele annehmen, geht es beim Aktzeichnen nicht: Vielmehr können die Künstler ihre Fähigkeiten bei einer der schwierigsten künstlerischen Disziplinen erproben, sagt der Leiter der Abteilung für bildende Kunst von der Volkshochschule München, Günter Ebert. „Beim Aktzeichnen geht es um Proportionen, Perspektive, Oberfläche und um das Abbilden der Anatomie des menschlichen Körpers.“

Die Vermittlung von Aktmodellen oder die Suche nach Aufträgen läuft nicht über das Arbeitsamt. Bei der Volkshochschule reichen Modelle ihre Bewerbungen direkt ein. Sie werden in eine Liste aufgenommen und für einzelne Kurse gebucht. „Der Aspekt der perfekten Schönheit kommt bei der Auswahl überhaupt nicht zum Tragen“, sagt Ebert. Tanja Wilking ist mit ihrem Körper privat nicht besonders zufrieden. „Ich gehe nicht mal in die Sauna und laufe auch zu Hause nicht nackt herum“, sagt sie.

Beim Modellstehen sehe sie sich selbst aber nicht als Frau, sondern als Vorlage für Kunstwerke. Diese Sichtweise anzunehmen und die Hemmungen zu verlieren, habe lange gedauert. „Am Anfang hatte ich auch Schwierigkeiten, die Zeichnungen und Skulpturen als Kunstwerke anzusehen“, erinnert sie sich. „Ich habe immer nur gesehen: Der Busen ist zu klein oder der Hintern ist zu dick.“

Optisch grenzt sie Privates und Berufliches voneinander ab: Sie würde ihre blonden langen Haare beim Modellstehen nicht offen tragen. „Das ist der Unterschied zwischen privater und Modell-Tanja.“ Gerade in Anfängerkursen wird sie oft gefragt, ob sie sich auf den Zeichnungen wiedererkenne und ob die Bilder ihr gefielen.

Urteilen will sie aber nicht, auch weil negatives Feedback vor allem Anfänger verschrecken könnte. Die Meinung des Modells interessiere aber nicht alle: „Richtige Künstler fragen mich in der Regel nicht, wie ich eine Arbeit finde.“

 

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