Werner Lederer-Piloty: Die träge Verwaltung nervt
Schwabing - Ein Urgestein der Münchner Lokalpolitik geht. Werner Lederer-Piloty (77), seit über 20 Jahren Chef des Bezirks Schwabing-Freimann, räumt ab April das Feld. Die AZ hat mit ihm zum Abschied gesprochen.
AZ: Sie sind sehr glücklich, dass neben den Monaco Franze am Café Münchner Freiheit bald die Helmut-Dietl-Statue kommt?
WERNER LEDERER-PILOTY: Dazu sage ich nur: Ende gut, alles gut. Die Statue war ein wirklicher Wunsch der Schwabinger Bürger. In der Wohnung des Künstlers steht der überlebensgroße Dietl-Kopf schon fertig. Ich habe ihn gesehen und der wird, glaube ich, richtig gut. Helmut Dietl hatte Scharfblick und manchmal einen recht spöttischen Mund. Er war blitzgescheit, hintersinnig und hat die Absurditäten des Lebens humorvoll betrachtet. Dieser Schwabinger hat immer aus dem Vollen geschöpft und verkörpert das München der Lebenskünstler der 80er Jahre.
Die verkehrsumtoste Münchner Freiheit ist Ihr absoluter Lieblingsplatz im Viertel. Wieso eigentlich?
Im Vergleich mit einer italienischen Piazza ist die Münchner Freiheit eigentlich kein Platz. Mit 40.000 Autos täglich ist das kein Platz, aber ein guter Ort, auch für Flaneure. Es gibt etliche Cafés, in denen man angenehm sitzt.
Sie loben: "Dieser Ort ist absolut klassenlos, es gibt nichts Schickes."
Hier hast du die Obdachlosen, es gibt die Schachspieler. Ganz wichtig ist, während die Kinder im umzäunten Kinderspielplatz spielen, können Mütter und Väter lässig etwas trinken und wunderbare Torten essen. Man sieht und wird gesehen. Der Monaco Franze schaut auf die Damen und Mädels: Schau wie's schaun. Es ist ein freier Ort.
Was Lederer-Piloty von den Grünen hält
Als SPD-Mann sind Sie ein Urgestein der Münchner Lokalpolitik. Seit 1998 waren sie Viertel-Chef. Was ist Ihre Einschätzung, aus welchem Grund haben die Grünen die SPD im neuen Stadtrat überholt?
Mich wundert das ein bisschen. Die Grünen sind für mich die Partei, die Wasser predigt, aber Wein trinkt – hauptsächlich orientiert am Klima und an der Autoverteufelung. Doch die meisten Grünen, die ich kenne, machen im Urlaub Fernreisen. Außer zwei grüne Frauen im BA haben alle Grünen in meinem Bekanntenkreis ein Auto.
Sie fahren gerne mit dem Rad durch Schwabing. Für Radschnellwege sollen an der Leopoldstraße 800 Parkplätze entfallen. Sind Sie dafür?
Ich bin gegen den Wegfall der Parkplätze, aber es muss groß gedacht werden. Die Leopoldstraße ist vierspurig, es ist zu überlegen, ob sie zweispurig wird mit einem Radschnellweg. Die meisten Radfahrer sind ja auch Autofahrer. Die Leute sitzen nicht aus Gaudi im Auto. Sie müssen von A nach B. Der Handwerker mit seinem Werkzeug, der Architekt mit der Planrolle oder der Rechtsanwalt mit seinen Akten. Der Mensch hat Graffel dabei. Bei Wind und Wetter ist nicht allen zuzumuten, mit dem Lastenfahrrad zu fahren.
Sie schätzen Ihr Auto ja als zweites Wohnzimmer: Im eigenen Auto ist man ungestört, kann rauchen und seine Musik hören ...
... mein Auto bedeutet für mich Freiheit. Ich fahre einen schönen silbrigen Alfa Romeo Kombi, zwölf Jahre ist er alt.

Wie kamen Sie als junger Mensch zur Politik?
Kurz vor dem Abi habe ich die Schule abgebrochen. Die Mädels waren daran schuld und die Scheidung meiner Eltern. Als Oberschüler hatte ich keine Ahnung von der Härte des Erwerbslebens. In meiner Maurerlehre habe ich plötzlich in eine völlig neue Welt hineingeblickt. Neun Stunden Arbeit pro Tag – damals auch noch am Samstag! Das war eine harte Zeit, die meine sozialdemokratische Einstellung geprägt hat. Ich habe verstanden, warum man nach einem ganzen Tag Verputzen nicht mehr die Power hat, sich abends weiterzubilden. Dafür hatten die Leute auf der Baustelle Herzensbildung: Solidarität, Kameradschaft und Teamarbeit von Elektriker, Maurer und Installateur habe ich erlebt. Handwerker sind großartige Leute. Ich habe Hochachtung vor ihrer Leistung. Wenn ich als Architekt auf Baustellen bin, sprechen wir bei Problemen auf Augenhöhe. Am Bau ist viel Hirnschmalz gefragt.
Lederer-Piloty: Bau- und Planungsreferat gehören zusammen
Bei den Schwabinger Krawallen Anfang der 60er Jahre waren sie mit auf der Straße. Doch bis zum OB Wahlkampf Christian Ude gegen Peter Gauweiler galten Sie als "SPDKarteileiche", scherzen Sie.
Meine Frau kannte Christian Ude, ich nenne ihn den Oberschwabinger, gut aus ihrer Jugendzeit und wollte den Rattenfänger Peter Gauweiler verhindern. Also haben wir 1993 Wahlkampf gemacht. Im Ortsverein der SPD war es zuerst für mich befremdlich, aber dort kamen Leute zusammen vom Zeitungsausträger bis zum Juristen. Das war interessant. In den BA Schwabing-Freimann hat mich eine Genossin gelockt, man bräuchte einen Architekten für den Bauausschuss.
Ab 1998 waren Sie Vorsitzender des drittgrößten Stadtbezirks, mit heute 78.000 Einwohnern, und Betreiber eines eigenen Architekturbüros.
In der Lokalpolitik musste ich schnell lernen, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. Freude haben mir Erfolge gemacht, wie die Umgestaltung des Wedekindplatzes von einem Verhau voller Abfall zu einem richtigen Hotspot, an dem nun im Sommer 100 bis 200 Leute stehen, Flaneure, Künstler, Lebenskünstler, Jugendliche, Ältere. Diese Mischung gibt es noch. Ich kriege Herzklopfen, wenn ich da bin.

Beim Thema Wedekindplatz ärgern Sie sich aber immer noch über Alt-OB Christian Ude, zu dem Ihnen ein angespanntes Verhältnis nachgesagt wird.
Der Weg dahin war zäh. Es hat 25 Jahre gedauert, bis dieses dicke Projekt verwirklicht war. Bei der Eröffnung sagte Ude, ein Traum sei in Erfüllung gegangen. Dabei hatte ich ihn zehn Mal persönlich angesprochen, dieses Geld müsste doch da sein.
Was ärgert Sie in der Lokalpolitik?
Unsere träge Verwaltung. Das sind überwiegend tüchtige Leute, aber die Strukturen sind wie verschlungene Pfade, aus denen oft schwer herauszufinden ist. Bau- und Planungsreferat gehören für mich zusammengelegt. So gibt es zu viele Reibungsverluste.
"München ist fast kleinstädtisch bei den Gebäudehöhen"
Sie lieben den Englischen Garten als "Gesamtkunstwerk". Anders als Ude sind Sie ein dezidierter Gegner der Tram ...
... die Trambahn ist ein raumfressendes und unflexibles Vehikel. An den zehn Querungen der Gleise für Fuß-, Rad- und Reitwege wird es einen Schilderwald geben. Es ist geplant, den überbreiten Gleiskörper mit Radschnellweg nicht zu begrünen, sondern als Asphalt-Betonbahn zu bauen, damit Rettungsfahrzeuge fahren können. Ich finde es besser, die Straße schmaler zu bauen, mit einem Radschnellweg zu ergänzen und die Busse auf Elektro umzustellen.
Als gutes Beispiel für Architektektur und Stadtplanung in München nennen sie die Bayernkaserne, die "europaweit Furore machen wird". Was ragt noch heraus?
Das Münchner Tor ist ausgezeichnet, urban, dicht und autofrei. Sechs überdurchschnittlich gute Architekten haben mit verschiedenen Handschriften ein Dutzend Häuser gebaut. In den Erdgeschossen gibt es Geschäfte und Restaurants, das ist alles städtisch-lebendig. Neu-Riem finde ich dagegen nicht prickelnd. Dort ist es zugig. Die Stadt hat zugelassen, dass im Erdgeschoss überwiegend Wohnungen sind. Die Bauträger wollen im Erdgeschoss oft keine Geschäfte, weil das lästig und kompliziert mit der Vermietung ist. Sie wollen lieber verkaufen. Neu-Riem ist nicht durchmischt. Es gibt nur das Wohngebiet und das Zentrum.
Mögen Sie Hochhäuser?
Ja. Ich habe keine Angst vor Dichte und wir wollen ein Stück weit die urbane Stadt. Ein Grundstück ist nicht vermehrbar. Im Cosima-Park habe ich im achten Stock gewohnt. Das war ein Gefühl von Freiheit, wenn ich aus dem Fenster sah. Man war der Enge entflohen. Ich würde sagen 60 bis 70 Meter hohe Hochhäuser passen gut nach München. Höhere Häuser sind auch sehr ökonomisch. Es ist ein Unterschied, ob ich einen langen Aufzug baue oder die Häuser strecke und viel mehr Treppenhäuser habe.
Was denken Sie, woher kommt die große Höhenangst der Münchner?
Die Angst vor Hochhäusern ist etwas Spießiges, glaube ich. München ist halt behäbig, fast kleinstädtisch bei den Gebäudehöhen. Erdgeschoss plus drei oder plus vier ist eine Gewohnheit. Karl Kraus hat einmal gesagt: Wien bleibt Wien, das ist die fürchterlichste aller Drohungen. Das kann man über München auch sagen.
In Schwabing leben richtige Typen und coole Alt-68er. Pflegen Sie die legendäre Schwabinger Gelassenheit?
In Schwabing gibt es so eine lässige Offenheit und diese Klassenlosigkeit, die Spreizung vom Normalo bis zum Verrückten, das gefällt mir. Höchstmöglich gelassen zu bleiben ist meine Devise.
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