Wegen Umbenennung: Anwohner-Frust in der Hilblestraße

München - Nur ein paar Wochen noch, dann werden Arbeiter kommen und die weiß-blauen Straßenschilder, auf denen "Hilblestraße" steht, mit roter Farbe durchstreichen. Dann benennt die Stadt wegen Hilbles NS-Vergangenheit die knapp 500 Meter Neuhauser Straße um in "Maria-Luiko-Straße". So will es die Stadtratsvollversammlung nach zehn Jahren Debatte kommende Woche formal bestätigen.
Es wird die vierte Straßenumbenennung seit 2014 sein, nach dem Leonhard-Moll-Bogen (in Landaubogen), dem Friedrich-Berber-Weg (in Brunnthaler Weg) und der Paul-Lagarde-Straße (in Ilse-Weber-Straße).
Für die Anwohner gibt's eine Entschädigung
Neu wird allerdings sein, dass die Stadt erstmals die Anwohner finanziell entschädigen will, wegen all der Behördengänge, die ihnen wegen der Adressänderung ins Haus stehen. Und das wird ganz schön teuer. 1.779 private Anwohner zählt das zuständige Kommunalreferat, jeder soll 100 Euro bekommen. Dazu geschätzte 306 Firmen und Soloselbstständige, die jeweils mit 1.500 Euro entschädigt werden sollen.
In einer nichtöffentlichen Vorlage für die Sitzung kalkuliert das Referat die Kosten auf 1,73 Millionen Euro – inklusive 93.000 Euro Personalkosten und rund einer Million, um die Zahlungen überhaupt über ein Computerprogramm abwickeln zu können.
Und Hugendubel, der einen Sitz in der Straße hat, dürfte einen sechsstelligen Betrag verlangen. Die Rede ist von 100.000 bis 200.000 Euro.

Straße wird umbenannt: Wirkliches Verständnis gibt's nicht
In der Hilblestraße selbst ist von Begeisterung nicht viel zu spüren. Ruhig liegt sie da am Mittag, parallel zur lauten Leonrodstraße in Neuhausen. Links und rechts fünfstöckige Wohnhäuser, vereinzelt höher, darunter einige Sozialbauten. Geparkte Autos, ein paar kahle Bäume.
Die Rentnerin Therese Werner (81) kommt auf dem Gehsteig entgegen, um ihre Pfandflaschen zu "Rudi's" Getränkemarkt zu bringen. 30 Jahre wohne sie schon in der Hilblestraße, sagt sie.

Und diese Namensänderung, "völlig überflüssig, nach der langen Zeit". Es habe doch bis jetzt überhaupt gar keiner gewusst in der Nachbarschaft, was der Hilble für einer gewesen sei, "i woaß überhaupt koan, der jetzt ned schimpft über des Theater".
Peter Neitzke (80) von gegenüber, seit 1985 hier, schüttelt auch seinen Kopf. Hilble sei doch ein frommer Mann gewesen, meint er gelesen zu haben, "der ist 1937 gestorben, der hat doch für die Nazis noch nicht amal staubgwischt", glaubt er, ob man sich nicht hätte schlimmere Fälle aussuchen können, zum Straßennamen ändern.

"Schmarrn, a Nazi war's", fällt eine Passantin ein, und sie hätten schon recht bei der Stadt, die Schilder herunterzunehmen. Zwei Studenten finden eine Umbenennung ebenfalls in Ordnung, wobei: Vertieft befasst mit dem Thema - und wer jetzt eigentlich die neue Namensgeberin sei - habe man sich nicht.
Mehr Informationen wären schön
Überhaupt, man fühle sich schlecht informiert als Anwohner, ist häufig zu hören. Anschreiben von der Stadt? Erklärungen? Habe es nicht gegeben. Da werde einfach was beschlossen und als Anwohner habe man das "zu schlucken".
Ist das so? Auf Nachfrage heißt es beim Kommunalreferat, laut Gemeindeordnung sei eine Straßen(um)benennung "eine kommunale Hoheitsaufgabe", eine Anwohnerbefragung sei "nicht vorgeschrieben". Man habe aber die Hauseigentümer angehört. Den Kontakt zu den Mietern gesucht hat eine Künstlerinitiative im Herbst bei einer Flyer- und Straßenaktion. Die Performancekünstlerin Angela Stiegler (34), die ebenfalls in der Hilblestraße wohnt, findet die Auseinandersetzung damit, wen man mit einem Straßennamen ehrt, wichtig und richtig.

Eine Woche Ämter- und Papierkram, um die Adresse zu ändern
Nervig bleibt dennoch, was auf die Anwohner nun zukommt. Bankkauffrau Sarah (33), gerade frisch eingezogen, schildert, dass sie eine geschlagene Woche gebraucht habe, ihre Adresse für all ihre amtlichen Papiere zu ändern und obendrein den Arbeitgeber, Stadtwerke, Handyanbieter, Versicherungen, Banken, Ärzte, Steuerberater, Läden mit Kundenkarte & Co zu informieren. "Und jetzt geht das alles von vorne los."
Langwieriger noch wird das für Firmen wie die des Oldtimer-Restaurators Chris Kubicki (41), der seit sieben Jahren seine Werkstatt in der Hilblestraße 20 betreibt. Nicht nur viel Geld koste ihn die Änderei jetzt, sondern auch massig Zeit.

Namensänderung hat viele Folgen
Die Webseite ändern, die Visitenkarten neu drucken lassen, die Kunden informieren. "Dazu, das weiß ich jetzt schon", sagt er, "wird die neue Adresse eine ganze Weile auf Google nicht funktionieren, die Kunden aus der Schweiz, Österreich oder Düsseldorf finden über das Navi erstmal nicht mehr her, das ist kein Spaß."
Wie viele Schilder (auch Haustür-Hinweisschilder) in der Straße insgesamt neu geschrieben werden müssen, ist übrigens noch nicht gezählt worden. Das werde "bei einer Ortsbesichtigung nach der Umbenennung festgelegt", teilt die Stadt mit.
Die Münchner Straßen-Liste
2015 hat der Stadtrat beschlossen, dass Historiker im Stadtarchiv die rund 6.300 Münchner Straßennamen untersuchen sollen. Heraus kam, dass 327 nach Menschen, Orten oder Ereignissen benannt sind, die einer Erklärung bedürfen. Bei 45 gebe es "erhöhten Diskussionsbedarf" – darunter die Hilblestraße. Der Ältestenrat hat sich schon vor einem Jahr für die Umbenennung ausgesprochen.
Nun könnten weitere hinzukommen: Nachdem nun klar ist, dass im Erzbistum München und Freising über Jahrzehnte Hinweise auf sexuellen Missbrauch vertuscht worden sind, fordert Grünen-Stadträtin Gudrun Lux, über Straßen nachzudenken, die nach Kardinälen aus der Zeit benannt sind – wie Michael Faulhaber, Joseph Wendel und Julius Döpfner. Sie twitterte: "Vertuschern keine Ehre". Bis Ende des Jahres wollen die Experten mit ihrer Listen-Analyse fertig sein.