Verschuldete Altstadt-Bewohner: Wenn das Geld nicht mehr reicht

100.000 Münchner wissen nicht, wie sie ihre Schulden begleichen sollen. Der größte Anteil lebt dort, wo es die teuersten Läden gibt: in der Altstadt.
von  Christina Hertel
Die SPD-Stadträte Anne Hübner (links) und Roland Hefter (Zweiter von links) wollen von Klaus Hofmeister (rechts) und Marc Wichlajew von der Schuldnerberatung wissen, wie viele Menschen überschuldet sind.
Die SPD-Stadträte Anne Hübner (links) und Roland Hefter (Zweiter von links) wollen von Klaus Hofmeister (rechts) und Marc Wichlajew von der Schuldnerberatung wissen, wie viele Menschen überschuldet sind. © SPD

Altstadt - Klaus Hofmeister, der sich selbst einen sparsamen Schwaben nennt, weiß, wie es sich anfühlt, arm zu sein. Sein Vater ist mit 55 Jahren gestorben. Die Familie habe damals Rabattmarken für Lebensmittel bekommen. Zum Einkaufen losgeschickt wurde er - das jüngste von fünf Kindern.

Heute arbeitet Hofmeister als Abteilungsleiter im Sozialreferat. Seine Behörde kümmert sich unter anderem darum, dass Menschen ihre Schulden loswerden.

Hofmeister weiß, dass bei vielen so wie bei ihm damals die Scham groß ist. Und er weiß auch, dass die Zahl der Münchner, die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können, steigen wird. Davon geht auch die SPD-Fraktion im Stadtrat aus. Sie hat sich deshalb von Hofmeister auf den neusten Stand bringen lassen.

Immer mehr Münchner suchen bei einer Schuldnerberatungsstelle Hilfe

Fast 100.000 Münchner sind laut Hofmeister überschuldet. Das heißt: Ihre Einkünfte reichen dauerhaft nicht, ihre Verpflichtungen zu begleichen - also Kredite oder Miete. Das betrifft etwa acht Prozent der Münchner.

Diese Quote ist etwas geringer als in Deutschland insgesamt. Allerdings stellt Hofmeister fest, dass immer mehr Münchner bei einer Schuldnerberatungsstelle Hilfe suchen - vor allem seit Corona. Während 2011 noch etwa 11.400 Menschen die Schuldnerberatung aufsuchten, waren es zuletzt fast 20.000, so Hofmeister.

Besonders häufig suchen Menschen mit minderjährigen Kindern (27,5 Prozent) Rat. Hofmeister beobachtet außerdem, dass der Anteil der Rentner und der Anteil der Studenten mit Schulden zunimmt. Bei jungen Leuten liegt das aus Hofmeisters Sicht vor allem daran, dass Nebenjobs während Corona wegfielen.

Verschuldete Menschen in München: Altstadt besonders betroffen

Während der Pandemie hat sich außerdem die Zahl der Selbstständigen, die eine Schuldnerberatung aufsuchten, verdoppelt. Darunter waren viele Theaterleute, Messebauer, Masseure, die im Lockdown arbeitslos wurden. Aber auch Menschen, die ihre Geschäfte trotz Corona öffnen durften, gerieten in finanzielle Nöte: etwa Bäckereien, die viel weniger verkauften, als die Schüler plötzlich zu Hause blieben.

Die Quote derer, die von Überschuldung betroffen sind, ist in München von Viertel zu Viertel verschieden. Die meisten verschuldeten Menschen leben ausgerechnet dort, wo es auch die teuersten Läden gibt: in der Altstadt. Dort haben 13 Prozent so viele Schulden, dass sie nicht mehr wissen, wie sie diese bezahlen sollen. In Obermenzing hingegen sind nur 4,5 Prozent betroffen. Erklären kann sich Hofmeister diese Unterschiede nicht.

Energiekrise: Ausgaben für "Haushaltsenergie" steigen um bis zu 200 Prozent

Er rechnet damit, dass sich spätestens nächstes Jahr noch mehr Münchner Rat wegen ihrer Schulden suchen müssen. Denn erst dann wird klar sein, wie viel teurer Strom, Gas und Öl wirklich werden. Hofmeister rechnet damit, dass die Ausgaben für "Haushaltsenergie" um bis zu 200 Prozent steigen.

Er appelliert deshalb an die SPD, das neue Personal in der Schuldnerberatung unbefristet anzustellen. SPD-Chefin Anne Hübner sagt dies zu. Außerdem kündigt sie an, mit einer Kampagne das Hilfsangebot der Stadt bekannter zu machen. Unter anderem gibt es einen Wärmefonds der Stadtwerke, der Menschen mit einem niedrigen Einkommen bei ihren Kosten unterstützen soll.

Ungeduldig ist derweil die CSU. Denn eigentlich beschloss der Stadtrat bereits 2019, dass arme Münchner kostenlos energieeffiziente Kühlschränke, Herde und Waschmaschinen bekommen sollen. CSU-Stadträtin Alexandra Gassmann will in einer aktuellen Anfrage wissen, was daraus geworden ist. Die Antwort liefert Hofmeisters Kollegin: Das Sozialreferat ist dabei, die Ausgabe der Geräte vorzubereiten.

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