Vaniessa Rashid will in die große Politik: Von der Straße in den Bundestag
Neuperlach - Sie hat auf der Straße geschlafen und gehungert: Als Kind war Vaniessa Rashid drei Jahre auf der Flucht. Ihr Weg führte sie über die Türkei und Griechenland nach München.
Vaniessas Eltern, kurdische Lehrer aus dem Nordirak, lehrten ihre Tochter Lesen und Schreiben. Aber erst mit acht Jahren, in München, sah "Vana" einen Kindergarten von innen.
Innerhalb von nur fünf Monaten lernte sie dort so gut Deutsch, dass sie auf die Schule wechselte. Bald war sie die beste Schülerin in Sachen korrekter deutscher Rechtschreibung: "Lesen hat mich damals schlau gemacht. Ich habe mich in Cowboygeschichten und Hanni und Nanni verloren", erinnert sich die 26 Jahre alte Politikstudentin.
Rashid wohnt in Neuperlach und liebt ihr Viertel. "Neuperlach ist wirklich schön, sehr grün", sagt sie. Im Ostpark oder hinter dem PEP geht sie oft Gassi mit Pflegehund Luke.
2015 wurde Rashid zur Flüchtlingshelferin
Im BA Ramersdorf-Neuperlach ist sie seit 2014 Integrationsbeauftragte. Aus der Stadtteilpolitik will sie in den Bundestag. Drei Jahre hat Vaniessa Rashid im Büro der Grünen Landtagsabgeordneten Christine Kamm mitgearbeitet. Bei Margarete Bause hat sie nach dem Abitur ein Praktikum gemacht.
"Liebe Grüne, heute kommt ein Zug mit 400 Flüchtlingen in München an. Könnt ihr da was machen?" Vor drei Jahren las Rashid diese Mail eines Grünen-Abgeordneten aus Wien. So wurde die junge Studentin am 31. August 2015 zur Flüchtlingshelferin der ersten Stunde.
"Als die Leute im Hauptbahnhof auf den Bahnsteig geströmt sind, habe ich meine Politikerkarte vorgezeigt und Bäckereien um Brezn und belegte Semmeln gebeten", erzählt sie. Bahnhofs-Kioske gaben Schockriegel und Chips. Zusammen mit der Antifa-Jugend fragte Rashid Passanten um Geld, um Wasserflaschen zu kaufen. "Ich bekomme jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke", sagt sie, "so großartig war die spontane Hilfsbereitschaft in diesem Sommer."
Alltag zwischen Schlägen und Hunger
Im eigenen Zuhause hat sie schlimme Gewalterfahrungen gemacht. Es gab oft Schläge, blaue Flecken. Ihr Vater brach ihr bei einem Streit sogar den Arm: "Das war nicht schön. Ich habe Papa angezeigt. Meine Eltern haben sich dann zum Glück getrennt." Unerschrocken setzt sich die 26-Jährige seitdem für Frauenrechte ein: 2011 auf der Weltfrauenkonferenz in Venezuela und in der kurdischen Frauengruppe Nergiz.
München hat der Kurdin viel gegeben: "Hier kann ich ich sein – und mich entfalten. Das verdanke ich der offenen, bunten Weltsicht der Münchner."
Flüchtlingskind, modern, grün, ehrgeizig, Frau: Sie gehört zu einem neuen Typ Stadtteilpolitiker. Sie ist eine kluge, kämpferische, charmante Münchnerin aus Neuperlach, geprägt von vielen Kulturen, von krassen Armuts- und Flucht-Erfahrungen. "Ich weiß, wie es ist, wenn man zur Tafel gehen muss, weil man kein Geld für Essen hat", sagt Rashid. Und das kennen sicher nicht allzu viele deutsche Politiker.
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