Todeskrater in Trudering: Der Tag, an dem die Erde einbrach

Vor genau 20 Jahren: Bei Bauarbeiten an der U-Bahnstrecke bricht die Erde ein. Drei Menschen sterben, über 30 weitere werden verletzt. Die Bergung dauert Monate
von  Christian Pfaffinger
Die Vorderachse ist gebrochen, die Front ragt in die Höhe.
Die Vorderachse ist gebrochen, die Front ragt in die Höhe. © Mike Schmalz

Trudering - Am Anfang ist es ein kleiner Wassereinbruch. Der wird zum Sturzbach, zu einem Sog in die Tiefe und dann zu einem Strudel aus Kies, Wasser und Asphalt. Aus einem kleinen Riss ist ein tödlicher Krater entstanden. Es ist der 20. September 1994 – der Tag, an dem der Münchner Boden einbrach und einen Bus in die Tiefe stürzen ließ.


Vor genau 20 Jahren passierte das Unglück an einer U-Bahnbaustelle in Trudering. Drei Menschen starben in dem Loch, über 30 weitere wurden teils schwer verletzt.


Ein Dienstagabend gegen halb sieben: In Trudering wird an einer neuen U-Bahnlinie gebaut. Da entdecken Bauarbeiter einen kleinen Wassereinbruch. Die Ursache: „Nicht erkannte und nicht erkundbare Sandrisse in der wasserundurchdringlichen Mergelschicht.“ So steht es später in einem Gutachten.


Die Bauarbeiter wissen das nicht – und sie wissen auch nicht, wie sie das Problem in den Griff kriegen sollen. Der Einbruch wird immer heftiger.

Darüber entsteht ein Hohlraum. Die Bauarbeiter wissen: Wenn der sich weiter nach oben frisst, stürzt die Straße ein. Sie wissen auch: Über der Baustelle ist eine Bushaltestelle. Eine Katastrophe droht. Sie stürmen an die Oberfläche, um die Busfahrer zu warnen.


Derweil an der Oberfläche: Der 35-jährige Busfahrer Herbert G. ist mit seiner Fahrt der Linie 192 pünktlich um 18.42 an der Haltstelle Bahnhof Trudering angekommen. Er will weiterfahren, aber die Ampel zeigt rot. Er wartet.
Da kommen Bauarbeiter auf ihn zugelaufen. „Fahren sie weg!“, rufen sie aufgebracht. Herbert G. sagt verdutzt: „Es ist rot.“ Die Tunnelbauer brüllen weiter: „Fahren Sie! Hier bricht gleich alles ein.“


Einem Busfahrer, der weiter hinten steht, gelingt es noch, den Bus rückwärts aus der Gefahrenzone rollen zu lassen. Doch für den Bus von Herbert G. kommt die Warnung zu spät.


Er kann zwar noch die Türen öffnen, als die Erde nachgibt. Einer Frau gelingt es, hinauszuspringen. Der Busfahrer geht den Gang nach hinten, will schauen, ob jemand Hilfe braucht. Da passiert es: Die Erde bricht auf, der Bus stürzt rückwärts in den Krater, der immer größer wird. Zwei Tunnelarbeiter klammern sich an den Bus, einen dritten, den österreichischen Maurer Hans P. († 29), verschlingt der Strudel aus sandigem Wasser und Kies.


Zwei weitere Menschen sterben: Die Grafikerin Mirra F. († 43) ertrinkt, weil der Bus schnell voll Wasser läuft, der Betriebswirt Kay K. († 27) wird von den Geröllmassen im Krater verschüttet. Über 30 weitere Menschen werden verletzt.
Die Leichen der drei Todesopfer werden erst acht Monate später geborgen. Zuerst musste die Unfallstelle zur Stabilisierung mit Beton zugeschüttet werden.


Die Staatsanwaltschaft ermittelt, es kommt zum Prozess gegen drei Bauingenieure und zwei Poliere. Tragen sie Schuld? Ein Gutachten entlastet die Beschuldigten: Die Sandrisse seien in vergleichbaren Fällen noch nie aufgetreten und vorher nicht bekannt gewesen. Der Prozess wird 1999 eingestellt.


Heute steht an der Stelle, an der sich vor zwanzig Jahren der Truderinger Krater auftat, ein Gedenkstein für die Opfer des Unglücks.

 

<strong>Lesen Sie hier alle Neuigkeiten aus Trudering.</strong>

 

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.