Stadtspaziergänger trauert ein bisserl um Schwabing

Dass Schwabing tot ist, ist ein unwahres Gerücht – ein bisserl trauert der Stadtspaziergänger den alten Zeiten aber nach.
von  Sigi Müller
Zwei konstante Altschwabinger Perlen in der Occamstraße: das "Vereinsheim" und das "Lustspielhaus".
Zwei konstante Altschwabinger Perlen in der Occamstraße: das "Vereinsheim" und das "Lustspielhaus". © Sigi Müller

Altschwabing - "Ist Schwabing tot?", fragte mich kürzlich ein Pärchen bei einem Gespräch in der Stadt. Tot? Nein, dafür ist dort immer noch zu viel los. Die Rede ist von Altschwabing - also dem Geviert zwischen Feilitzsch-, Occamstraße und Umgebung. Ich habe mich daraufhin dort einfach wieder mal umgeschaut.

Die Schachspieler an der Münchner Freiheit haben offensichtlich zwei neue Figuren-Sätze bekommen - nachdem ich im Frühjahr über die alten verrotteten Teile berichtet habe. Und Helmut Fischer hat mit Helmut Dietl einen neuen Tischnachbarn bekommen.

Dauergäste: zwei Legenden im Café Münchner Freiheit.
Dauergäste: zwei Legenden im Café Münchner Freiheit. © Sigi Müller

 Die "Schwabinger 7" ist längst verschwunden

Sicher aber hat sich kein Eck so extrem stark verändert wie das kleine Stück Altschwabing in der Feilitzschstraße: Die alte "Schwabinger 7", kurz "die 7" genannt, ist längst verschwunden.

"Der alte Hut" ist aktuell der "neue Hut"

Einen Bioladen gibt es hier jetzt. Aus der legendären "Juke Box" ist ja schon vor Jahrzehnten ein McDonald's geworden. Tja, und "Der alte Hut" wurde zum "neuen Hut", wieder zum "alten Hut" - und ist jetzt wieder der "neue Hut". Etwas verwirrend? Schwabing halt.

Alter Hut? Neuer Hut? Der Name der Kneipe wechselt öfters.
Alter Hut? Neuer Hut? Der Name der Kneipe wechselt öfters. © Sigi Müller

In der Siegesstraße verschwanden der Musicshop, das Dorado für Münchner Musiker, die "Tomate" und das "Podium", das inzwischen nach Allach umgezogen ist.

Früher gab es 17 Livebühnen

Aber das zieht sich durch den ganzen Stadtteil. 17 Livebühnen gab es hier früher einmal. Fast aus jeder Kneipentür wummerten die Bässe der Bands, und man konnte zwischen fast allen Musikrichtungen wählen. So gut wie alle sind verschwunden.

Erinnerung: Die alte "Schwabinger 7" in der Feilitzschstraße.
Erinnerung: Die alte "Schwabinger 7" in der Feilitzschstraße. © Sigi Müller

Klar, es ist nicht wirklich ruhiger geworden, außer da, wo das alte Schwabinger Leben durch Wohnungen ersetzt wurde. Aber die Musik dudelt jetzt eher beiläufig und unbeachtet im Hintergrund, ausgesucht von der Playlist mit einem unendlichen Fundus an Titeln.

Playlists standen früher mit Gaffertape auf dem Boden

Playlists gab es auch früher schon. In der Regel per Hand geschrieben und mit Gaffertape auf den Bühnenboden geklebt. Der Heilige Gral für den Abend.

Hier war mal das alte "Podium" - es ist ruhig geworden.
Hier war mal das alte "Podium" - es ist ruhig geworden. © Sigi Müller

Mir fehlt diese Musik in der Stadt. Und damit meine ich nicht die Backgroundmusik in den Lokalen oder Helene Fischer mit 130 000 Besuchern in Riem. Nein, was fehlt, ist einfach die Szene. Die Musiker, die man in der Pause auf der Toilette traf und dort Musikwünsche äußern konnte, einfach die Vielfalt, die handgemachte Musik.

Wenn ich einen Schwabingwunsch hätte, würde ich mir wünschen, noch einmal einen Abend im alten "Podium" zu erleben.

2017: das letzte Mal Livemusik im alten "Podium".
2017: das letzte Mal Livemusik im alten "Podium". © Sigi Müller

Mit einem Bier von Wirtin Renate in der Hand, auf der Bühne die Troubleboys mit den Sireens, Sänger Klaus Paulus, der zum Intro von "Cadillac Ranch" (Bruce Springsteen) seine endlose, stets neu erfundene Geschichte über einen Cadillac mit offenem Verdeck, einem Sonnenuntergang und Büchsenbier zum Besten gab - und das tolle Gefühl, als dann endlich der Song zündete.

Wie heißt's so schön: It's only Rock 'n' Roll, but I like it.

In diesem Sinne eine schöne Woche
Ihr Sigi Müller

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