Stadtspaziergänger trauert ein bisserl um Schwabing

Altschwabing - "Ist Schwabing tot?", fragte mich kürzlich ein Pärchen bei einem Gespräch in der Stadt. Tot? Nein, dafür ist dort immer noch zu viel los. Die Rede ist von Altschwabing - also dem Geviert zwischen Feilitzsch-, Occamstraße und Umgebung. Ich habe mich daraufhin dort einfach wieder mal umgeschaut.
Die Schachspieler an der Münchner Freiheit haben offensichtlich zwei neue Figuren-Sätze bekommen - nachdem ich im Frühjahr über die alten verrotteten Teile berichtet habe. Und Helmut Fischer hat mit Helmut Dietl einen neuen Tischnachbarn bekommen.

Die "Schwabinger 7" ist längst verschwunden
Sicher aber hat sich kein Eck so extrem stark verändert wie das kleine Stück Altschwabing in der Feilitzschstraße: Die alte "Schwabinger 7", kurz "die 7" genannt, ist längst verschwunden.
"Der alte Hut" ist aktuell der "neue Hut"
Einen Bioladen gibt es hier jetzt. Aus der legendären "Juke Box" ist ja schon vor Jahrzehnten ein McDonald's geworden. Tja, und "Der alte Hut" wurde zum "neuen Hut", wieder zum "alten Hut" - und ist jetzt wieder der "neue Hut". Etwas verwirrend? Schwabing halt.

In der Siegesstraße verschwanden der Musicshop, das Dorado für Münchner Musiker, die "Tomate" und das "Podium", das inzwischen nach Allach umgezogen ist.
Früher gab es 17 Livebühnen
Aber das zieht sich durch den ganzen Stadtteil. 17 Livebühnen gab es hier früher einmal. Fast aus jeder Kneipentür wummerten die Bässe der Bands, und man konnte zwischen fast allen Musikrichtungen wählen. So gut wie alle sind verschwunden.

Klar, es ist nicht wirklich ruhiger geworden, außer da, wo das alte Schwabinger Leben durch Wohnungen ersetzt wurde. Aber die Musik dudelt jetzt eher beiläufig und unbeachtet im Hintergrund, ausgesucht von der Playlist mit einem unendlichen Fundus an Titeln.
Playlists standen früher mit Gaffertape auf dem Boden
Playlists gab es auch früher schon. In der Regel per Hand geschrieben und mit Gaffertape auf den Bühnenboden geklebt. Der Heilige Gral für den Abend.

Mir fehlt diese Musik in der Stadt. Und damit meine ich nicht die Backgroundmusik in den Lokalen oder Helene Fischer mit 130 000 Besuchern in Riem. Nein, was fehlt, ist einfach die Szene. Die Musiker, die man in der Pause auf der Toilette traf und dort Musikwünsche äußern konnte, einfach die Vielfalt, die handgemachte Musik.
Wenn ich einen Schwabingwunsch hätte, würde ich mir wünschen, noch einmal einen Abend im alten "Podium" zu erleben.

Mit einem Bier von Wirtin Renate in der Hand, auf der Bühne die Troubleboys mit den Sireens, Sänger Klaus Paulus, der zum Intro von "Cadillac Ranch" (Bruce Springsteen) seine endlose, stets neu erfundene Geschichte über einen Cadillac mit offenem Verdeck, einem Sonnenuntergang und Büchsenbier zum Besten gab - und das tolle Gefühl, als dann endlich der Song zündete.
Wie heißt's so schön: It's only Rock 'n' Roll, but I like it.
In diesem Sinne eine schöne Woche
Ihr Sigi Müller