Sperber in der Stadt: Vogelwildes München

Haidhausen - Kennen Sie das? Sie stehen morgens auf, draußen regnet's – und der Hund muss mal. Sie hatten noch nicht einmal einen Kaffee, aber das ist dem treuesten aller Gefährten, zumindest solange er die Futterdosen nicht alleine aufbekommt, egal. Er wedelt und muss raus. So war's vor ein paar Tagen. Allerdings entwickelt sich das dann zu einer tollen Geschichte und eben dieser Kolumne.
Auf dem Rückweg entdeckte ich hinter einem Drahtzaun und einem Gebüsch einen kleinen Sperber – wahrscheinlich einen Terzel (Männchen sind um eine Terz, also um ein Drittel kleiner wie die Weibchen), der eine Amsel geschlagen hatte. Ich ging schnell in meine Wohnung, holte eine Kamera, um das wenigstens zu dokumentieren. Viel Hoffnung diesen scheuen Vogel gut zu fotografieren hatte ich nicht.
Der Sperber versuchte natürlich mit der Amsel wegzufliegen, da er aber nicht viel größer ist als diese - und die Amsel und er waren im Regen schwerer geworden - musste sich der arme Kerl meiner Kamera stellen. Wir saßen so eine lange Zeit im Regen in gebührendem Abstand zusammen. Er mit Amsel, ich in Hausschuhen. Meine Jeans war bald durchweicht, die Knie taten mir weh, aber so ein Glück hat man ja auch nicht oft.
Parkstadt: Bei den Glaspalästen
Als ich genügend gute Aufnahmen hatte, schlich ich mich weg und kam mit einem etwas größeren Teleobjektiv zurück. So gelangen mir diese seltenen Aufnahmen. Irgendwann hat der Sperber anscheinend gemerkt, dass ich kein Stück seiner Beute will. So ergab er sich seinem Schicksal, rupfte Federn und verschlang hungrig seine Mahlzeit. Später, mit vollem Kropf, als nur noch Federn und ein paar Knochen übrig waren, flog er in einen kleinen Apfelbaum – und dann davon. Ein unglaublich tolles und seltenes Erlebnis, diesen wunderschönen Vogel zu beobachten.
Im 19. Jahrhundert wären sich die Amsel und der Sperber sicherlich nicht in München begegnet. Die Amsel war damals noch ein scheuer Waldvogel, und auch der Sperber lebte an Waldrändern und in den Feldern mit Büschen und Hecken. Beide Arten sind aber Kulturfolger und haben längst die Vorteile der Städte entdeckt. Die ruhigen, großen Friedhöfe, Gärten und Parks dienen als Lebensraum. In den Städten ist's im Winter außerdem immer ein paar Grad wärmer als in der Wildnis, und das Futterangebot ist groß. Beeindruckend finde ich immer noch, dass mitten in der Stadt, direkt neben dem Deutschen Museum, Biber leben. Ich habe sie schon fotografiert und sie Ihnen in einer meiner Kolumnen vorgestellt. Gut zu beobachten, wenn man in der Dämmerung leise auf der Fußgängerbrücke steht. Manchmal schwimmen sie mit ihren Jungen in der Isar. Also, ruhig einmal die Augen aufhalten. Es kann sich lohnen.
In diesem Sinne eine schöne Woche,
Ihr Sigi Müller