Spaziergang durch die Maxvorstadt: Wo in München man sich wundern kann

Maxvorstadt - Gentrifizierung – dieses Wort, das viele gerne in den Mund nehmen, wenn sie über den Münchner Wohnungsmarkt sprechen, kommt von "gentry". Das ist die englische Bezeichnung für den niederen Adel. Der zog im 18. Jahrhundert vom Land in die Städte und nahm dort den ärmeren Menschen plötzlich den Wohnraum weg.
Im Prinzip läuft das heute immer noch so ab: Aus BWL-Studenten werden reiche Manager, denen der Aperol-Spritz für 8,50 Euro besser schmeckt als das Helle. Und so werden aus Boazn Bars, aus angeranzten WGs chice Appartements. Wer sich das nicht leisten kann, muss woanders hinziehen. Was Gentrifizierung konkret bedeutet, kann man in der Maxvorstadt beobachten.
Wenig Grün in München: Wo sich in der Maxvorstadt dennoch schattige Plätzchen finden lassen
In der Türkenstraße zum Beispiel haben Immobilienkonzerne in gleich mehreren Häusern zuerst versucht, die Mieter loszuwerden, es folgte der Abriss, dann entstanden Wohnungen, die sich nur Menschen mit Manager-Gehältern (oder Manager-Eltern) leisten können. Soziologen könnten darüber wohl viele Studien schreiben.
Auch für Klimaforscher gibt die Maxvorstadt einiges her: Denn dort beträgt der Grün-Anteil bloß neun Prozent. Der Rest ist Stein, Beton, Asphalt. In der Maxvorstadt wird es also im Sommer besonders heiß und in Zukunft noch heißer.
Das klingt alles wenig erbaulich? Ein Spaziergang soll doch Spaß machen, denken Sie nun vielleicht. Keine Sorge – natürlich gibt es in der Maxvorstadt schöne Ecken. Wir führen Sie dorthin, wo man Schatten findet, wo man sich inspirieren lassen kann und wo man nicht viel Geld ausgegeben muss und trotzdem ein richtig gutes Schnitzel bekommt.

Station 1: Im Garten der Akademie
Beim Spazieren macht es besonders viel Spaß, wenn man abseits der bekannten Wege geht. Deshalb bleiben wir nicht vor der berühmten Kunstakademie stehen. Wir wagen uns hinein, gehen durch den Neubau in den Garten.
Hier stehen große, alte Bäume, es gibt einen Bachlauf, alles ist grün, ruhig, mehr ein Park als ein Garten. Mitten in dieser Idylle steht ein großes Haus, ultramodern, ohne Schnörkel und Schnickschnack. Darin gab es früher Ausstellungen, jetzt wohnen dort Künstler. Dazu passt, dass an diesem Nachmittag quer im Garten eine Wäscheleine gespannt ist.
Station 2: Picknick zwischen Gräbern
Von der einen Idylle gehen wir zur nächsten – und zwar zum Alten Nördlichen Friedhof. Begräbnisse finden hier schon seit 1939 keine mehr statt, dafür sieht man Jogger und tobende Kinder zwischen den alten Gräbern. Eingeweiht wurde der Friedhof 1868, in Auftrag gegeben, weil der Alte Südfriedhof zu klein geworden war.
Allerdings wurde er nur 71 Jahre benutzt, denn die Nationalsozialisten planten in dem Viertel eine Prachtstraße. Im Krieg wurde der Friedhof beschädigt. Zum Beispiel wurde die Hälfte der Arkaden nicht wieder aufgebaut. Dort, wo einst die Aussegnungshalle stand, ist heute ein vom Friedhof abgetrennter Spielplatz.
Station 3: Schnitzel und Bier
In der Maxvorstadt kann man bei all den Kneipen und Bars leicht den Überblick verlieren – vor allem, weil viele, die in dem einen Sommer aufmachten, im nächsten womöglich schon wieder verschwunden sind. Wir spazieren deshalb zu einer Institution, einer Kneipe, die es schon seit 50 Jahren gibt: den Alten Ofen an der Zieblandstraße 41.

Der Name kommt von dem Jugendstil-Ofen, der in der Kneipe steht. Nicht das einzige Stück, das an ein gemütliches Wohnzimmer erinnert. Da stehen auch Samtsofas mit geschwungenen Holzbeinen und an der Wand hängt ein altes Öl-Gemälde mit einer nackten Dame. Hier ist nichts Schicki-Micki und hier sitzen auch nicht nur Studenten, sondern alle möglichen Leute.
Auch die Preise sind auf dem Boden geblieben. Auf der Karte findet man leicht Gerichte unter 15 Euro. Da steht auch eine lange Liste an Schnitzelvariationen. Münchner Art, klar. Aber auch mit Curry und anderen Panaden. Und auch die Fleischpflanzerl gibt es noch - so wie damals, als der Alte Ofen eröffnete.
Station 4: Kunst im alten Gesundheitshaus
Fünf Jahre stand das Gesundheitshaus an der Dachauer Straße leer. Seit Sommer 2022 kann man sich dort das "Kunstlabor 2" anschauen. Über zwei Etagen, auf über 10.000 Quadratmetern, haben lokale und internationale Künstler die Räume gestaltet, manche so bunt, dass man kaum weiß, wohin man schauen soll. Im Erdgeschoss kann man sich erholen, in der Amari Bar – zum Beispiel bei einem Aperol Spritz (8,50 Euro).

Station 5: Eine Straße voller ungewöhnlicher Werkstätten
Betritt man die Kreittmayrstraße, könnte man meinen, man ist in Hamburg gelandet: Gleich am Eck ist ein Kiosk, der "Habe die Ehre! Digga" heißt. Und ein paar Häuser weiter gegenüber ist ein Kaffeeladen, wo die Kellner Muster in den Milchschaum malen können. Doch wie besonders diese Straße wirklich ist, sieht man erst, wenn man noch weiter geht.
Da ist eine Werkstatt für Geigenbau, eine Werkstatt für Bogen (nicht zum Schießen, sondern für Instrumente), da ist ein Gitarrenbaumeister, eine Polsterei – und: Susanne Thiemanns Werkstatt für Korb- und Stuhlgeflechte. Da müssen wir doch mal fragen: Wie kommt's, dass sich hier so viele ungewöhnliche Handwerker versammelt haben?

Zufall, glaubt Thiemann. Als sie 1987 die Werkstatt eröffnete, habe es noch mehr Handwerker gegeben: einen Vergolder und einen Porzellanformenbauer zum Beispiel. Ihr gehe die Kundschaft aber nicht aus: Privatleute, Antiquitätengeschäfte und Restauratoren würden ihr oft Stühle zur Reparatur bringen.
Station 6: Die Legende vom Schlüssel im Fischbauch
Schon in der Kreittmayrstraße sieht man ganz am Ende die zwei Türme der katholischen Kirche St. Benno. Sie ist fast 130 Jahre alt, wurde im Zweiten Weltkrieg teils zerstört und originalgetreu wieder aufgebaut. Vor der Kirche steht eine ungewöhnliche Alu-Skulptur: Ein Fisch, aus dessen Kopf ein Schlüssel ragt.

Was es damit auf sich hat? Der Legende nach warf Bischof Benno vor Hunderten Jahren, als die weltlichen und die geistlichen Mächte um die Vorherrschaft kämpften, den Schlüssel des Meißner Doms in die Elbe, um das Gotteshaus vor Zerstörung zu schützen. Nach seiner Rückkehr soll er den Schlüssel im Bauch eines Fisches gefunden haben.
Der Hl. Benno ist übrigens – obwohl er Sachse ist und nie in Bayern gelebt hat – Schutzpatron Münchens. Seine Gebeine ruhen im Dom. Benno soll sich um die Armen gekümmert und Wasser in Wein verwandelt haben. Die Wittelsbacher holten seine Reliquien 1576 nach München. Um die St.-Benno-Kirche zu spazieren, lohnt sich jedenfalls. Vielleicht entdecken Sie dabei auch das Schild, das Sie hinab in die Krypta führt.