So wählt die Münchner Wirtschaft

Wie ist die Stimmung vor der Wahl an den Stammtischen? Die AZ hat ein Wirtshaus in Sendling besucht – dort ist die Tendenz klar
Sendling - Josef Schmid kann froh sein, dass der Sendlinger Augustiner an diesem Abend kein Wahllokal ist. Seine Ausbeute an Stimmen wäre kläglich, oder im Kartler-Jargon ausgedrückt: Schneider-schwarz. Ohne Stich. Und er selbst wäre gar nicht einmal schuld daran.
Am Sonntag kämpfen Josef Schmid (CSU) und Dieter Reiter (SPD) um den Chefsessel im Rathaus. Die AZ war zu Besuch im Sendlinger Augustiner, um vor der Stichwahl um den Posten des Oberbürgermeisters die Stimmung in der Wirtschaft zu erspüren. Also in der Schank-Wirtschaft. Denn dort wird nicht nur Hoibe-Stemmen betrieben, sondern auch politisiert.
Und dabei den Kandidaten gescheit eingeschenkt: „Der Schmid? Mei. Der hat letztens einen Bayern-Schal drangehabt und kurz drauf einen von den Sechzgern“, sagt Tim Glassner. „Seither is der durch bei mir.“ Bierernstes Gschau. War das nicht Dieter Reiter? Egal. Den Witz auskosten. Ein Zwinkern.
Die Runde am Tisch lacht und steigt ein: „Der Schmid hat ja noch nix gerissen, außer mit der Seifenkiste umzuschmeißen“, derbleckt Herbert Klingenstein den CSU-Kandidaten. „Und sogar da hat wahrscheinlich sein Bub das Lenkradl rumgerissen.“ Wieder lacht die Runde.
Einen Schluck später werden die Gemeinheiten freilich wieder eingefangen. An Josef Schmid persönlich liege es ja gar nicht unbedingt, dass man bei der Stichwahl die SPD wähle. „An Dieter Reiter aber auch nicht“, sagen gleich mehrere. Das Gelächter ist groß.
Tim Glassner, 32, erklärt es so: „Die Person ist gar nicht mal das Entscheidende. Mir liegen die Ideale der SPD mehr. Und wenn München jetzt auch noch schwarz wäre, wo kämen wir da hin?“ Die anderen pflichten ihm bei. „Dieter Reiter muss auch erst mal zeigen, dass er was kann“, sagt Karl Haus, ein Wahlmünchner mit fränkischen Wurzeln und aufgezwirbeltem Bart. „Aber die CSU auch noch in München – na.“
Mit dieser Meinung könnten die drei Männer den Tisch wechseln, ohne Widerspruch fürchten zu müssen. Alle hier finden es wichtig, zur Wahl zu gehen. Sonst dürfe man hernach auch nicht mosern, wenn einem was nicht passt. Und egal wo man an diesem Abend im Sendlinger Augustiner fragt, hört man: „Ich hab’ eigentlich die Sabine Nallinger gewählt. In der Stichwahl wähl’ ich halt jetzt Dieter Reiter.“
Das Wirtshaus ist an diesem Abend rot-grün. Lokallinie sei das freilich nicht, versichert Schankkellner Marcel Daems. Weil es so eine nicht gebe. Das Publikum sei gut gemischt.
Aber: Sabine Nallinger ist eben Sendlingerin. Und das Viertel eines der sicheren roten Fleckerl auf Münchens politischer Karte.
„Die SPD muss stark bleiben“, sagt Kit Kumbulis. Die 77-Jährige wohnt ums Eck und ist auf ein Glas Wein im Augustiner. „Josef Schmid ist mir auch sympathisch, aber ich gehe nach der Partei.“
Am Tresen fast die gleichen Worte: „Die CSU kommt mir nicht ins Haus“, sagt die 27-jährige Kristina Wölfel. Auch sie wähle an sich grün, sei jetzt aber nach dem Ausschlussverfahren bei Dieter Reiter gelandet.
Josef Schmid hat es hier an den Wirtshaustischen schwer. Schuld daran sind ausgerechnet die Stammtischparolen seiner Partei auf Landesebene. Obwohl Schmid sich von allzu kernig-konservativen Sprüchen aus der Landespartei zumindest zaghaft abgrenzt, kostet der Ruf der CSU ihn Stimmen.
Persönlich kommt Dieter Reiter an diesem Abend im Wirtshaus aber nicht viel besser weg – eher zeigt sich bei ihm ein SPD-Bonus. „Er ist mir als Person noch gar nicht so aufgefallen“, sagt etwa Robert Eisele. Er entscheide bei der Stichwahl klar nach Partei – und wähle Reiter. Aber: „Für mich sind beide Kandidaten nur zweite Wahl, ich wollte eigentlich Sabine Nallinger.“
In anderen Lokalen mag die Stimmung anders sein. Sicher ist: Um in der Wirtschaft zu punkten, muss der künftige OB sich mehr Profil zulegen.