Sea Life München: Der Mann, der Haie vermisst
München - In der Münchner Wasserwelt Sea Life im Olympiapark war am Mittwoch wieder Zeit für den alljährlichen "Kassensturz": die sogenannte Fischinventur. Da mussten auch die Haie vermessen werden. Canberk Üstündag (59) misst seit zwölf Jahren alle Haie im Münchner Sea Life. Mit der AZ sprach er über das Verhalten der Tiere.
AZ: Herr Üstündag, seit wann tauchen Sie?
CANBERK ÜSTÜNDAG: Fast 42 Jahre mittlerweile. Und seit 20 Jahren bin ich auch Tauchlehrer.
Wie kommt man dazu, bei Sealife Haie zu betreuen und zu vermessen?
Es wurde jemand gebraucht, der die Fenster in den Aquarien putzt. Und als ausgebildeter Taucher wollte ich das unbedingt machen, nebenbei, zu meinem Job als Wirtschaftsinformatiker. So begann alles.
Tauchen mit Haien: "Totale Routine"
Das heißt, Sie wussten gar nicht, dass Sie zu den Haien tauchen würden?
Doch. Aber der erste Tauchgang war schon aufregend. Ich kannte den Horror-Film "Der Weiße Hai" und dachte zu Unrecht: Das sind gefährliche Tiere.
Wie fühlt es sich heute an?
Null Aufregung. Totale Routine.
Wie misst man Haie?
Mit Augenmaß und Maßstab. Ich nehme das Tier, halte es an die Wand, merke mir Anfang- und Endpunkt und messe das dann aus. Manche drücke ich sanft auf den Boden. Dann nehme ich ein Maßband.
Freundschaft zwischen Hai und Mensch
Wie sind denn Haie grundsätzlich so?
Extrem neugierig und übrigens: nicht aggressiv.
Haben Sie einen Bezug zu den Tieren?
Ein Beispiel: Vor drei Jahren starb die Haidame Bonnie. Die kannte ich sehr lange. Sobald ich meinen Fuß im Becken hatte, kam sie, legte sich auf meinen Schoß und wollte gestreichelt werden. Das war eine Freundschaft.
Haie wollen also gestreichelt werden?
In freier Wildbahn sicher nicht. Aber die bei uns schon. Das sollte man aber nicht zu oft tun.
Warum nicht?
Weil ich dann sehr schnell neue Handschuhe brauche. Der Rücken der Tiere ist wie Schleifpapier. Der Bauch auch.
Als Osterhase verkleidet ins Haifisch-Becken
Würden Sie auch mit wilden Haien tauchen?
In jedem Meer der Welt. Haie sind scheu. Die sieht man nicht so schnell. Man müsste sie erst einmal locken, mit Fisch oder Fischblut. Ganz vorsichtig.
Haben Sie für die Tiere bei Sea-life immer Futter dabei?
Meistens. Wenn ich mal eben die Fenster des Aquariums putze, dann nicht. Dann gibt’s eine Streicheleinheit. Wenn ich aber als Nikolaus oder Osterhase zu ihnen tauche, dann wissen die, dass ich auf jeden Fall etwas dabei habe.
Als was? Sie scherzen doch.
Nein. Einmal im Jahr als Osterhase, einmal als Nikolaus.
Wann könnten Haie gefährlich werden?
Wenn Sie das Tier mit Futter anlocken und dann nichts geben. Dann könnten sie sauer werden. Ist ja bei Menschen auch so. Wenn Sie jemandem den Schweinebraten unter die Nase halten und dann nichts davon abgeben, machen Sie sich ja auch keine Freunde.
"Haie sind wie Hunde."
Würde das Tier dann beißen?
Wenn, dann der Weiße Hai. Der beißt ab und zu in ein Surfbrett. Aber nur, weil er denkt, das ist eine Robbe. Seine Leibspeise.
Sind Haie schlau?
Intelligent, wenn auch nicht hochintelligent. Sie verhalten sich erwartbar. Attacken sind weltweit extrem selten. Aber die Medien machen dann wieder eine Horrormeldung draus.
Wie verhält man sich, wenn das Tier einen tatsächlich angreifen sollte?
Haie sind wie Hunde. Wenn Sie weglaufen oder wegschwimmen, denken die Tiere: Ui, das ist Beute, da jage ich hinterher. Sie müssen auf den Hai draufgehen. Dann überraschen Sie ihn. Und er verschwindet normalerweise.
Mit wie vielen Haien haben Sie im Sealife München zu tun?
Im "Ocean Tank" haben wir 14. Verschiedene Größen.
Gibt es Rituale?
Klar, ich beginne immer noch mit dem Fensterputzen. Das strahlt Ruhe aus. Sie dürfen nur nicht unruhig werden. Das merken die Tiere und halten Distanz.
Die Münchner Haie erkennen jeden Taucher
Gab es schon einmal gefährliche Situationen?
Nein, bisher nie.
Wenn Sie im Becken tauchen, können Sie die Tiere an der Flosse packen, festhalten, zurückziehen und hinunterdrücken, um sie zu vermessen: wie zahme Haustiere.
Moment, das darf nicht jeder! Wenn das ein Fremder machen sollte, verschwinden sie und kommen nicht mehr.
Das heißt, die Haie können jeden Taucher erkennen, obwohl sie eine Maske und einen Neoprenanzug tragen?
Richtig. Die wissen ganz genau, wer da im Becken ist.
Wie schaffen die Tiere das?
Durch einen Sinn, den wir Menschen nicht haben.
Durch Zufall zum Haitauchen
Nämlich?
An der Schnauze haben sie so genannte Lorenzinische Ampullen. Damit können die einen scannen. Sie registrieren elektromagnetische Felder. Deswegen wissen sie auch genau, in welcher Stimmungslage jemand ist.
Spielen die Haie mit Ihnen?
Manchmal. Wenn ich mich auf das Podest stelle und die Luftblasen ablasse, kommt Pünktchen und tanzt gerne um die Bläschen.
Welche Haie sind das im Becken genau?
Zwei Zebrahaie, zwei Weißspitzen-Riffhaie, zwei graue Riffhaie, vier Schwarzspitzen-Riffhaie, ein Teppichhai, Benjamin, der Ammenhai. Und Popper und Bambi, das sind Bambushaie. Der größte ist 2,30 Meter lang, das ist ein Zebrahai.
Sie sind per Zufall dazu gekommen, mit den Haien zu tauchen. Wie ist das für Sie?
Ich möchte diese Freundschaft nicht vermissen. Ich lerne bei jedem Tauchgang dazu. Einmal in der Woche muss ich unbedingt mit den Tieren sein. Sonst bin ich unausgeglichen. Dann sagt meine Frau immer: Geh’ doch mit den Haien tauchen!
- Themen:
- Olympiapark