Schwarz-gelb in Schwabing: Feiern im Feindesland

Es ist ein bisschen so wie bei Asterix: Kurz vor dem Champions-League-Finale ist ganz München rot. Ganz München? Nein! Die Clemensburg, eine kleine Kneipe mitten in Schwabing, stellt sich gegen den Bayern-Hype. 
von  Britta Schultejans, dpa
... stellvertretender Chefredakteur der „Abendzeitung“ und Stammgast in der Clemensburg. Dort fühlt er sich wie in Dortmund - auch, was die Currywurst betrifft.
... stellvertretender Chefredakteur der „Abendzeitung“ und Stammgast in der Clemensburg. Dort fühlt er sich wie in Dortmund - auch, was die Currywurst betrifft. © Sigi Müller/ Augenblick

Es ist ein bisschen so wie bei Asterix: Kurz vor dem Champions-League-Finale ist ganz München rot. Ganz München? Nein! Die Clemensburg, eine kleine Kneipe mitten in Schwabing, stellt sich gegen den Bayern-Hype. Die Clemensburg ist schwarz-gelb.

München - Eigentlich, so sagt Sonja Pintaric, hat Fußball sie nie wahnsinnig interessiert. Als aber Borussia Dortmund in buchstäblich letzter Minute im Viertelfinale der Champions League gegen Málaga gewann und um sie herum der kollektive Freudentaumel losbrach, als sich die BVB-Fans im Himmel wähnten, da hatte sie Tränen in den Augen. „Wir haben geschrien vor lauter Freude“, sagt sie. Und: „Ich bin Dortmunder geworden.“

Die 42-Jährige ist die Inhaberin der Clemensburg, einer Fußball-Kneipe, die an Bundesliga-Wochenenden und bei Champions-League-Spielen zum Wohnzimmer eines BVB-Fanclubs wird. Doch ihre Kneipe, die sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Barbara Jakisch führt, befindet sich nicht etwa am Borsigplatz in Dortmund, sondern in München. Mitten in Schwabing.

„Da gab es schon Leute, die angepisst waren. Da hieß es schon das ein oder andere Mal: "Schwabing ist rot"“, sagt Pintaric. Vor allem, als die Dortmunder den Bayern zweimal nacheinander die Meisterschale wegschnappten, habe es den ein oder andern unentspannten Bayern-Fan gegeben. Seit Bayern wieder an der Tabellenspitze steht, habe sich das aber gelegt.

Im Jahr 2010 haben Pintaric und Jakisch das Lokal übernommen, das an normalen Wochentagen eine sehr nette, in München selten gewordene, unaufgeregte Kneipe ist und lustigerweise früher mal eine Schalke-Kneipe war. Kurze Zeit später kamen die Dortmunder, die „Münchner Borussen“, um genau zu sein, ein Fanclub mit immer mehr Zulauf, der auf der Suche nach einem Stammlokal war. „Woher kommt ihr denn alle“, habe sie anfangs noch gefragt. „Ich hätte nie gedacht, dass es in München so viele Dortmund-Fans gibt.“

Heute habe sich so etwas wie eine Freundschaft zwischen den Kneipen-Chefinnen und Fußball-Fans entwickelt. „Es ist der Wahnsinn, wie pflegeleicht die sind“, sagt Pintaric, muss aber einräumen: „Manchmal sind sie schwer zu bändigen.“ Auf ihrer Homepage schreiben die Betreiberinnen: „Aus Rücksicht auf die Nachbarn bitten wir Euch auf Fangesänge und lautes Verhalten sowohl vor als auch im Lokal zu verzichten.“ Schließlich befindet sich die Kneipe nicht irgendwo, sondern mitten in einem Wohngebiet, einem Münchner Wohngebiet.

Einer, der im Freudentaumel „lautes Verhalten“ einfach nicht unterlassen konnte, ist der 44-jährige Georg Thanscheidt, stellvertretender Chefredakteur der „Abendzeitung“ und Stammgast in der Clemensburg. Beim Viertelfinal-Krimi gegen Málaga habe er es vor der Leinwand einfach nicht mehr ausgehalten – den knappen Sieg erlebte er von draußen an der Fensterscheibe klebend. „Ich habe erst einen Löwen-Fan und dann einen Bayern-Fan umarmt und dann ganz viel Bier auf der Straße verteilt.“ Die Clemensburg habe gebebt wie das Westfalenstadion.

Thanscheidt ist „glühender Dortmund-Fan“ und sagt: „Glaubensangelegenheiten entwickeln sich in der Diaspora deutlich radikaler. Ich bin Dortmund-Fan, Dortmund-Mitglied und Dortmund-Aktionär und – viel mehr Dortmund geht nicht.“

Thanscheidt kommt aus Castrop Rauxel, nur zehn Bahn-Minuten vom Dortmunder Westfalenstadion entfernt. Seit 1998 lebt er in München. „Die Entfernung von Dortmund nach München ist mental gesehen schon die größtmögliche“, sagt er – und das gilt wohl auch in punkto Fußball-Fankultur. „Ich war das erste Mal im Olympiastadion – und war erschüttert, dass da überhaupt nichts los war. Das war ein Opernpublikum. In der Allianz-Arena ist das aber schon deutlich besser geworden.“

Trotzdem: „Der Bayern-Fan erwartet, etwas geboten zu bekommen - das kennen wir nicht.“ Das habe sicher auch etwas mit dem Image des BVB als Arbeiterverein zu tun. „Der Hauptunterschied: Wir sitzen im Stadion halt nicht. Wir stehen.“ Und: „Das gehört sich einfach nicht, die eigene Mannschaft auszupfeifen.“

Wenn er nicht im Stadion ist oder seine Mannschaft nach Spanien begleitet, dann schaut Thanscheidt die Spiele in der Clemensburg. „Es fühlt sich an wie in Dortmund“, sagt er und schwärmt von der Currywurst, die es eigentlich „hier in München nicht in rauen Mengen und in Ruhrgebiets-Qualität gibt“.

Das Jahrhundertspiel, das Champions-League-Finale gegen den FC Bayern, wird er trotzdem nicht in seiner Stammkneipe schauen. Thanscheidt gehört zu den Glücklichen, die Karten für das Finale im Londoner Wembley-Stadion ergattert haben. Am Samstagvormittag geht es hin, nachts wieder zurück. „Vor dem Rückflug habe ich schon ein bisschen Bammel“, sagt er. Weil er am Sonntag arbeiten muss, fliegt er natürlich von London direkt nach München. „Schauen wir mal, wie es wird, wenn ich da um drei Uhr morgens mit meinem Dortmund-Trikot in den Flieger steige. Ich hab nichts anderes zum Anziehen dabei,“ 

 

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