Schwabing: Wird die Erich-Kästner-Straße umbenannt?

Schwabing - Michael Aschenbrenner wundert sich. Der Inhaber der Schwabinger Reiseboutique hat seine Räume an der Erich-Kästner-Straße 2. Erich Kästner? "Der war ja noch einer der Guten!"
Und auch in einer nahe gelegenen Apotheke heißt es verblüfft: "Das war doch ein ganz guter Autor." Und doch ist der Name des berühmten Schriftstellers unter denen, die zu hören waren, seit in München das Expertengremium "Historisch belastete Straßennamen" über die mögliche Umbenennung von Straßennamen berät.
Erich Kästner und Franz Josef Strauß sind ins Visier geraten
Ausgerechnet Kästner, das dürfte viele überraschen, dessen Bücher von den Nationalsozialisten verbrannt wurden und der 1974 in München starb. Offenbar geht es darum, dass Kästner nicht gleich ins Exil ging, noch im Nationalsozialismus Bücher schrieb. Auch Franz Josef Strauß, so war zu hören, war ins Visier geraten, was ebenfalls für Verwunderung sorgte - um es vorsichtig auszudrücken.
So geht die Stadt mit Kritik um
Wie geht die Stadt mit starker öffentlicher Kritik an solchen Überlegungen um? "Das Expertengremium ist sich der Bedeutung der Diskussionen über einzelne Namensgeber von Straßen bewusst. Sachliche und fundierte Kritik wird als hilfreich empfunden und fließt in die jeweiligen Prüfungen mit ein", gibt ein Stadtsprecher an.
"Eine stärkere Beteiligung der Öffentlichkeit wird bereits jetzt durch Gespräche mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und die Einbindung der Bezirksausschüsse realisiert." Das Gremium setzt sich derzeit aus Vertretern der Stadtratsfraktionen und Mitarbeitern von Fachdienststellen der Landeshauptstadt München wie dem Stadtarchiv zusammen.
Straßennamen stehen nicht für die Ewigkeit fest
Dass Straßennamen nicht für die Ewigkeit feststehen, ist keine neue Erkenntnis. "Zu größeren Flurbereinigungen, sprich zur Umbenennung von Straßen, ist es im 20. Jahrhundert meist nach den großen Zäsuren gekommen", erläutert André Postert, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität (TU) Dresden. "Nach dem Ersten Weltkrieg, dann nach der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten 1933, wiederum nach deren Sturz 1945 oder nach dem Ende der DDR 1989."
Gründliche Revision nach der NS-Diktatur
Vor fast genau 75 Jahren, im September 1946, war es auch in München soweit: Die Straßennamen wurden nach dem Ende der NS-Diktatur einer gründlichen Revision unterzogen.
Manche Nazi-Namen, wie etwa der Ritter-von-Epp-Platz, benannt nach dem von 1933 bis 1945 amtierenden NS-Reichsstatthalter von Bayern, hatten sich aber ohnehin nicht durchgesetzt - der Name Promenadeplatz blieb immer präsent.
Ebenfalls umbenannt wurde die Danziger Freiheit, ab 1946 Münchner Freiheit, in Würdigung der sogenannten Freiheitsaktion Bayern, die noch Ende April 1945 einen Aufstand unternahm.
Wie geht man mit Ludwig Thoma um?
Die derzeitige Debatte dreht sich ebenfalls oft noch um Personen, die mit dem Nationalsozialismus in Verbindung stehen, oder auch mit Antisemitismus, wie der Schriftsteller Ludwig Thoma (1867-1921), der seine Straße in Pasing allerdings behalten soll.
Thoma ist der Autor der urbayerischen "Lausbubengeschichten", er hat die Obrigkeit angeprangert in der kaiserzeitlichen Satirezeitschrift "Simplicissimus", aber er hat auch übelste antisemitische Hetzartikel verfasst. Wie damit umgehen?
"Das Vergeben von Schul- und Straßennamen ist ein politischer Akt"
"Das Vergeben von Schul- und Straßennamen ist ein politischer Akt. Als Wissenschaftler kann man diesbezüglich nur eine persönliche Meinung äußern: Ein Namensgeber oder eine Namensgeberin einer Straße sollte immer aufgrund der Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit zur Benennung herangezogen werden", findet Waldemar Fromm, Professor am Institut für deutsche Philologie der LMU und Leiter der Arbeitsstelle für Literatur in Bayern.
In vielen Städten gibt es hierfür Kommissionen
"Deswegen würde ich Straßen oder Schulen nach Frauen und Männern aus Bayern benennen, deren gesamtes Leben als Vorbild dienen kann. Bei Thoma ist dies nicht der Fall", sagt Fromm. In ganz Deutschland sorgen Umbenennungen von Straßen immer wieder für Aufregung. In vielen Städten werden oder wurden Kommissionen gebildet, und nicht immer waren Experten und Anwohner einig.
Von den Erfahrungen anderer Kommunen will München profitieren: "Das Stadtarchiv steht in engem Kontakt mit anderen Städten, in denen der Umgang mit historisch belasteten Straßennamen diskutiert wird", heißt es seitens der Stadt.
Erstmals seien schon Ende 2017 Erfahrungen ausgetauscht worden, mit Referenten aus Wien, Hamburg, Berlin, Freiburg, Kiel, Salzburg und anderen Orten. "Die Erfahrungen anderer Städte werden in München als wertvolle Orientierungshilfe für die eigene Meinungsbildung erachtet."
Sind Benennungen nach Personen zeitgemäß?
Bei allen Diskussionen: "Umbenennungen sind grundsätzlich sinnvoll. Sonst würden wir uns noch immer durch Adolf-Hitler-Straßen bewegen", gibt Postert von der TU Dresden zu bedenken. Dennoch müsse man sich fragen, ob Benennungen nach Personen zeitgemäß seien.
Eines solle man sich dabei klarmachen: "Personen der Geschichte werden späteren Generationen unweigerlich fremd. Und diese Fremdheit wächst mit dem zeitlichen Abstand. Die Menschen vor 50, 100, 200 oder gar noch mehr Jahren haben oft ganz anders gedacht und anders gehandelt, als wir es heute tun oder für richtig halten würden."
Aschenbrenner: "Das ist ein Riesenaufwand"
So denkt auch der Schwabinger Aschenbrenner. Nur das mit Kästner wundert ihn nachhaltig. "Dann sollte man eher den Hohenzollernplatz umbenennen", findet er. Die Dynastie, die die deutschen Kaiser stellte, sei da eher fragwürdig. Und auch der Kolumbusplatz sei ein Kandidat für einen neuen Namen. Grundsätzlich gibt er jedoch die Kosten zu bedenken.
"Das ist ein Riesenaufwand, bürokratisch und auch finanziell. Das würde uns was kosten, das würde auch die Stadt was kosten, für die ganzen Schilder, und GPS auch noch, wenn das alles umbenannt wird", sagt Aschenbrenner. Er halte davon nichts, es führe zu weit.
Tiefere Probleme bei der derzeitigen Aufregung
Die derzeitige Aufregung an vielen Orten weist aber auch auf ein tieferes Problem, glaubt Historiker Postert. "Man könnte zugespitzt sagen, es ist ein Kulturkampf im Gange. Attackiert werden nun immer häufiger auch Personen und damit Straßennamen, die eigentlich zum kulturellen und/oder geistesgeschichtlichen Kanon zählen: Denken Sie an die Diskussionen um Rassismus bei Immanuel Kant", sagt Postert.
Jüngst sei sogar Hannah Arendts Werk attestiert worden, es enthalte rassistische Passagen. Diese Diskussionen stünden "im engsten Zusammenhang mit der vielbeschworenen, sogenannten Identitätspolitik und ihren meist, aber nicht ausschließlich konservativen Kritikern".
Die Bürger sollen mehr einbezogen werden
Die Stadt will offenbar die Bürger künftig bei diesem umstrittenen Thema mehr einbeziehen. So plant sie eine Veröffentlichung des "auf differenziert ausgearbeiteten Belastungskategorien basierenden Kriterienkatalogs zur Bewertung von Straßennamen" auf der Homepage des Münchner Stadtarchivs. Außerdem soll es ab Herbst 2021 themenbezogene Veranstaltungen geben.
Es scheint nötig, die Menschen zu überzeugen. "Der erbitterte Kampf um diese Straßennamen ist meines Erachtens untrügliches Indiz für die zunehmende Polarisierung in der Gesellschaft", glaubt Postert.
Erinnerung sei immer auch eine Auseinandersetzung mit der Geschichte, "und sie sollte den Versuch enthalten, aus der Geschichte zu lernen", mahnt Fromm zudem. Was die Münchner wohl aus der Geschichte Erich Kästners lernen werden?