Schöner, ruhiger, sicherer: Studenten-Projekt Schwanthalerstraße

Die Schwanthalerstraße ist ein Verkehrsmoloch ohne Bäume und Bänke. Studenten planen mit ihrem "Referat für Stadtverbesserung" mehr Raum fürs Flanieren und Sitzen. Ein Modell für Straßen in ganz München?
von  Helena Ott
Die Architekturstudenten Maximilian Steverding (25) und Annika Hetzl (28) möchten (nicht nur) die vielbefahrene Schwanthalerstraße schöner und gemütlicher für Menschen machen.
Die Architekturstudenten Maximilian Steverding (25) und Annika Hetzl (28) möchten (nicht nur) die vielbefahrene Schwanthalerstraße schöner und gemütlicher für Menschen machen. © Sigi Müller

Ludwigsvorstadt - Eingequetscht zwischen Bahnhof und Theresienwiese liegt die Schwanthalerstraße. Einen Kilometer vom Gärtnerplatz entfernt, glaubt man in eine andere Welt abgebogen zu sein.

Statt großzügiger Schanigärten, Bäumen und städtisch bepflanzten Blumenbeeten rollt sich ein Kilometer Straßenbelag vor einem aus.

Schwanthalerstraße: Kein guter Ort zum Verweilen

Es ist laut, die Luft riecht nach Abgasen. Seit zwei Monate reißen auch noch dröhnende Bagger den Belag zwischen Sonnenstraße und Theresienwiese auf.

Die Schwanthalerstraße ist 22 Meter breit, 16 davon sind reine Fahrspur. Fußgängerüberwege gibt es nur etwa alle 500 Meter. Kein guter Ort zum Verweilen.

Der Name der Initiative ist eine bewusste Provokation

Das wollen sechs Studenten der TU München ändern. Sie nennen sich "Referat für Stadtverbesserung". Der Name ist Provokation, das gibt der Architekturstudent Maximilian Steverding zu: "Aber nach unserem Empfinden ist es eben genau die Behörde, die fehlt."

Eine riesige Baustelle mitten in der Schwanthalerstraße verschärft den Platzmangel für Fußgänger, Radler und Autofahrer.
Eine riesige Baustelle mitten in der Schwanthalerstraße verschärft den Platzmangel für Fußgänger, Radler und Autofahrer. © Sigi Müller

Ein Amt, das menschliche Bedürfnisse an Wohnraum im Blick hat. Die studentische Initiative plant deshalb selbst die "Neuordnung der Schwanthalerstraße" - nicht völlig autofrei, aber deutlich "autoreduziert".

"Wenn wir es hier schaffen, schaffen wir es überall"

Gemeinsam mit seiner Kommilitonin Annika Hetzl (28) führt Maximilian Steverding (25) mit seinen langen Schritten über die Straße. Baustelle und Gemüsestände der Händler greifen weiter nach dem Fußgängerweg.

Bleibt ein Ein-Meter-Korridor übrig. Mit dem Kinderwagen oder dem Rollator traut sich keiner auf den Gehweg - zumindest nicht an diesem Mittwochvormittag.

Für Annika Hetzl ist es nicht nur eine große Straße. Seit Mai ist sie Stammgast: Zum Fotografieren oder um mit Anwohnern und Händlern ins Gespräch zu kommen. Ein Kilometer Stadt, den die sechs Architektur- und Urbanistik-Studenten mittlerweile "ihr Baby" nennen.

Angefangen hat es mit einem Projektseminar im Wintersemester 2019, mittlerweile ist es ein ehrenamtliches Großprojekt, das die Studenten unbedingt in die Realität umsetzen wollen.

Warum gerade die Schwanthalerstraße? "Ganz einfach, wenn wir es hier schaffen, schaffen wir es überall", sagt Maximilian Steverding.

Bäume, Radlständer und Sitzbänke - so könnte die Schwanthalerstraße aussehen, finden die Studenten.
Bäume, Radlständer und Sitzbänke - so könnte die Schwanthalerstraße aussehen, finden die Studenten. © Referat für Stadtverbesserung

Die Studenten reizt die Herausforderung

Die Schwanthalerstraße ist also nur Modell für eine Veränderung, die sich nach dem Wunsch der Studenten auf viele Bereichen der Stadt übertragen ließe. Aber sie haben da angefangen, wo die Aufenthaltsqualität am geringsten ist, es reizt sie die Herausforderung, sagt Annika Hetzl.

Die Studenten haben unzählige Entwürfe gezeichnet und grafische Videos erstellt. Simulationen, wie die Straße schöner, ruhiger und sicherer werden kann, und ein Ort, an dem man sich im Freien gerne aufhält.

Schwanthalerstraße: Kein Platz für Anwohner

Bisher gehört der Straßenzug vor allem den Autofahrern, die vom Mittleren Ring in die Innenstadt fahren. Das findet Maximilian Steverding besonders bizarr: dass Autofahrer, die nicht dort wohnen und die Straße nur drei Minuten nutzen - wenn es sich nicht gerade wieder staut - "komplett den Raum dominieren".

Nach der Vision und Planung der Studierenden soll bereits im kommenden Jahr der mittlere Fahrstreifen mit Bäumen in überdimensionierten Blumenkästen begrünt werden. Daneben ist Platz für Fahrradständer, Sitzbänke und Spielgeräte. "Soziale Infrastruktur" nennen das die Architekturstudenten im Fachjargon.

Zwischen dem Bauzaun und den Gemüsestandln bleibt für Fußgänger nur noch ein sehr schmaler Korridor.
Zwischen dem Bauzaun und den Gemüsestandln bleibt für Fußgänger nur noch ein sehr schmaler Korridor. © Sigi Müller

Schwanthalerstraße: Zugeparkte Hinterhöfe

Und es soll deutlich mehr Übergänge geben. Bis 2028 sollen nach ihrer Idee nur noch 20 Prozent des aktuellen Verkehrs durch die Straße geleitet werden.

Die parkenden Autos sollen in die schon vorhandenen Tiefgaragen verschwinden, die derzeit nur zu einem Drittel ausgelastet sind. Auch die aus den Hinterhöfen, die so zugeparkt sind, dass für Menschen, Bäume, Rasenflächen kaum Platz ist.

Gerade ist Mittagszeit. Vor den türkischen Obstläden, den Gold-An-und-Verkaufsstuben, den Imbissen und Handyläden sieht man Leute in der Hocke, die von ihrer belegten Semmel abbeißen oder aus einer To-Go-Box löffeln.

In den heißen Sommerwochen gab es so ganz ohne Bäume kein bisschen Schatten, jetzt prasselt der Regen auf den tristen Asphalt.

Schwanthalerstraße: Buntes und wildes Treiben

Dabei ist die Schwanthalerstraße eigentlich ein magischer Ort. Einer der letzten Flecken im Münchner Zentrum mit echter sozialer Durchmischung. Hier gibt es alle Einkommensschichten, alle Hautfarben, viele Sprachen.

Türkische Händler verkaufen Obst, Gemüse Baklava. Büroangestellte tragen Anzüge spazieren und Shishabarbetreiber bereiten sich auf den Abend vor. Es ist ein buntes, beinah wildes aber reibungsloses Treiben.

Auch Annika Hetzl liebt diese Melange. "Wenn man es ruhig will", sagt sie, "gibt es so viele andere Ort in München." Der 28-Jährigen, Maximilian Steverding und ihren vier Teammitgliedern ist es deshalb wichtig, dass das alles erhalten bleibt. Sie sind nicht angetreten, um die Straße aufzuwerten, in dem Sinn, dass danach alles sauber, schick und teurer wird.

Stattdessen soll es für die Menschen, die hier wohnen und Geld verdienen, ein besserer Ort werden.

Studenten möchten gerne ein Start-up oder eine GbR gründen

Schöne Ideen auf dem Bildschirm von ein paar Mitte-Zwanzig-Jährigen. Aber wie soll da was draus werden? Die "Stadtverbesserer" haben nach dem Projektseminar weiter gemacht.

Damit Stadträte und Bürger verstehen, dass der Wandel möglich ist - und keine explodierenden Kosten mit sich bringen muss, haben die Studenten im August einfach mal 100 Meter Straße für Autos gesperrt und auf dem Asphalt ausprobiert, wie Bäume, Picknickflächen und Bierbänken bei den Bewohnern ankommen.

Sie waren selbst erstaunt, wie schnell die Menschen sich die Straße "zurückeroberten", sagt Maximilian Steverding.

Die Studenten haben sich so in dem Projekt festgebissen, dass sie gerne ein Start-up oder eine GbR gründen würden, um ihre Ideen gemeinsam mit der Stadt in die Realität umzusetzen.

Dafür brauchen sie aber Geld. Denn so viel Zeit, wie die professionelle Umsetzung braucht, können die Studierenden, von denen viele bald Masterabsolventen sind, nicht neben einem Vollzeitjob aufwenden.

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