Schillerstraße in München: Gaffer filmen brutale Attacke - Zeugen gesucht

Ein 28-Jähriger wird in der Schillerstraße mit einer Krücke und einem Pflasterstein verprügelt, er erleidet eine Gehirnblutung. Die Täter sind noch unbekannt - aber es gibt jede Menge Zeugen, die die Tat teils filmten.
von  Nina Job
Der Vorfall passierte in der Schillerstraße.
Der Vorfall passierte in der Schillerstraße. © Petra Schramek

Ludwigsvorstadt - Es ist noch was los in der warmen Sommernacht in der Schillerstraße. In den Lokalen im Bahnhofsviertel herrscht am Dienstag gegen 1 Uhr reger Betrieb. Auch auf der Straße sind Menschen unterwegs. Da entbrennt in der Nähe eines Taxistandes plötzlich ein heftiger Streit. Mehrere afghanische Männer beschimpfen einen 28-Jährigen.

Einer geht einer auf den jungen Mann los. Er schlägt ihm mit einer Krücke auf den Kopf, anschließend auch noch mit einem Pflasterstein. Passanten bleiben stehen. Aber anstatt dazwischen zu gehen oder Hilfe zu rufen, zücken sie ihre Handys, filmen und fotografieren.

Das Opfer bleibt mit einer Hirnblutung und einer Kopfplatzwunde am Boden liegen. Zeugen verständigen die Rettungsleitstelle und die Polizei. Der Schläger und seine Begleiter flüchten.

Immer wieder sind die Einsatzkräfte fassungslos über die Gaffer

Es ist ein neuer Fall von erschreckender Verrohung. Gaffen statt helfen, mit dem Handy draufhalten und später die Bilder hochladen. Blautlicht- und Sensationsbilder haben Hochkonjunktur in den sozialen Medien.

Erst vor wenigen Tagen hat ein Fall in Baden-Baden für Entsetzen gesorgt: Ein verzweifelter Mann drohte von einem Hoteldach zu springen. Unten versammelten sich etwa 50 Menschen, die fotografierten. Dann fingen mehrere auch noch an zu schreien: "Spring doch!" Der Polizei gelang es, ihn davon abzuhalten.

Aber auch in München gab es bereits einen extremen Fall: Auf der Paul-Heyse-Straße, ebenfalls im Bahnhofsviertel, krachten zwei Autos zusammen, eines blieb auf dem Dach liegen, darin ein schwer verletztes älteres Paar. Binnen weniger Minuten kam es zu einem Gaffer-Auflauf: 200 Menschen blieben glotzend stehen, filmten und knipsten, anstatt zu helfen, und behinderten die Rettungskräfte.

Einige gingen ganz nah ran an das Auto, um die Schwerverletzten möglichst in groß im Bild zu haben. "Es ist eine Seuche mit den Gaffern", sagte ein Feuerwehrmann damals zur AZ. Die Polizei sprach Platzverweise aus, um sie zu verjagen.

Gaffen: Das sagt ein Psychologe

Der Psychologe Alfred Gebert aus Münster ist sich sicher, dass sich dieses Phänomen durch die Neuen Medien massiv verstärkt wird. "Jeder hat immerzu ein Smartphone dabei, am Ende geht es nur darum, wer den Film als Erster auf YouTube hochlädt." Allein sei die Bereitschaft zu helfen viel größer. Doch wenn mehrere zusammenkommen, entsteht Gruppendynamik.

Die Polizei verurteilt das Verhalten Schaulustiger scharf. "Schämt euch", schrieb die Polizei nach dem Vorfall in Baden-Baden auf Facebook. Eine gute Reaktion, meint der Psychologe. Die Menschen müssten sensibilisiert werden. Wenn solch Verhalten nachdrücklich verurteilt wird und Gaffer-Videos im Internet konsequent gelöscht werden, würde der soziale Druck auf die Filmer irgendwann zu groß.

Sie machen sich außerdem strafbar. Polizeisprecher Christoph Reichenbach: "Niemand soll sich selbst in Gefahr bringen. Doch wer nicht hilft oder Hilfe verständigt, macht sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig." Die Bußgelder wurden erst erhöht. Gaffern drohen bis zu 1.000 Euro Strafe. Wer Unfälle fotografiert, sogar Gefängnis.

Nach dem Vorfall in der Paul-Heyse-Straße suchte die Polizei in den sozialen Medien, ob Fotos der Verletzten verbreitet wurden. Doch in diesem Fall trauten sich die Gaffer nicht.

Das Filmen oder Fotografieren während aktueller Ereignisse ist aber nicht generell zu verurteilen. Schon mehrmals haben Zeugenfotos zu Täterfestnahmen geführt. Dafür muss die Polizei die Bilder aber auch bekommen. Deshalb bittet sie im Fall der Pflasterstein-Attacke Zeugen und Handyfotografen, sich zu melden. Reichenbach: "Ihnen droht keine Strafe."

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