"Riesensauerei": Kurz vor Schluss noch ausgeraubt
Ramersdorf - An Silvester ist Schluss. Dann schließt Brigitte Schuhmacher ihren Tante-Emma-Laden in Ramersdorf für immer. Kurz vor dem Ende, in der Nacht auf Sonntag, ist hier eingebrochen worden. Beute: 200 Euro Wechselgeld und Marlboro-Zigaretten. „Das hat’s jetzt nicht mehr gebraucht“, lautet das Fazit der 64-Jährigen.
„Ausgerechnet in diesen Laden müssen sie einbrechen“, echauffiert sich Nachbarin und Kundin Sieglinde. „Sie ist immer für alle da, die gute Seele im Viertel. Und dann das!“ Schnell noch Zigaretten holen, aber nicht genügend Geld eingesteckt? Kein Problem. Bei Brigitte Schuhmacher können Kunden sogar anschreiben lassen. Wo gibt’s das noch in München? „Das hat der ein oder andere schon ausgenutzt“, erzählt Sieglinde. Die Ladeninhaberin fügt hinzu: „Ich kann halt nicht nein sagen, da wurde ich schon beschissen.“ Brigitte Schuhmacher hat ein offenes Ohr für die Probleme ihrer Kunden und Nachbarn. Gerade deshalb ist der Einbruch eine „Riesensauerei“. Die Kundinnen sind noch am Montagmittag aufgebracht.
Sonntag Früh, 7 Uhr: Brigitte Schuhmacher ist auf dem Weg in ihren Laden, als sie der Bäckerei-Lieferant anruft. „Erschrick nicht, in deinen Laden wurde eingebrochen“, sagte er ihr. Noch vom Auto aus ruft Schuhmacher die Polizei. „Sie sagten, dass sie gleich kommen“. Bis die Beamten jedoch an dem Geschäft sind, ist es 8.30 Uhr. Um keine Spuren zu verwischen, darf keiner den Laden betreten. Das Sonntagsfrühstück muss warten, einige Kunden kaufen ihre Semmeln woanders. Die Polizisten inspizieren das Geschäft und finden einen Zettel vor. Ihre Kollegen waren bereits in der Nacht vor Ort gewesen. Den Einbruch hatte ein aufmerksamer Nachbar bemerkt, als er gegen 0.30 Uhr mit seinem Hund Gassi war.
Jetzt, am Montag, kommen immer wieder Stammkunden zu Brigitte Schuhmacher. Sie wollen wissen, wie es ihr geht. Und alle rätseln, wer der Einbrecher sein könnte. „Wegen 200 Euro bricht doch kein Erwachsener ein“, mutmaßt eine. Andere wünschen dem Übeltäter Böses. Brigitte Schuhmacher fügt hinzu, dass die Kaffeekasse und eine Spardose mit Münzen unangetastet im Laden blieben. Außerdem wurden nur Marlboros geklaut. Die anderen blieben im Regal. Und auch sonst fehlt nichts. Die Registrierkasse ist beschädigt: „Die Schublade geht nicht mehr richtig zu. Da muss ich jetzt aufpassen“, fasst die Ladeninhaberin zusammen. Ein Bekannter hat die Kasse wenigstens soweit repariert, dass sie wieder funktioniert.
Ein Einbruch kurz bevor der Laden schließt. Überall hängen Rabatt-Schilder. „10 Prozent auf Lebensmittel“, „30 Prozent auf Schreibwaren“. Nach 19 Jahren hört Brigitte Schuhmacher schweren Herzens auf und sperrt für immer zu. „Die Vernunft hat gesiegt“, sagt die Einzelhändlerin. „Mein Mann hat wieder Krebs. Er muss ab Januar zur Chemo. Da will ich für ihn da sein.“ Der Abschied fällt weder ihr noch ihren Kunden leicht. „Es war immer mein Traum, ein eigenes Geschäft zu haben. Auch, wenn ich viel gearbeitet habe, ich habe nicht viel im Leben vermisst.“ Der Laden ist der Treffpunkt in der Nachbarschaft, man kennt sich, man ratscht. Dass in gut einer Woche Schluss sein soll, wollen viele eh nicht wahrhaben. Brigitte Schuhmacher hat keine großen Wünsche für die Zukunft – außer „mal im Englischen Garten spazierengehen“.