Party und Kunst auf der Corneliusbrücke zum Saisonabschluss der Münchner Kammerspiele

Auf der Corneliusbrücke ist eine Installation zum Thema Internet sehen und zu begehen - an den Abenden gibt's Party und DJ-Musik.
von  Michael Stadler
Der Rechner SuperMUC im Leibniz-Rechenzentrum in München ist fast doppelt so groß wie ein Schwimmer-Becken im Hallenbad. Und etwa so schwer wie 100 kleine Autos. Und er ist der schnellste Computer Europas.
Der Rechner SuperMUC im Leibniz-Rechenzentrum in München ist fast doppelt so groß wie ein Schwimmer-Becken im Hallenbad. Und etwa so schwer wie 100 kleine Autos. Und er ist der schnellste Computer Europas. © Tobias Hase/dpa

München - Das Unsichtbare im digitalen Zeitalter kann schon gigantische Ausmaße annehmen, all die Bits und Bytes, die mittlerweile unser Leben bestimmen. Vor kurzem war Alexander Giesche draußen im Forschungszentrum in Garching, um sich den SuperMUC anzuschauen, den "Superrechner von München", wie es der 35-jährige Regisseur nennt. "Alle Daten der Stadt laufen dort zusammen, in einem Riesengebäude aus Beton. Drinnen stehen schwarze IBM-Schränke, die Temperatur ist heruntergekühlt, überall blitzt und blinkt es. In diesem Raum herrscht ein Brummen, dass man schon nicht mehr von weißem Rauschen reden kann. Die ganze Erfahrung hat etwas sehr Körperliches."

Ein sechs Mal sechs Meter großer und drei Meter hoher Kubus

Durch seinen Besuch beim SuperMUC hat Giesche einen Eindruck vertieft, den er nun auch mit seinem neuen Projekt intensiv wecken will: dass das Unsichtbare auch eine sinnliche Dimension hat. "Das Internet", so nennt sich die Installation, die er nun mit seinem Team auf der Corneliusbrücke errichtet hat. Ein sechs Mal sechs Meter großer und drei Meter hoher Kubus ist ab sofort über das Wochenende hinweg zwischen Sonnenaufgang und -untergang für Passanten geöffnet.

Wer dabei im Innern irgendwelche Computerterminals oder auf die Wände projizierte Datenmengen erwartet, denkt allzu simpel. "Wir haben uns überlegt: Was ist das eigentlich, das Internet? Und sind schnell darauf gekommen, dass das Internet im Grunde aus Licht besteht: Einser und Nullen werden durch Glasfaserkabel geschickt. Wenn man näher heranzoomt, ist das Internet ein einziger Lichtball."

Beleuchtung und nebel wie auf der Bühne

Das Licht wiederum kann sich in alle möglichen Farben spalten, weshalb Giesche und sein Team das Innere des Kubus mit Beleuchtungsfolien bespannt haben, jede Seite mit einer anderen Grundfarbe. "Wir füllen den Raum zudem komplett mit Bühnennebel. Wer eintritt, sieht seine Hand vor Augen nicht; je nach Position verändert sich die Farbwahrnehmung. Beim Gang durch den Raum können theoretisch alle 16,7 Millionen Farben wahrgenommen werden, die ein 8-Bit-Rechner generiert."

Gleichzeitig sind auf der Soundspur Texte des britischen Philosophen Alan Watts in einem 15-minütigen Loop zu hören: "Da geht es unter anderem darum, dass selbst im größten Chaos eine Ordnung entstehen kann, wenn man sich nur richtig dazu positioniert." Simuliert die Installation also einerseits das Gefühl, sich im Innern eines Glasfaserkabels zu befinden, öffnen die Texte andererseits einen Panoramablick auf jene Informationsmengen, mit denen jeder heute täglich konfrontiert wird.

Der technische Fortschritt hat es Alexander Giesche in seiner Theaterarbeit besonders angetan. So ist "Das Internet" der Abschluss des Langzeitprojekts "Future Shock", in dessen Rahmen er in den vier Produktionen an den Kammerspielen entwickelte: In "Yesterday You Said Tomorrow" setzte er seinen Darstellern Oculus-Rift-Brillen auf, mit denen der Träger in 3D-Welten eintauchen kann. In "Normcore" traten zwei Spieler in einem computeranimierten Box-Match an – ein Duell virtueller Körper, hinter dem Sehnsüchte nach echter Berührung hervorschienen.

Und nachher: Halbgefrorenes und DJ-Party

Zuletzt befasste er sich in der Romanadaption "8 eineinhalb Millionen" mit dem Drang zur ständigen Selbstbeobachtung und neurotischen Wiederholungszwängen als Symptom eines um Realitätskontrolle bemühten Subjekts. Obwohl diese Projekte auch von der Einsamkeit im digitalen Zeitalters erzählten, liegt Giesche jeglicher Kulturpessimismus fern. Vielmehr will er einen offenen Blick auf ein heutiges Leben werfen, das von technologischen Erneuerungen bestimmt ist.

Als weiteren Denkanstoß für sein Internet-Projekt hat er den Schweizer Comedian Johannes Dullin eingeladen, ein "KompostTutorial" zu halten: "Er vergleicht das Internet mit einem riesigen Komposthaufen: Alte Konzepte verrotten, verwandeln sich: Statt ins Hotel geht man zu Airbnb, statt mit dem Taxi fährt man mit Uber, statt zu WOM geht man zu iTunes. Und wenn man alle Farben umrührt, kommt letztlich Braun heraus: eine neue Erde."

Wer den Kubus verlässt, kann sich ein halbgefrorenes Trinkeis, ein Slushie mixen. Und an den Abenden legt natürlich ein DJ auf. Ein Sommerfest zum Saisonabschluss soll diese Installation sein – im farbigen Nebel darf getanzt werden: für sich oder gemeinsam, jedenfalls ganz altmodisch analog.

Freitag, 21. Juli, 12 bis 22 Uhr, 19 Uhr KompostTutorial; Sa, 5.37 Uhr bis 1 Uhr, 12 und 16 Uhr KompostTutorial; So, 5.38 Uhr bis 22 Uhr, 18 Uhr Dark Web; täglich ab ca. 19 Uhr: Sundowner mit Drinks und Musik

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