Obersendling: Frau (90) liegt zwei Monate lang tot in ihrer Wohnung

Anneliese R. starb einsam in ihrem kleinen Einzimmer-Apartment und wurde nicht vermisst. Ihr trauriger Tod ist kein Einzelfall.
Hüseyin Ince |
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Eine Frau lag zwei Monate tot in ihrer Wohnung. Der Hausmeister bemerkte den Verwesungsgeruch und alarmierte die Feuerwehr.
Daniel von Loeper Eine Frau lag zwei Monate tot in ihrer Wohnung. Der Hausmeister bemerkte den Verwesungsgeruch und alarmierte die Feuerwehr.

Obersendling - Eigenbrötlerisch, so beschreibt der Tabak- und Getränkehändler Rüdiger Bauer die Münchnerin Anneliese R. die mit 90 Jahren vereinsamt in ihrer Obersendlinger Einzimmer-Wohnung gestorben ist. "Ich kannte nicht mal ihren Namen", sagt der 41-Jährige, obwohl sie ihm bekannt war, seit er seinen Laden an der Schaidlerstraße vor 27 Jahren eröffnete. "Sie kam alle zwei Wochen mit Rollator, holte sich Diät-Limo und sagte nicht viel." Stets gepflegt sei Anneliese R. gewesen. Und an den alten, grauen VW Golf erinnert sich Bauer, mit dem sie häufig fuhr.

90-Jährige hatte offenbar keine Angehörigen

Zwei Monate muss es etwa her sein, dass Anneliese R. in ihrer Wohnung an der Obersendlinger Schaidlerstraße zusammengebrochen ist, so die bisherige Erkenntnis der Polizei. Sie lag direkt an der Kochnische, womöglich nach einem Herzanfall. "Sie hat mal erwähnt, dass sie Herzprobleme hat", sagt ihre Nachbarin Barun Ivka aus dem ersten Stock, "einige Male war der Krankenwagen da, um sie zu versorgen."

Die 90-Jährige hatte offenbar keine Angehörigen. Mit den übrigen Hausbewohnern sprach sie kaum. Ivka versuchte, die Gründe zu verstehen. "Ich wunderte mich und dachte, vielleicht hat das ja mit den vielen ausländischen Namensschildern zu tun", sagt sie. Denn Ivka ist das genaue Gegenteil der scheuen Rentnerin: gesprächsbereit und offen für Fremde. Sie hätte auch gerne Kontakt zu der Seniorin gepflegt, so, wie sie es aus ihrer Heimat kennt. "Ich bin es gewohnt, dass man füreinander sorgt, auch unter Nachbarn", sagt Ivka, eine Kroatin.

Einsamer Tod ist offenbar kein Einzelfall

Doch Anneliese R. wählte anscheinend bewusst die Einsamkeit. "Sie muss dort locker 40 bis 50 Jahre gelebt haben", sagt Bauer. Und Ivka erinnert sich: "Sie kam vom Einkauf, zog ihr Wägelchen Stufe für Stufe die Treppen hoch." Ich habe ihr mehrmals Hilfe angeboten. "Doch das hat sie immer abgelehnt. Sie machte lieber auf dem Weg nach Hause in den zweiten Stock mehrmals Pause und saß häufig auf den Treppenstufen", sagt Ivka. Das sei das Bild, an das sie sich immer erinnern werde: Anneliese R., wie sie mit ihrem Wägelchen auf den Treppenstufen saß und kurz durchschnaufte.

R.s trauriger Tod ist in München leider kein Sonderfall. Das wird klar, wenn man den Hausmeister der Wohnanlage an der Schaidlerstraße spricht. Thomas Brühl (41) wurde am vergangenen Samstag herbeigerufen, als der Verwesungsgeruch offenbar unerträglich wurde. Er rief sofort die Polizei, die die Wohnung aufbrach und die leblose Anneliese R. vorfand.

"Ich kannte den Geruch sehr gut", sagt Brühl. Er betreut mit seiner Hausmeisterfirma 48 Wohnanlagen in der Region München und nennt eine schockierende Zahl: "Alle zwei Monate etwa passiert etwas Ähnliches." Deshalb habe er keine Sekunde gezögert, als R. am Samstag die Tür nicht öffnete.

Hausmeister bemängelt anonyme Wohnanlagen

Hausmeister Brühl weist auf eine Besonderheit hin. Schicksale wie das von Anneliese R. würden sich immer wieder ereignen, vor allem in Wohnanlagen mit anonymen Einzelapartments. "In modernen Anlagen, wo die Menschen viel miteinander zu tun haben, werden die Bewohner nicht so schnell vergessen", sagt Brühl, der seinen Beruf seit 2007 ausübt und seit 2011 selbstständig ist.

Brühl bemängelt Häuser wie jenes, in dem Anneliese R. einsam zusammenbrach. Also Häuser, die fast nur aus Einzimmer-Apartments bestehen, ohne gemeinsame Freizeitflächen. In dem Haus ist Anneliese R. nicht die Erste, die Wochen nach ihrem Tod gefunden wird. Vor ihr war zum Beispiel 2017 ein etwa 75-jähriger Mann im Erdgeschoss anonym gestorben, wie er bis zuletzt gelebt hatte.

Und noch einen weiteren Fall soll es gegeben haben. Die Nachbarn bemerkten sehr lange nichts. So wie jetzt wieder bei Anneliese R.

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