Obdachlosigkeit kann jeden treffen
Isarvorstadt - Das kleine Ladenlokal in der schmalen Straße zwischen der Theresienwiese und dem Schlachthofviertel kann der Passant leicht übersehen. Kein Schild, kein Banner, nur drei kleinbeschriebene DIN A4 Blätter kleben an den Scheiben der Eingangstüren und weisen darauf hin: Teestube „komm“, darüber das blau-rote Logo des Evangelischen Hilfswerks der Inneren Mission und die Öffnungszeiten - jeden Tag von 14 bis 20 Uhr. In acht Sprachen steht dort zu lesen, wer hier Hilfe findet: Wohnungslose und Menschen, denen die Wohnungslosigkeit droht.
Hier ist einer der vielen Arbeitsplätze von Christina Fuchs. „Die Teestube ist ein Ort, an dem Menschen Kontakte knüpfen können. Hier bekommen sie Beratung, sie können kochen, waschen und duschen“, erklärt die junge Sozialarbeiterin, während sie durch die großzügigen und praktisch eingerichteten Räume führt.
Seit einem Jahr ist sie eine der Streetworker, die von hier aus Obdachlose im Münchner Süden betreuen. Das bedeutet vor allem: Hilfe vor Ort, direkt auf der Straße. Dazu geht sie mit ihren Kollegen tagtäglich die öffentlichen Plätze ab. Sie hoffen, dabei ihre Klienten an den „Platten“ anzutreffen, wie die Schlafplätze heißen. „Irgendwann weiß man, wer sich wo aufhält und wann man ihn am ehesten erreicht“, erzählt Christina Fuchs.
Ihr Ziel ist es, die Menschen von hier wegzubekommen. Weg von der Straße, in eine geeignete Einrichtung oder zurück in eine richtige Wohnung und in ein geregeltes Leben. Manchmal können schon einfache Schritte dabei helfen. Zum Beispiel der Gang zum Bürgeramt, um nach vielen Jahren endlich wieder einen Ausweis zu beantragen: „Das baut Vertrauen auf. Die Menschen müssen sehen, dass sie sich auf uns verlassen können.“ Vertrauen ist ein Wort, das Christina Fuchs sehr häufig gebraucht, wenn sie ihre Arbeit beschreibt. Vertrauen ist die Basis aller Angebote. Das bedeute aber auch, zu akzeptieren, wenn jemand keine Hilfe annehmen will. „Es gibt Menschen, die können nicht mehr wollen“, hat das ein Kollege einmal genannt.
In München leben etwa 350 bis 400 Obdachlose, zum weit überwiegenden Teil Männer. Die letzten verlässlichen Zahlen sind bereits sechs Jahre alt. Für eine Studie wurden damals 339 Menschen gezählt. "Seither dürfte die Zahl leicht gestiegen sein", schätzt Franz Herzog. Er ist der Leiter der Einrichtung, die im Auftrag der Stadt München für die Obdachlosen-Hilfe zuständig ist.
Er war selbst 18 Jahre lang als Streetworker unterwegs. Heute ist er für 26 Mitarbeiter verantwortlich, die als Sozialarbeiter sehr unterschiedliche Angebote betreuen. Neben der Teestube und den vier Streetwork-Teams gibt es beispielsweise Wohngemeinschaften oder unterstützes Wohnen. In kalten Wintern öffnet die Stadt für die Obdachlosen noch andere warme Notunterkünfte, zum Beispiel die ehemalige Bayernkaserne in Freimann. Weil es dieses umfangreiche Hilfesystem gibt, leben in München verhältnismäßig wenig Menschen auf der Straße. Dennoch verschärfen sich seit einigen Jahren die Probleme. „Die Wohnheime für die Obdachlosen sind verstopft. Es werden keine Plätze frei, weil wir die Leute langfristig nicht mehr in normalen Wohnungen unterbringen können“, berichtet Franz Herzog. Denn auch die Sozialeinrichtungen finden in München für ihre Klientel kaum noch bezahlbare Wohnungen: Weil die Mieten stark steigen und es immer weniger Sozialwohnungen gibt.
Da es in München kaum noch günstige Wohnungen gibt, könne Obdachlosigkeit heute fast alle gesellschaftlichen Schichten treffen. „Meistens beginnt es mit einem Schicksalsschlag. Eine gescheiterte Selbstständigkeit, eine Scheidung. Dann können erst die Rechnungen, später die Miete nicht mehr bezahlt werden. Davor ist niemand sicher.“ Und weil das jeden treffen könne, stecke darin auch die mangelnde Toleranz gegenüber Obdachlosen, glaubt Herzog. Denn die Obdachlosen seien häufig „ein Spiegel der eigenen Ängste“ – die Angst vor dem Rand der Gesellschaft.
Die Teestube „komm“ in der Zenettistraße 32 ist täglich von 14-20 Uhr geöffnet. Weitere Informationen unter www.teestube-komm.de.