Neue Erkenntnisse zum Wiesn-Attentat

Beim Anschlag findet die Polizei eine blutige Hand, die keinem der Opfer zugeordnet werden kann. Leute, die etwas sagen könnten, sind zum Teil auf rätselhafte Weise umgekommen
Helmut Reister |
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26. September 1980: Der Tatort Wiesn-Haupteingang am Abend des Bomben-Anschlags.
dpa 26. September 1980: Der Tatort Wiesn-Haupteingang am Abend des Bomben-Anschlags.

 

 

Beim Anschlag findet die Polizei eine blutige Hand, die keinem der Opfer zugeordnet werden kann. Leute, die etwas sagen könnten, sind zum Teil auf rätselhafte Weise umgekommen

Ludwigsvorstadt Wem fehlt seit 26.Oktober 1980, 22.19 Uhr, eine Hand? Die mehr als 200 toten und verstümmelten Opfer des Oktoberfest-Anschlags, deren Namen in den Akten der Behörden stehen, sind damit nicht gemeint. Es ist die Hand eines Mannes, dessen Identität nie geklärt worden ist. Aber dieses blutige Körperteil ist ein Beweis dafür, dass Gundolf Köhler (21), der Bombenleger, alles andere als ein Alleintäter war.

 

Der Historiker Andreas Kramer (49) behauptet, dass die Planungen für das Attentat und der Bau der Bombe von seinem Vater im Auftrag des BND durchgeführt worden sind. Jetzt ist auch die Bundesregierung auf den Plan gerufen: Die Vorwürfe des Historikers werden derzeit auf Veranlassung der Bundesregierung überprüft.

Als Ermittler des Landeskriminalamtes nach der Identifizierung Köhlers, der bei der Explosion selbst ums Leben kam, seine Wohnung in Donaueschingen untersuchten, wurden auch unzählige Fingerabdrücke sichergestellt. Einer konnte erst Tage später zugeordnet werden: Er passte zur abgerissenen Hand, die am Tatort gefunden worden war.

Die Suche in den einschlägigen Karteien von Straftätern, die schon einmal erkennungsdienstlich behandelt worden waren, blieb allerdings genauso ergebnislos wie die weiteren Nachforschungen, von denen man nicht weiß, wie intensiv sie geführt worden sind.

Ins Bild von der angeblichen Alleintäterschaft Köhlers passt die abgerissene Hand, die einem Besucher des Attentäters gehört und am Tatort gefunden wurde, auf jeden Fall nicht.

Die Spuren des Bombenlegers, der laut offizieller Ermittlungen ein Einzelgänger gewesen sein soll, führen tief in das Flechtwerk militanter Rechtsextremisten, die offensichtlich auch Kontakt zum BND unterhielten. Politisch motivierte Beziehungen unterhielt Köhler zum Beispiel zum Forstbeamten Heinz Lembke aus der Lüneburger Heide. Etwa ein Jahr nach dem Anschlag auf der Wiesn wurde er festgenommen, nachdem Waldarbeiter ein unterirdisches Waffenlager von ihm entdeckt hatten. In U-Haft gab er die Lage weiterer solcher Depots preis – 32 Stück insgesamt.

Gefunden wurde dort Kriegsgerät, das selbst auf dem Schwarzen Markt nur schwer zu bekommen ist: neben automatischen Waffen und Munition (13520 Schuss) auch 50 Panzerfäuste, drei Zentner Sprengstoff und mehr als 250 Handgranaten.

Andreas Kramer sagt, dass Heinz Lembke zur zwielichtigen Klientel seines geheimdienstlich tätigen Vaters gehörte. Im Auftrag des BND, so Kramer, habe Lembke die Depots für „Gladio“, die paramilitärische Geheimtruppe der NATO, angelegt und betreut. Die Lieferung der Waffen an Lembke habe sein Vater organisiert. „Aus einem der Lager“, sagt Kramer, „stammte auch der Zünder für die Bombe auf dem Oktoberfest“.

Bestätigen kann dies der Forstbeamte nicht mehr. Am 1. November 1981 wurde er erhängt in seiner Haftzelle aufgefunden. War es reiner Zufall, dass er angekündigt hatte, an diesem Tag vor einem Staatsanwalt preisgeben zu wollen, woher die Waffen stammen?

Andreas Kramer zur AZ: „Das hätte für einen Skandal gesorgt, wenn herausgekommen wäre, dass der BND die Waffen geliefert hat.“ Sein Vater habe ihm erzählt, dass Lembke in der Nacht seines Todes von zwei Geheimdienst-Agenten Besuch bekommen habe. Kramer interpretiert die Angaben seines Vaters so, dass bei Lembkes Selbstmord von den Besuchern nachgeholfen worden sein könnte.

Sowohl Lembke als auch Köhler unterhielten Kontakte zu Karl-Heinz Hoffmann, dem ehemaligen Chef der rechtsextremistischen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ (WSG). Sein Name taucht im Zusammenhang mit dem Bombenanschlag in mehrfacher Weise auf. Mindestens zwei WSG-Mitglieder, von denen sich einer, Stefan Wagner, auf der Flucht vor der Polizei erschoss, bezichtigten sich selbst, an dem Attentat mitgewirkt zu haben.

Die Intensität des Kontakts zu Köhler spielt Karl-Heinz Hoffmann auch mehr als 30 Jahre danach noch immer herunter. „Er hat lediglich an wenigen Übungen teilgenommen und mir einmal zum Geburtstag zwei Flaschen Wein geschickt“, sagte er der AZ. Dann muss es also Zufall gewesen sein, dass ausgerechnet Köhler auf dem Titelbild von Hoffmanns rechter Postille „Kommando“ gelandet ist.

Eine aktive Beteiligung Hoffmanns am Bombenanschlag steht nicht zur Disposition. „Ich befand mich zu dem Zeitpunkt, als die Bombe explodierte, bei einem Freund in Neuburg an der Donau“, beteuert der ehemalige Chef der militanten Rechtsextremisten-Truppe der AZ. Das Alibi ist seinen Worten zufolge wasserdicht, da sein Gastgeber an diesem Abend von Verfassungsschützern überwacht worden sei. Juristisch verantworten musste sich Hoffmann für den Bombenanschlag jedenfalls nicht.

Lembke tot, Köhler tot, Wagner tot. Rechtsextremisten aus dem Umfeld Hoffmanns hatten anscheinend eine begrenzte Lebenserwartung. Dazu gehört auch Uwe Behrendt, die „rechte Hand“ des WSG-Chefs, sein Stellvertreter. Er erschoss drei Monate nach dem Wiesn-Massaker in Erlangen den jüdischen Verleger und Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde Shlomo Levin und dessen Lebensgefährtin Frieda Poeschke. Neben den Leichen wurde die Brille von Hoffmanns damaliger Lebensgefährtin gefunden – die Mordwaffe stammte aus Hoffmanns Besitz.

Behrendt, der Doppelmörder, floh in den Libanon, wo Hoffmann in einem „Ausbildungslager“ seine Truppe drillte. Dort soll sich Behrendt mit einer Rakete in die Luft gejagt und Selbstmord begangen haben. Es war nicht der einzige Todesfall in dem nahöstlichen Lager.

Auch Kai-Uwe Bergmann, weiterer Gefolgsmann Hoffmanns, überlebte den Aufenthalt im WSG-Lager nicht. Er wurde als vermeintlicher Verräter von seinen eigenen Kumpanen zu Tode gefoltert.

Hoffmann selbst wurde für keinen einzigen Todesfall in seinem Umfeld jemals juristisch zur Rechenschaft gezogen.

Heute züchtet er in Sachsen Hängebauchschweine und wehrt sich mit Strafanzeigen, wenn er als Neonazi bezeichnet wird.

 

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