Neuaubing: Was jetzt aus dem alten Zwangsarbeiterlager wird

Aus dem ehemaligen Zwangsarbeiterlager in Neuaubing soll ein Gedenkort werden. Für die notwendige Sanierung stellt der Münchner Stadtrat 26 Millionen Euro bereit. Bis 2028 soll alles fertig sein.
Eva von Steinburg |
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Hier entsteht das Museum der Gedenkstätte: Die Baracke 5 des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers in Neuaubing.
Hier entsteht das Museum der Gedenkstätte: Die Baracke 5 des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers in Neuaubing. © est

Neuaubing - Es zwitschert in Bäumen und Sträuchern in Neuaubing. Im dichten Urwald um die Ehrenbürgstraße 9 hat ein Fuchs dieses Jahr fünf Junge bekommen. Ein Hase und Fledermäuse wurden gesichtet.

"Ein vergessener Ort wird wiederentdeckt. Das da drüben war mein Elternhaus", erklärt ein Neuaubinger Rentner. Mit 25 anderen Münchnern ist er zu einem Rundgang des NS-Dokumentationszentrums gekommen. Das Thema: das fast vergessene ehemalige Zwangsarbeiterlager Neuaubing – und seine Zukunft als denkmalgeschützter neuer Gedenkort in München.

Zwangsarbeiterlager in Neuaubing: Areal wird mit 26 Millionen Euro saniert

Von den Baracken aus der NS-Zeit sind acht Gebäude erhalten geblieben. Die Stadt will sie ab jetzt in zwei Schritten sanieren. 26 Millionen Euro hat der Münchner Stadtrat 2022 für die Umwandlung in einen Gedenkort bis 2028 bereitgestellt.

Die Baracke 5 von innen.
Die Baracke 5 von innen. © NS-Dokumentationszentrum

Zur Geschichte des Lagers am Rand von Neuaubing: Zwischen Mai 1942 und Mai 1945 waren bis zu 1.000 Menschen in dieser notdürftigen Barackenunterkunft der Reichsbahn interniert: mit Waschbaracke, Küche und Sanitätsbereich. Die Baracke der Wachmannschaft benutzt heute eine Elterninitiative mit Kinderkrippe und Kindergarten.

Zwangsarbeiter mussten in Neuaubing Tag für Tag schwere Arbeit verrichten

Ab 1942 mussten Männer, Frauen und Jugendliche, die im umzäunten Lager festgehalten wurden, zum Gelände des heutigen Sportvereins ESV an den Bahngleisen laufen. Aufseher der Bahn zwangen sie, schwere Arbeiten zu verrichten, wie kriegszerstörte Züge der Reichsbahn wiederherzustellen.

"Eine schreckliche Arbeit. Sie sahen in den Zügen die Spuren der Kämpfe, es gab Blut, das wurde so beschrieben", erklärt Historiker Dirk Riedel die Details.

In München und Umgebung gab es insgesamt 400 Zwangsarbeiterlager

Der Experte vom NS-Dokumentationszentrum München skizziert plastisch die Dimension der Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs. "Es gab insgesamt 400 Lager in und um München, KZs eingeschlossen.

Zwangsarbeiter waren sichtbar, denn Zwangsarbeit war damals ein Massenphänomen", so Riedel. Für 180.000 Münchner Männer, die im Krieg eingesetzt waren, seien bis zu 150.000 Zwangsarbeiter in der Stadt eingesetzt worden, so der Münchner Historiker.

NS-Dokuzentrum stellt Tagebuch von 15-Jährigem aus

Aus der Ukraine sei die arbeitsfähige Bevölkerung eines ganzen Dorfs verschleppt worden. Polnische und russische Bürger waren im Neuaubinger Lager interniert, auch Franzosen, Italiener – und der junge Holländer Jan Bazuin aus Rotterdam.

Beim Rundgang: Dirk Riedel vom NS-Dokumentationszentrum.
Beim Rundgang: Dirk Riedel vom NS-Dokumentationszentrum. © est

Der 15-Jährige hatte sich nach einem Familienstreit zum Arbeitsdienst gemeldet – und war nach München verschleppt worden. Er schuftete in der Lagerküche. Das Tagebuch über sein Martyrium, hat das NS-Dokuzentrum veröffentlicht. "Bazuin selbst konnte sein Leben lang nicht über das Erlebte sprechen", weiß Historiker Dirk Riedel.

In einer Baracke des Zwangsarbeiterlagers soll ein Museum entstehen

Behutsam tritt die Gruppe in die historische Baracke 5 ein, die von außen bereits weitgehend denkmalgerecht hergerichtet ist. Innen blättern die Wände. Diese Baracke wird zuerst saniert: 2026 soll das Gebäude als Museum eröffnet werden. Die Autowerkstatt, die in Baracke 2 ist, zieht bis Ende 2023 aus. In diesem Gebäude will das NS-Dokuzentrum Seminare anbieten und Gespräche mit Schülern.

Münchner Künstler, Handwerker und Kunsthandwerker arbeiten seit den 70er-Jahren in einigen der Lager-Baracken. So haben sie die Substanz erhalten. 2022 haben sie ein dreitägiges Kunstprojekt zur dunklen Vergangenheit des Ortes realisiert. Als 2005, im Rahmen der Bebauung von Freiham, alle Baracken abgerissen werden sollten, um ein Auslieferungszentrum von Aldi Süd zu bauen, wehrte sich die Künstlervereinigung Fauwe mit Erfolg gegen den Abriss.

Das ganze Gelände in Neuaubing steht unter Denkmalschutz

Die Folge: Auf dem ehemaligen Lager-Gelände gilt inzwischen Ensemble- und Denkmalschutz. "Die Menschen bleiben, die Erinnerung kommt als Aspekt dazu", lautet das Konzept. Die konkrete Planung bis 2028: Die Erdstraßen werden mit Kies und Magerrasen befestigt.

Die Baracke des Kindergartens "Die Ehrenbürger" wird saniert, auch die Räume der Kinder- und Jugendfarm. Die Baracken, die bis zu 50 Künstlern und Musiker als Ateliers und Bandübungsräume nutzen, bekommen ebenfalls eine Heizung und neue Dächer.

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Das Gelände wird sich verändern: Knallige rote und blaue Fensterläden können aus Denkmalgründen keinesfalls bleiben. Die Künstlerbaracken sollen der Optik von 1945 entsprechen, sagen die Künstler. Provisorisch angebaute Dächer müssen weg.

Sanierung sorgt für höhere Betriebskosten

Der Vermieter, die Stadt München, wird niemandem kündigen. Trotzdem ist für die Kunstschaffenden im Münchner Westen jetzt vieles ungewiss. "Die Sanierung hebt die Standards der Ateliers, aber damit auch die Kosten. Es ist sehr schwer für uns, günstige Räume zu finden. Wir kommen auch mit Holzheizung und Toilette beim Nachbarn aus", erklärt Bildhauer Peter Heesch, Vorsitzender des Künstlervereins Fauwe in Neuaubing.

Da alle Baracken auch innen saniert werden, brauchen die Künstler während der Bauphase ein Übergangsquartier.

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10 Kommentare
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  • Wickie712 am 31.05.2023 09:08 Uhr / Bewertung:

    Nun kämpft Deutschland diesesmal indirekt gegen Russland, in 100 Jahren somit das zweite Mal. Sollen dort wieder Russen eingesperrt werden?

    Die Menschen reden immer von "Wir dürfen die Geschichte nicht vergessen", aber derzeit tut es die Regierung sehr gut. Nicht nur im inaktiven Krieg gegen Russland und bei anderen Kriegen.

    Auch im Deichschutz wird die Vergangenheit vergessen.

  • Sarah-Muc am 30.05.2023 14:46 Uhr / Bewertung:

    Gedenkstätten werden benötigt, um die Erinnerung wachzuhalten. Die rechtsradikale Szene wächst und kaum einer nimmt das ernst! Ich denke da an die Reichsbürger -die in gewissen Kreisen völlig verharmlosend "Rollator-Gang genannt wird ! Alice Weidel von der AfD sagte "Rollator-Putsch".
    Aber das ist nur eine Gruppe. Die JungeAlternative wird vom Verfassungschutz beobachtet wegen
    Rechtsradikalismus. Das ist wirklich brandgefährlich.

  • Der wahre tscharlie am 29.05.2023 23:04 Uhr / Bewertung:

    Sehr gut. Die Erinnerung an unsere dunkle Zeit sollte wach gehalten werden.

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