Nach Kündigung: Kult-Trachtenladen macht an neuem Standort wieder auf

Ludwigsvorstadt - Was war das für ein Drama, als am Ende nichts mehr ging. Als letzten Sommer der Mietvertrag futsch war, und sogar der Obststandl-Didi, der begnadete Verkäufer, beim Abverkauf von Westen, Knöpfen und Haferlschuhen geholfen hat (AZ berichtete).
Ursula Fröhmer (75) war 43 Jahre mit ihrem Kultladen "Tracht und Heimat" im rosaroten Orag-Haus am Oberanger gewesen. Bis es diese unschönen Verwerfungen mit dem Vermieter gegeben hat, der Bayerischen Schneidergenossenschaft Orag – und die Kündigung nicht mehr aufzuhalten war.
"Tracht und Heimat" steht vor Neueröffnung in der Lindwurmstraße
Aber, was soll man sagen. "Tracht und Heimat" ist weg, einerseits. Aber dann doch wieder nicht ganz. Die Münchner Trachtenexpertin ist nämlich still und leise umgezogen, hinüber in die Lindwurmstraße. Außer der Stammkundschaft hat das nur kaum einer mitbekommen.
"Es war nämlich so", erzählt sie, "dass ich noch 50 Aufträge daliegen hatte, als ich hab zumachen müssen". Westen und Schmieserl für die Stadtkapelle Fürstenfeldbruck, vorbestellte Mieder und Röcke und Joppen. "Und ich hab begriffen, dass mir langweilig wird, wenn ich ab jetzt nix mehr zu tun hab."
Nach Zwangsauszug: "Tracht und Heimat" jetzt im Stickereigeschäft
Es ist dann ein großes Glück ins Unglück des Zwangsauszugs hineingeplatzt: Ihr Spezl Rolf Zoller, der mit seinen 84 Jahren immer noch sein Stickereigeschäft in der Lindwurmstraße 133 führt (seit 1978), hat die linke Hälfte seines Ladens für sie freigeräumt, und eines seiner zwei Schaufenster.
Auf den 36 Quadratmetern hat einiges Platz gefunden, was man aus dem alten zweistöckigen Tracht-und-Heimat-Laden kennt: Der Schneidertisch ihres Vaters ist jetzt eine Art Empfangstisch, eins ihrer zehn Holzregale ist hier, der Plüschaffe, der Dackel, der Fasan.

Anders als früher, wo sie meistens im ersten Stock in der Werkstatt beschäftigt war, kann sie jetzt aus dem Schaufenster die Laufkundschaft sehen. Laufend heben Passanten den Daumen, kommen Neugierige herein, es wird fachgesimpelt ("Ein Dirndl-BH muss von der Seite herdrücken und von unten hinauf"), es wird maßgenommen, anprobiert. Und viel geratscht. "Wunderbar", sagt sie, "das kleine Glück hier ist stärker als der Schmerz, mit dem ich den alten Laden geräumt hab." Aufträge liegen nun wieder etliche da. So schnell wird Ursula Fröhmer also schon wieder nicht aufhören können.
"Tracht und Heimat" im Orag-Haus – eine traditionsreiche Geschichte
Das rosarote Orag-Haus in der Altstadt, direkt am Jakobsplatz (1897 gebaut), gehört seit 1929 der Schneidereigenossenschaft Orag, die heute noch ihren Sitz dort hat. Ursula Fröhmers Vater verkaufte dort schon in den 50er Jahren in einem der Erdgeschoss-Läden Brautmode.

Im Stockwerk darüber wohnte die Familie, Ursula Fröhmer ist dort auch geboren. 1979 machte sie aus dem Brautmodegeschäft des Vaters "Tracht und Heimat". Als sie wenig später mit dem Volkskulturpfleger Volker Laturell das verschollene "Münchner Miedergwand", die Tracht der Kellnerinnen aus einem schwarzen Mieder, Silbergeschnür, Rock und Schurz, wiederentdeckte und nach alten Zeichnungen wieder zum Leben erweckte, wurde sie zur Berühmtheit in München.

Seither hat Ursula Fröhmer zig Vereine, Musikkapellen, Brauereikutscher und sogar das Musical Sound of Music über die Geschichte der Trapp-Familie mit Trachten ausgestattet, die vielfach nach historischen Modellen genäht sind. Lederhosen lässt sie in Niederbayern fertigen, Dirndlkleider werden von bayerischen Näherinnen genäht. 2018 wurde Ursula Fröhmer mit der "Ehrenmedaille für Verdienste um die Volkskultur in München" ausgezeichnet.
Das Kapitel Orag-Haus endete letzten Sommer, ihr alter Laden wird saniert und neu vermietet. Ursula Fröhmer ist nun 75 und macht mit "Tracht und Heimat" in der Lindwurmstraße 133 weiter.