Münchnerin (80): Geheilt von Liebe und Musik

Eine Münchnerin (80) spielt jede Woche aus Freude in einem Restaurant im Lehel Klavier – nach zehn Krebserkrankungen und einem Schlaganfall 
von  Anne Kostrzewa
"Für ein Glas Wein und Kritik" spielt Gertrud Kotoucz im Restaurant Porta Capuana. Die Gäste sind begeistert.
"Für ein Glas Wein und Kritik" spielt Gertrud Kotoucz im Restaurant Porta Capuana. Die Gäste sind begeistert. © Petra Schramek

Eine Münchnerin (80) spielt jede Woche aus Freude in einem Restaurant im Lehel Klavier – nach zehn Krebserkrankungen und einem Schlaganfall 

Lehel - Die Liebe und die Musik. Wenn Gertrud Kotoucz (80) aus ihrem Leben erzählt, sind es diese beiden Konstanten, die sie immer wieder aufgebaut haben, die ihr die Kraft gaben, zu kämpfen: „Liebe und Musik heilten meine ganzen Wunden“, sagt sie und blickt auf die schwarz-weißen Tasten vor ihr. Zehn Mal hat sie in den letzten 40 Jahren den Krebs besiegt, überstand zudem einen Schlaganfall, der ihre rechte Körperhälfte lähmte. Dass sie heute wieder Klavier spielen kann, grenzt an ein Wunder.

Ein Wunder, das Gertrud Kotoucz teilen will, so lange sie es kann. Seit Ostern spielt die Münchnerin deshalb jede Woche im italienischen Restaurant Porta Capuana im Lehel Klavier – ohne Honorar, nur „für ein Glas Wein und Kritik“.

„Die paar Konzerte, die ich pro Jahr spiele, sind mir einfach zu wenig“, erklärt sie und lacht. „Und daheim, ganz für mich allein, das macht auf Dauer keinen Spaß.“

„Tafelmusik“ nennt sie ihr Programm, das sie nahezu komplett ohne Noten beherrscht und jede Woche variiert. „Ich spiele schon auch klassische Musik, zum Beispiel Liszt und Chopin. Aber genau so, wie ich sie hören möchte. Mit meiner persönlichen Note darin.“

So zu spielen, „dass es ins Herz geht“, lernte sie von dem berühmten Komponisten Gert Wilden, den sie vor Jahren zufällig kennen lernte. Das Ergebnis klingt heiter, ohne aufdringlich zu wirken, beschwingt und doch gediegen. Damit passt Kotouczs Musik zum Ambiente der Porta Capuana, in der weinrote Sitzbänke, Kerzenschein und die freigelegten, indirekt beleuchteten Steinmauern eine warme Eleganz ausstrahlen.

„Ihre Musik hat mich von Anfang an begeistert“, sagt Geschäftsführer Gianni Mascia und füllt Kotoucz in einer Spielpause das Wasserglas nach. „Es passt genau hierher. Etwas Besseres hätte uns gar nicht passieren können.“

Gefunden haben sich die beiden, nachdem Kotoucz in einer Zeitungsannonce ihre Spielkünste angeboten hatte. Nach einem Probespielen am schwarzen E-Flügel des Lokals waren sich beide schnell einig. Und auch die Gäste wissen Kotouczs Spiel zu schätzen: Nach dem letzten Stück des Abends erntet sie aufrichtigen Applaus.

Kotouczs musikalische Karriere beginnt erst spät. Zwar nimmt sie als junges Mädchen Klavierstunden, kann ihrer Leidenschaft in den folgenden Jahrzehnten jedoch allenfalls in der Freizeit nachgehen, muss sie nach dem frühen Tod ihres ersten Mannes doch allein für ihre zwei kleinen Töchter sorgen.

Erst mit über 40 Jahren beginnt sie ein Musikstudium. Kurz darauf: die erste Krebserkrankung. Nach ihrer Heilung nimmt Kotoucz das Studium wieder auf – bis zur nächsten Diagnose, wieder ist es Krebs.

Was ihr durch diese schweren Zeiten hilft, sind die Orgel und das Klavier. Immer wieder gibt sie Konzerte, spielt gegen Schmerz und Krankheit an. Immer wieder bilden sich neue Tumore. 2003 hat Kotoucz bereits fünf Krebserkrankungen überstanden, als sie wegen falscher therapeutischer Hormongaben einen Schlaganfall erleidet. Ihre rechte Körperhälfte ist komplett gelähmt, sie kann sich nur im Rollstuhl fortbewegen, an Klavierspielen ist nicht mehr zu denken. „Damals wollte ich meinem Leben ein Ende setzen“, erinnert sie sich. „Ohne die Musik wollte ich nicht mehr leben.“

Ihre Töchter stehen der Mutter in dieser schweren Zeit bei, bringen ihr ein Keyboard ins Krankenhaus – und Gertrud Kotoucz fasst neuen Lebensmut. Tag für Tag sitzt sie nun vor den Tasten, trainiert ihre gelähmte Hand, bis das Gefühl langsam zurück kehrt. Und mit ihm erneut der Krebs.

Drei weitere Tumore besiegt sie mit Hilfe der Musik, dann verletzt sie sich bei einem Umzug die Hand. „Ohne das Klavierspielen schwand erneut mein ganzer Lebensmut. Für meinen Freitod war bereits alles vorbereitet.“

In letzter Minute findet sie die Tochter und bringt sie ins Klinikum rechts der Isar, wo Universitätsprofessor Hans-Günther Machens kurz darauf Kotouczs Hand operiert. „Ohne ihn könnte ich keinen Ton mehr spielen“, sagt sie rückblickend. „Ihm verdanke ich mein Leben.“ Noch zwei weitere Male kehrt der Krebs zurück. „Am Ende musste ich über die Diagnose fast lachen“, erinnert sich Kotoucz. „Es war einfach nicht zu fassen.“

Mehr als einmal wird ihre Tochter von ihren Lebensgefährten verlassen, als diese von Kotouczs Krankengeschichte erfahren haben. Zu groß ist jedes Mal die Angst, dass die Veranlagung vererbt werden könnte. Die Familie rückt mit jedem Schicksalsschlag näher zusammen.

Ob sie Angst vor dem Tod hat? „Nein“, sagt Gertrud Kotoucz bestimmt. „Wenn er kommt, bin ich bereit. Aber bis dahin habe ich noch viel zu tun.“

Das Klavierspielen in der Porta Capuana, ihre Tafelmusik, ist dabei eine ihrer größten Freude, sie ist das, was Gertrud Kotouczs Leben seit jeher bestimmt: „Ich bin dankbar, so lieben zu können, wie ich es tue, und mit meinem Klavierspiel Freude bereiten zu können.“

Porta Capuana, Thierschstraße 14, München. 63 89 30 41. Mo-Fr 12-14:30 Uhr, Mo-Sa ab 18 Uhr. (Klavierspiel: jeden Freitag, 20-22 Uhr, ab nächster Woche auch meist samstags)

 

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