Münchner Kindheit in den 60ern: Die kleinen Leute aus dem Lehel

Lehel - Aufgewachsen bin ich im Lehel in der Lerchenfeldstraße direkt am Englischen Garten. Mei war des schee! Da war die Paradiesstraße. So heißt auch heut noch die Straßenbahnhaltestelle. Und die Himmelreichstraße, die direkt in den Englischen Garten führte und gleich darauf zur Brücke über den Eisbach. Und scho war ma drin im Englischen Garten.
Und meine Straße war nur ein paar Schritte vom "Himmelreich" entfernt. Die gute alte Straßenbahn der Linie 20 fuhr auch noch. Die oft gebrauchte Redewendung war: "Schnell, i muaß no de 20er d'erwischen"!
Eine bunte Mischung im Lehel
In den 60er Jahren war das Lehel noch von einfachen Leuten und dem Mittelstand, wie zum Beispiel Beamte, bewohnt und die Mieten waren noch bezahlbar und zum Teil richtig niedrig. Ein paar reiche Leut' hat's freilich auch gegeben. Es war halt eine bunte Mischung der Bevölkerung Münchens.
Wenn man durch die Straßen spazierte, sah der eine oder andere der alten Lehelbewohner aus dem Fenster, ein Kissen unter den Armen und vertrieb sich die Zeit mit auf die Leute schauen und sehen, wer oder was sich da so rumtreibt.
Die Wohnungen in unserem Haus in der Lerchenfeldstraße wurden zur Zeit unseres Einzuges im Jahr 1961 nur an Staatsbedienstete vermietet. Auch damals war es schon schwierig, in München eine günstige Wohnung zu bekommen und mein Vater, der ja im öffentlichen Dienst als Polizeibeamter tätig war, bemühte sich immer wieder darum.

Die Miete damals kostete beim Einzug 139,80 DM. Mein Vater verdiente als junger Polizist nur so circa 50 DM in der Woche. Deswegen ging es nicht ohne den Verdienst meiner Mama als Straßenbahnschaffnerin, weil ja auch noch die Nebenkosten dazu kamen. Und der Lebensunterhalt war auch net umsonst. Am Anfang war erst nur mal ich da. Später kamen noch meine Geschwister und der Papa hat dann aber auch mehr verdient. Weil er ja auch befördert wurde.
Im Haus neben unserem, in einem Altbau wohnten zwei Freundinnen von mir. Wir Kinder spielten miteinander oft in den Hinterhöfen und der Hausmeister ärgerte sich, wenn wir zu laut waren.
Eine alte Wirtschaft gegenüber: guade Hausmannskost
Gegenüber von unserer Wohnung war gleich eine alte Wirtschaft, betrieben von den Wirtsleuten Lang. Dort hat's immer a guade Hausmannskost gegeben, wie einen zünftigen Schweinsbraten für wenig Geld. Für meinen Papa hab ich dort auch immer zwei halbe Flaschen Bier geholt, bevor er mal dienstplanmäßig in den Nachtdienst musste. In der Wirtschaft gab es einen gemütlichen Kachelofen. Und auf den hat der Jake, eines der damals vielen Originale im alten Lehel, immer nach reichlichem Biergenuss und weil er sich so wohlgefühlt hat, draufghaut, so dass man erschrocken zusammenfuhr. Aber er war sonst a ganz a ruhiger Mensch. Man kannte ihn ja schließlich.

Leider wurde das Gebäude samt der alten Wirtschaft mit dem kleinen gemütlichen Biergarten im Laufe der 70er Jahre abgerissen und ein neues Wohnhaus hingestellt.
Ein echtes Original im Lehel war auch die "Ant'n-Lina". Sie war eine ältere Frau, die immer im Englischen Garten mit ihrer Ente, die in einem alten Kinderwagen gebettet saß, spazieren ging. Es war so ein alter Korb-Kinderwagen aus den 50er Jahren. Die Ente saß ganz brav und gemütlich da drin, quakte fröhlich vor sich hin und ließ sich rumkutschieren.
Ganz viel Spaß hatten wir Kinder im Prinzregentenstadion. Wir waren dort im Sommer oft beim Baden, vor allem, als meine beste Freundin, die Katrin, und ich dann Teenager waren.
Liebgewonnene Tradition: Eislaufen im "Prinze" im Winter
Im Winter verwandelte sich das "Prinze", wie es liebevoll von uns genannt wurde, dann in eine Eislaufbahn. Auch da tummelte sich immer viel Volk und es war auch oft recht amüsant. Als junge Mädels sind wir von den Jungs immer mal angerempelt worden, was ja quasi zum Balzverhalten gehört und uns sehr viel Spaß machte. Nicht unbedingt das Anrempeln, aber dass man dann miteinander fuhr und flirtete, das war doch prima.
Am Hirschanger im Englischen Garten wurde von der Schule aus Sport getrieben. Völkerball war für uns der Hit, na ja, jedenfalls für die meisten von uns. Dort wurden auch die Bundesjugendspiele veranstaltet mit Laufen, Werfen und Springen. Besonders stolz war ich, wenn ich eine Siegerurkunde bekommen hab.
In der Emil-Riedel-Straße gab es in den 60er Jahren eine Polizeiinspektion. Gegenüber befand sich ein Milchladen. Dort holte ich immer mit einer blechernen Milchkanne einen Liter Milch. Als ich mal wieder Milch holen sollte, stellte ich fest, dass das Geschäft geschlossen war, obwohl es um diese Zeit offen hätte sein müssen. Ich blickte durchs Fenster, konnte aber leider nichts entdecken.
Ein paar andere Leute wollten auch einkaufen und wir rätselten, was da wohl los sei.
Unverrichteter Dinge gingen wir schließlich wieder nach Hause. Später erfuhren wir, dass unsere gute Milchfrau mit einem Ziegelstein erschlagen worden war. Ein Mordfall gegenüber der Polizeiinspektion, das war für uns alle in der Gegend unfassbar. Der Mord wurde Gott sei Dank aufgeklärt. Die näheren Umstände weiß ich nicht, ich war ja damals noch ein Kind. Das Milchgeschäft wurde auf immer geschlossen. Auch die Polizeiinspektion gibt es da schon lange nicht mehr. Das hatte aber nichts mit dieser Mordgeschichte zu tun!
Einkaufen im Tante-Emma-Laden
In unserer Lerchenfeldstraße war ein - man würde jetzt sagen - Tante-Emma-Laden. So ein richtig gemütliches kleines Lebensmittelgeschäft. Damals gab es noch keine großen Lebensmittelketten. Dieser kleine Laden hatte jedenfalls alles, was man brauchte. Natürlich gab es in der näheren Umgebung auch einen Metzger und einen Bäcker. Und es ging noch recht gemütlich und persönlich zu.
Das Geschäft in unserer Straße wurde von der Frau Meerwald betrieben. Als kleines Mädchen ging ich dort immer zum Einkaufen, wenn meine Mama was vergessen hatte.

Obwohl ich nie gern einkaufte, ging ich nicht ungern hin, weil ich immer was geschenkt bekam. Die gute Frau Meerwald hatte mir immer etwas zugesteckt. Entweder Bonbons, Lutscher oder Brause, das kribbelte immer so schön. Oder auch mal kleine Figuren (wie der kleine Bär von der "Bärenmarke"), mit denen ich spielte.
Die Leute, die bei ihr einkauften, ratschten oft gerne miteinander, besonders wenn sie viel alleine waren. Vor allem die alten Leut' sprachen über Gott und die Welt und auch mal über ihre Leiden. Frau Meerwald wusste immer, was so im engen Umkreis los war und dann wurde tüchtig getratscht.
Es wurde getuschelt über die kleinen "Skandale" in unserer kleinen Welt, von denen ich damals aber leider noch nichts verstand. Na ja, wer mit wem eine Liebschaft hatte und andere spannende Dinge. Frau Meerwald sagte zum Beispiel: "Ja Frau Meier, wia geht's denn so, wos macht de Gicht, derfs bei der Wurscht a bissl mehr sei? Und meng's vielleicht no an Senf dazua. Ham's scho ghert, wos der Saubua von do drüb'n wieder ogstellt hot?" Tja, das klang doch alles recht gemütlich.
Schulkollegin Therese Giehse, Schulspeisung mit Kakao und Brezen
Im Jahr 1963 kam ich in die St.-Anna-Schule. Einige Jahrzehnte vor meinem Schuleintritt hatte die
eine sehr bedeutsame Schülerin. Es war Therese Giehse. Sie besuchte die Schule vor dem Ersten Weltkrieg. Ob sie damals schon ahnte, dass sie eines Tages eine berühmte Schauspielerin werden würde?
Worauf wir uns immer ganz besonders freuten, waren natürlich die Pausen. Die sogenannte große Pause dauerte circa 20 Minuten und wenn das Wetter schön war, durften wir auf den Schulhof. Da gab es noch die Schulspeisung, die aus Milch und Semmeln oder Kakao und Brezen bestand.

Ich bestellte mir immer Kakao und Brezen, weil mir das am besten schmeckte. Es kostete ganz wenig und für die bedürftigen Schüler war es sogar umsonst. Die Pause wurde von uns Mädchen auch dazu genutzt, Gummi-Twist zu spielen. Das war sehr beliebt.
Besonders gern waren wir an den Faschingsdienstagen in der Schule. Wir durften maskiert kommen und in der Klasse Fasching feiern. "Ois wos gehst denn Du?" hat's da geheißen.
Schwindeln bei der Beichte vor der Kommunion
In der dritten Klasse hatten wir Kommunion, die in der Pfarrkirche St. Anna gefeiert wurde. Bevor wir zur Kommunion gehen durften, mussten wir erst beichten. Wir standen schön brav an den Beichtstühlen in der Kirche an und als der kleine "Sünder", ausgestattet mit einem oder zwei "Vaterunser" (oder auch mehr, je nach "Sündenlast"), die einem zu beten auferlegt waren, aus dem Beichtstuhl rauskam, wurde geflüstert: "Wos host du denn gebeichtet? I woaß net recht, wos i song soi."

Ich fürcht', wir haben dann bereits im Beichtstuhl irgendwas zusammen geschwindelt, zum Beispiel ein paar kleine Sünden, wie "den Eltern mal nicht gehorcht zu haben" und Ähnliches. Irgendwie hatten wir aber so gar kein schlechtes Gewissen dabei...!
In der Fürstenrieder Straße betrieb in den 50er/60er Jahren der Opa von meinem älteren Cousin Werner einen Kiosk mit allen möglichen Zeitungen, Zeitschriften, Micky-Maus-Heftl, Fix und Foxi und vieles mehr. Der Werner lief nach der Schule oft zu seinem Opa hin und bekam immer ein Fix-und Foxi-Heftl geschenkt. Ich mochte lieber die Micky-Maus-Heftl und Donald Duck.
Ich könnt viele Geschichten erzählen. Meine meist schönen Erinnerungen an eine gemütlichere, charmantere, liebenswerte und nicht gar so schnelllebige Zeit bleiben.