München: Ein Spaziergang mit Wolfgang Roucka durch Schwabing

Gibt es ihn noch, den Schwabinger Künstler? Und wo sind mehr Musiker als Gäste? Ein Viertel- Spaziergang mit Wolfgang Roucka.
von  Anja Perkuhn
Wehmut vor dem „Podium“.
Wehmut vor dem „Podium“. © ape

München - Das Beste und Schönste auch am heutigen Altschwabing ist natürlich der Wedekindplatz, gar keine Frage für Wolfgang Roucka. Hier hat in den Sechzigern seine gemeinsame Geschichte mit Schwabing begonnen – hier im Herzen des Stadtviertels dauert sie noch immer an, mit seinem Studio und seiner Galerie in der Feilitzschstraße.

Obwohl, Stadtviertel, da ist er sich einig mit der Münchner Boheme-Gräfin Fanny von Reventlow und der Schaufensterscheibe eines Optikers in der Nähe: Ein Stadtviertel ist Schwabing ja eigentlich nicht, kein Ort – sondern ein Zustand. „Es gibt hier noch einige Wenige, die tatsächlich hier geboren und aufgewachsen sind“, sagt Roucka (76), der im Alter von 18 Jahren aus Passau herzog. „Aber die meisten kommen aus München entweder hier her, um zu essen und zu trinken – oder sie haben eine Eigentumswohnung gekauft unter dem Label ,Schwabing’.“

Die sehr neuen Bauten sind gefühlt ein sehr altes Thema hier im Umfeld der Münchner Freiheit. „Grauenvoll, mehr als grauenvoll“, nennt das Schwabinger Original Roucka beispielsweise die Fassade der Häuser, die dort in der Feilitzschstraße stehen, wo einst die legendäre „Schwabinger 7“ zu finden war.

Schwabinger Gisela im Alter von 85 Jahren gestorben

Und er schüttelt langsam den Kopf, als der Weg ihn an dem kleinen, verblichenen Flachbau in der Franzstraße vorbeiführt. „Hier gibt’s noch jeden Abend Livemusik, da sind meistens mehr Musiker drin als Gäste, weil’s so herrlich klein ist“, sagt er. „Irgendwann kommt hier auch der Abriss und dann wird’s das auch nicht mehr geben.“

Am winzigen gelben Haus an der Seestraße 2 bleibt er extralange stehen: „Das älteste Haus hier, ein Relikt aus der romantischen Zeit“, sagt er. An dem kompakten Bau aus dem 19. Jahrhundert kann man ablesen, wie die Straße, das ganze Viertel einmal ausgesehen haben muss – eine Ansammlung simpler, geduckter Häuser, dicht an dicht.

Schreckgespenst Abrissbagger

Aber alle älteren Häuser hier erhalten, um die Vergangenheit zu konservieren? Das lehnt Roucka ab. „Dinge verändern sich einfach immer, alles hat seine Vergänglichkeit und nicht alles ist schützenswert.“ Zum Beispiel der rostrote Bau in der Wagnerstraße 3 und vorn an der Ecke die Nummer 1, in der das „Schwabinger Podium“ unterkommt – auch ein Lokal mit Livemusik.

Der geplante Abriss hat Bürgerproteste nach sich gezogen, „und es ist ja auch gut und schön, wenn man sich für alte Häuser einsetzt“, sagt Roucka. Ich bin sehr für den Erhalt meines geliebten Schwabings, des Schwabinger Flairs. Aber die zählen für mich zu den Häusern, die abgerissen gehören, weil es viel zu teuer wäre, sie wieder in einen vernünftigen Zustand zu versetzen.“

Sagt Roucka, der 2011 rausmusste aus seiner Wohnung in der Kaierstraße, weil das Haus luxussaniert wurde. „Das Schreckgespenst Abrissbagger beherrscht Schwabing immer mehr“, sagte er damals. Heute sagt er auch: „Man muss abwägen, wo etwas für die Zukunft Sinn ergibt – und wo man sinnvolles Neues verhindert.“

Im Werneckhof in der namensgebenden Straße ist etwas Neues aus etwas Altem entstanden: „Früher war das ein äußerst beliebtes Lokal, die Küche französisch angehaucht.“ Heute haben die drei Brüder der Hotelierdynastie Geisel hier ein Sterne-Restaurant etabliert, mit Sterne-Preisen. „Da geht der Schwabinger nicht mehr hin.“

Ein Wochenende mit...Wolfgang Roucka

Aber dieses mystische Wesen, „der Schwabinger“, dieser Boheme-Künstlertyp mit der Idee, die Welt zu verändern (gleich nach dem nächsten Weinglas), an den sogar Hannoveraner und Berliner denken, wenn sie „Schwabing“ hören: Gibt es den überhaupt wirklich? Gab es den jemals?

Roucka lacht: „So viele Künstlertypen wie hier in den Sechzigern, Siebzigern unterwegs waren, hätten alle gar nicht in die Wohnungen gepasst. Die kamen von außerhalb.“ Vor zehn, 15 Jahren hatte die Gegend eine Durststrecke, „als plötzlich alle Jüngeren abends nach Pasing gingen, zum Kunstpark Ost, ins Glockenbachviertel“, sagt Roucka. „Jetzt sind die Bars und Restaurants aber wieder jeden Abend voll – die Seerose, die neue Schwabinger 7 im Keller. Der Wedekindplatz ist im Sommer gerammelt voll.“

Auch Alexander Vesely, dem der leuchtend bunte Kiosk an der Münchner Freiheit gehört, sagt: „Die Gegend ist gerade wieder im Kommen. Zum Glück! Mir taten die Touristen immer leid, die herkamen, weil in ihren Reiseführern stand: ,In Schwabing ist richtig was los.’ Und dann wurden hier um 23 Uhr die Bordsteine hochgeklappt.“

Aber nun ist ja wieder was los in Schwabing. Dem Stadtviertel, das einfach keines sein möchte.

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