Mordopfer Domenico: Er liebte München und das Leben
München, Potenza - Es ist ein Schicksal, das die Menschen berührt. Nicht nur in München. Unter riesiger Anteilnahme ist Domenico L. (31) am Wochenende in seiner süditalienischen Heimat Potenza beigesetzt worden. Mehr als tausend Menschen nahmen in der Kirche San Giovanni di Bosco Abschied von dem Ingenieur, der vor einer Woche in München an der Isar zwischen Deutschem Museum und Patentamt ermordet worden war.
Der Täter hatte erst Domenicos Verlobte Tilda (Name geändert) angespuckt und dann Domenico, als er den Fremden zur Rede stellen wollte, mit einem einzigen Stich mitten ins Herz erstochen. Der junge Ingenieur verblutete in den Armen seiner Verlobten.
In seiner Heimatstadt Potenza (70.000 Einwohner) hat die AZ gerade langjährige Freunde von Domenico und dessen Familie getroffen. Sie öffneten für die AZ ihre Fotoalben. „Wir wollen, dass die Welt erfährt, was für ein besonderer Mensch Domenico war“, sagt Don Fabio, ein Priester des Salesianer-Ordens aus Neapel. Er hat einen Glaubensbruder verloren – und einen sehr guten Freund. Für das, was in München geschah, hat er nur ein einziges Wort: „assurdo“ - sinnlos, absurd.
Domenico, jüngstes von vier Geschwistern, ist dem Geistlichen schon früh aufgefallen. „Domenico wollte immer mehr wissen als die anderen. Er war sehr neugierig, sehr interessiert.“ Don Fabio beschreibt Domenico als einen sehr lebensbejahenden Menschen. „Sein Lachen war ansteckend“, bestätigt Sergio (33), ein Schulfreund des Ermordeten.
Domenico L. kommt aus einer traditionellen, sehr gläubigen Familie. Sein Vater war presidente comunità montana, eine Art Gemeindevorstand und Mitglied in der ehemaligen katholischen Volkspartei Democrazia Cristiana (DC), der auch der frühere Ministerpräsident Giulio Andreotti angehörte. Als Domenico 15 Jahre alt war, kam der Vater bei einem Unfall ums Leben. Seine Mutter, die heute schwer krank ist, blieb mit den vier Kindern allein.
Schon früh engagierte sich Domenico in der Kirche. „Er setzte sich vor allem für die Schwachen ein, zum Beispiel für Kinder aus schwierigen Verhältnissen“, berichtet der Priester. „Er war ein Vorbild für sie und ein guter Lehrer.“ 2001 reisten Don Fabio und Domenico für sechs Wochen zusammen nach Afrika – ein kirchliches Hilfsprojekt. „Er hatte eine sehr starke Ausstrahlung. Die Kinder haben ihn geliebt“, sagt Don Fabio. Anstatt zur Beerdigung Blumen zu schenken, bat die Familie nun nach Domenicos Tod darum, für das afrikanische Hilfsprojekt zu spenden: „Das wäre in seinem Sinne gewesen.“
Alle Freunde berichten, dass Domenico einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hatte. Vermutlich deswegen drehte er mit seinem Fahrrad um, nachdem seine Freundin angespuckt worden war. „Er wollte den Mann einfach fragen, warum er das gemacht hat“, vermutet Don Fabio. Statt einer Antwort bekam Domenico einen Stich ins Herz.
Domenico L. war in seinem Leben viel herumgekommen. Der Luft- und Raumfahrtingenieur hatte in Rom und New York studiert und zeitweise auch in Liverpool gelebt. Als seine Verlobte in München einen guten Job als Übersetzerin bekam, zog er vor zwei Jahren zu ihr. Don Fabio: „In Stuttgart hätte er damals auch einen sehr guten Job bekommen können. Aber er wollte bei ihr sein.“
Anfang des Jahres zogen die beiden in eine schöne, ruhige Wohnung mitten in Haidhausen. „In München fühlte sich Domenico angekommen“, erzählt Don Fabio. „Er hat diese Stadt sehr geliebt.“ Im kommenden Jahr wollten Domenico und Tilda heiraten. „Er wäre ein sehr guter Vater geworden“, sagt der Freund und Priester. Von Domenico habe man viel lernen können – „er konnte Kindern so vieles vermitteln“.
Als Tilda vergangene Woche nach Potenza reiste, um ihre große Liebe zu begraben, nahm sie aus München Domenicos Tagebuch mit. In das Heft schrieb der junge Ingenieur viel über seinen starken Glauben – und über die Liebe. Die Familie möchte Domenicos Tagebuch veröffentlichen.
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