Mission Schildkröte

Schmuckschildkröten, Schnappschildkröten, Zierschildkröten: In einem neuen Projekt registriert die Auffangstation für Reptilien Exoten-Sichtungen in ganz Deutschland.
Schwabing - Die Europäische Sumpfschildkröte, die einzige in Süddeutschland heimische Schildkrötenart, war in Bayern früher weit verbreitet. Ihr Fleisch galt als Arme-Leute-Speise und am Karfreitag als Fisch. Deshalb durfte Emys orbicularis auch an diesem Feiertag verzehrt werden. Mittlerweile wird die Art als bedroht eingestuft. Die Trockenlegung von Gewässern und der Abbau von Torf in den Mooren haben große Teile ihres natürlichen Lebensraumes zerstört.
Besonders problematisch: In den verbliebenen Territorien breiten sich zunehmend exotische Reptilien aus, die ihre Besitzer dort ausgesetzt haben. Schmuckschildkröten, Zierschildkröten, aber auch Alligatorschildkröten wie „Lotti“ bedrängen den bayerischen Ur-Einwohner, machen ihm Futter und Sonnenplätze streitig.
Da niemand weiß, wie groß die Population der gepanzerten Einwanderer ist, haben die Experten der Münchner Auffangstation für Reptilien die „Mission: Turtle Spotter“ gestartet: Spaziergänger, Angler und alle anderen Tierfreunde sind aufgerufen, Schildkröten an Baggerseen, Tümpeln, Weihern oder Flüssen zu melden – am besten mit Foto. Die Sichtungen werden auf der Homepage der Station in einer interaktiven Karte angezeigt. Schon jetzt kann man dort sehen, dass am Lerchenauer See offenbar Gelbwangen-Schmuckschildkröten leben, die eigentlich in den USA zuhause sind. Dieselbe Art wurde auch am Hundesee beim Rangierbahnhof München-Nord beobachtet, in dem ein aufmerksamer Passant auch eine Florida-Rotbauchschmuckschildkröte entdeckte. Auch im Langwieder See paddelte eine Schmuckschildkröte einem Fotografen vor die Unterwasser-Kamera.
Das Dilemma an der neuen Artenvielfalt: Die Exoten bedrohen nicht nur die Restbestände der Europäischen Sumpfschildkröte. Sie sind aufgrund des ungewohnten deutschen Klimas selbst in Gefahr. Viele überleben den ersten Winter „in Freiheit“ nicht, andere vegetieren mehr schlecht als recht vor sich hin. „Schildkröten auszusetzen ist weder Tierliebe noch ein Kavaliersdelikt“, sagt Markus Baur, Leiter der Auffangstation. „Genau so gut könnte ich meinen Hund an der Raststätte anbinden.“
Zudem kann die Begegnung mit einigen Schildkrötenarten äußerst schmerzhaft enden, wie der Fall „Lotti“ gezeigt hat. Vergangenen Sommer kletterte ein Bub mit schweren Verletzungen am Fuß aus dem Oggenrieder Weiher bei Irsee. Etwas hatte ihm die Achillessehne durchtrennt. Mehrere Reptilien-Experten, die Bilder der Wunde begutachtet hatten, waren sich einig: Der Kleine war mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Alligatorschildkröte gebissen worden.
Weitere Infos zum Projekt gibt die Auffangstation auf ihrer Homepage.