Maxvorstadt: Ein Besuch bei Münchens Tattoo-Pionier
Maxvorstadt - "Setzen wir uns auf meinen Arbeitsplatz, da fühl’ ich mich am wohlsten", sagt Neumie und deutet auf die Stühle neben einer der Liegen, auf denen sich täglich Kunden von ihm verzieren lassen.
Man muss von außen schon genau hinschauen, um das Tattoostudio in der Erzgießereistraße zu entdecken. Dabei gehört Neumie quasi zu den Pionieren der Tätowierer in München. "Als ich damals angefangen habe, gab es in der Stadt vielleicht drei oder vier Studios, heute sind es eher 30 bis 40", erzählt er.
Mit 13 Jahren stach er zum ersten Mal eine Nadel in Haut. In die eigene. Das Symbol für den Mars brachte er sich gut versteckt an, seither sind unzählige weitere Motive auf seinem Körper hinzugekommen. Wie viele Tattoos der 47-Jährige insgesamt hat? "Ein großes." Er erinnert sich: "Maschinen und Farben zu bekommen, war damals wahnsinnig umständlich. Das musste man über Amerika machen, außerdem haben die konkurrierenden Tätowierer nicht verraten, woher sie ihre Farben bezogen." Die Lösung: Dann baut man die Maschine halt selbst. Fahrradklingeln und Rasierer seien gut geeignet, erklärt Neumaier. Seinen rechten Unterarm hat er mithilfe einer Gitarrensaite verziert.
Vater war nicht begeistert
Sein Vater ist damals freilich wenig begeistert vom Berufswunsch des Sohnes, mit 18 schmeißt er ihn raus. So zieht der junge Münchner Tätowierer nach einer Ausbildung zum Schriftenmaler nach Sacramento in Kalifornien, über vier Jahre hinweg ist er immer wieder in den USA. 1994 schließlich kehrt er endgültig in seine Heimatstadt zurück und eröffnet sein eigenes Studio, damals noch in der Domagkstraße.
Heute gibt er auch Seminare, zwei Tätowierer hat er schon selbst ausgebildet. Geübt wird auf Schweinehaut und Obst und natürlich auf der eigenen Haut. Zwar müsse jeder selber wissen, was er sich zutraut. Zwei bis drei Jahre dauere es aber schon, eine ordentliche Ausbildung zu absolvieren, sagt Neumie.
Unabdingbar: Hygiene und Konzentration
Neben dem technischen Können gehört da auch Hygienekunde, Erste Hilfe, Kundenumgang und genaues Wissen über die Geräte und Farben dazu. "Es gibt immer neue Maschinen oder Methoden – ich bin auch immer noch am Lernen."
Nicht nur das Equipment, das heute sterilisiert und verschweißt und als vollständiges Set verkauft wird, ist heute ein anderes. Auch die Motive, die sich die Kunden wünschen, sind vielfältiger. Zwar sieht man auch heute noch häufig die alten Matrosenmotive, Schwalben und Kreuze. Doch heutzutage sind Tattoos wahre Kunstprojekte, die Tätowierer und Kunden gemeinsam austüfteln.
70 Prozent der Kunden sind weiblich
"Am Anfang setz’ ich mich mit dem Kunden zusammen und wir ratschen einfach nur", erzählt Neumie. Oft merkt er schon bei diesem Gespräch, ob sein Gegenüber entspannt ist oder doch sehr nervös. "Wenn ich dann den Eindruck habe, dass jemand sehr unsicher ist, lasse ich das gleich." Rund 70 Prozent seiner Kunden sind weiblich. "Frauen sind da selbstbewusster und überlegen meist genauer, was sie haben wollen," berichtet er, "ein Tattoo ist heute nicht irgendein Bild, das sind Verzierungen und Ganzkörperprojekte."
Kunstvolle Schriftzüge, detailreiche Mandalas, oder sehr persönliche Tattoos sticht er heute viel. An der Wand hinter ihm hängen die Schablonen, die auf der Haut angebracht werden, bevor die Nadel surrt. Darunter die Tochter eines Freundes zur Maria stilisiert. "Das ist ein sehr persönliches Bild, das finde ich schön", sagt Neumie. Und die Trendmotive? "Federn, Kompasse und Weltkarten sind die Arschgeweihe von heute", sagt er lachend.
Auch wenn er einem jungen Mann, der eine Wette verloren hatte schon ein Einhorn mit, nun ja, phallischem Horn verpasst hat – alles macht Neumie nicht. "Politische Motive, die verfassungswidrig sind, oder einfach Geschmacklosigkeiten mache ich nicht. Oder wenn ich merke, dass einer gerade 18 ist und eine Gangsterphase hat. Wer noch völlig untätowiert ist, bekommt bestimmt kein Bild von mir auf den Hals, ins Gesicht oder auf die Hände."
Wegschicken tut er auch Minderjährige und Betrunkene – letztere kommen eh meist nur zur Wiesn. "In der Zeit machen wir immer viele Maßkrüge, Wiesnschriftzüge oder diese depperten Hüte. Das sind aber ausschließlich Touristen, sowas lässt sich kein Münchner machen."
Wie viele Menschen inzwischen mit einem seiner Kunstwerke herumlaufen, weiß Neumie nicht. "Oberer vierstelliger Bereich", schätzt er." Das Ende ist allerdings nicht in Sicht.
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