Ludwigskirche: Zu viel Liebe vor dem Herrn

Abtreibungsbefürworter sollen knutschend einen Gottesdienst gestört haben. Vor Gericht kommt alles anders.
Maxvorstadt - Es klingt ein bisschen wie eine Aktion von Pussy Riot – jener Anti-Putin-Aktivistinnen, die gerne mal maskiert einen Gottesdienst stürmen. Im Februar soll eine ähnliche Aktion in der Ludwigskirche passiert sein. Bei einem Gottesdienst von Abtreibungsbefürwortern soll sich eine Gruppe Jugendlicher mit einer Regenbogenfahne Zutritt zur Kirche verschafft haben, um publikumswirksam zu knutschen. Eine der mutmaßlichen Kuss-Aktivistinnen saß gestern wegen „Störung eines Gottesdienstes“ auf der Anklagebank des Amtsgerichts München. Doch sie will nie in der Kirche gewesen sein.
Mara R. (Name geändert) wirkt trotz ihrer vielen Nasenringe, ihren wild geschnittenen und grün-schwarz gefärbten Haaren fast schüchtern. Die 21-Jährige spricht kaum und nur ganz leise. Im Februar hatte es eine Demonstration von Abtreibungsgegnern gegeben, mit anschließendem Gottesdienst – und eine Gegendemo. Auf dieser Demo sei sie gewesen, lässt sie ihre Anwältin erklären. In die Kirche sei sie dann aber nicht mehr gegangen, weil sie keine Lust auf „Stress“ hatte.
Nur als es Gerangel gab – die angeblich knutschenden Demonstranten wurden von Ministranten kurzerhand rausgeschmissen –, sei sie wieder zum Kircheneingang gegangen und fälschlicherweise als Mitstörerin identifiziert worden.
Alles das wären Dinge, die man in der Hauptverhandlung klären könnte. Dumm nur, dass der einzig geladene Zeuge die Ereignisse im „mystischen Dunkel“ der Kirche gar nicht gesehen hat. Überhaupt scheint Pfarrer Markus Gottswinter die Störung des Gottesdienstes, bei dem er nur Zuhörer war, gar nicht so schlimm zu finden. Als es passierte, sei man gerade beim Brotbrechen gewesen, die Stelle, an der man für Frieden bete: „Da hätte die bunte Peace-Flagge theologisch ganz gut gepasst“, führt Gottswinter heiter aus. Der Angeklagten entgleiten da kurz die Gesichtszüge.
Ein Knutschen habe er nicht beobachtet, eine richtige Unterbrechung habe es auch nicht gegeben. In einer Kirche wie der Ludwigskirche, in die teilweise Menschen mit „religiösen Neurosen kommen“ und „sich auf den Boden werfen“ lasse man sich als Pfarrer nicht so leicht aus der Fassung bringen, erzählt Gottswinter.
Die Amtsrichterin, die gehofft hatte, das Verfahren rasch beenden zu können, merkt recht schnell, dass sie um weitere Zeugen nicht rumkommt. Doch weil sie drei Wochen in den Urlaub fährt – länger darf eine Prozessunterbrechung nicht dauern –, muss das Verfahren im September noch mal von vorne beginnen. Mit neuen Zeugen – und wahrscheinlich weniger amüsant.