Leopoldstraße: Großer Wandel auf der Meile

Die Leopoldstraße war mal der Hotspot der Flaneure und auch der Prominenz - wehmütig erinnert sich der AZ-Stadtspaziergänger.
Anfang der 80er kam ich nach München, übernahm ein Fotostudio - und ein Model zeigte mir mein erstes Stammlokal in der Stadt, in dem ich oft Abende lang Mäuschen spielte, in einer Ecke bei einem Glas Wein saß und wartete, bis Klatschkolumnist Michael Graeter mit seinem Promigefolge erschien und den - immer für ihn komplett reservierten Tisch - in seinem "Extrablatt" einnahm. Das hatte was.
Auch das "Munich" nebenan war immer ein Garant für Filmflair und Adabeis. Oft fuhren die Schickis und Mickis mit teuren Autos vor, um gesehen zu werden. Und meist entdeckte man irgendwo an den Karossen versteckt den Hinweis einer Autovermietung, bei der man - auf Kosten der Kühlschrankfüllung - den Schlitten für zwei Stunden mietete, ständig die Leopold rauf und runter fuhr und immer sehr publikumsträchtig einparkte - um bloß Minuten später wieder aufwendig zu starten. Man hatte ja wahnsinnig viele Termine und war wichtig.
Alle waren beim Film, meist bei Tesafilm und auf dem Weiterweg traf man in der Regel den Schwabinger Dieter, der eine Zigarette für sich und seine Freundin schnorrte und einem einen Schluck aus seiner Lambrusco-Flasche (dem teuren für Einsfünfzig die 2-Liter-Flasche) aufdrängte. Er war ja schließlich kein Schnorrer.
Und da war noch Graf Horror Charly mit seinen legendären Horrorshows und seinen Fellini-gleichen Geburtstagsorgien im Schwabingerbräu, ungenehmigtem Striptease auf der Bühne und Gagen, auf die die Künstler sicherlich noch heute warten. Vergebens, denn Charly ist nicht mehr da, irgendwann blieb (symbolisch) der Sargdeckel, ein Teil seiner damaligen Shows, einfach zu.
Links und rechts der Pappelallee, fast bis zum Siegestor, trafen sich abends die Künstler, die ihre Kunstwerke anboten. Vom Wolpertinger bis zur eigenen Karikatur von Peff (ich glaube so nannte er sich), war alles zu haben. Wenn's dunkel wurde, leuchteten an jedem Stand kleine Lämpchen oder Kerzen, und es war einfach wunderschön dort. Alles war auf den Beinen und in Bewegung.
Es gab das "Domicil", das "Round up", das "Sunset", bei dem das erste Bier immer mit Korn war, also ein Gedeck für 15 Mark mit einem Billigstschnaps, der meist irgendwo in der Ecke stehenblieb, eigentlich fast nur geeignet, um Warzen wegzubrennen. Dann das "Cafe Servus", den "Country Keller" und vieles mehr.
Das "Rialto", bei dem man froh sein konnte, einen Platz in der Poolposition zu bekommen, einfach nah dran an dem Catwalk, dem Gehweg. Irgendwie war die Straße sehr italienisch. Aber - fast alles ist verschwunden. Das Rialto wurde übernommen, die hübschen Kellnerinnen sind längst durch Selbstbedienung ersetzt.
In dem Hauseingang dort saß immer ein junger Mann auf allen vieren, und wenn jemand vorbeiging, sprang er aus der Deckung und bellte laut. Je nach Erschreckensgrad sprangen die überraschten Passanten dann heftig zur Seite. Jahrelang bellte er dort, bis seine Stimme gefährlicher klang wie die der Hunde. Im Anschluss ging er mit einem Pappbecher herum und sammelte unter den belustigten Kaffeehausbesuchern seinen Obolus.
Nachts, oft nach Shootings, denn Schwabing erwachte ja erst abends so richtig, ging's noch bis 3 Uhr ins "Adria" auf eine Pizza. Damals so ein bisserl der Lumpensammler, denn sonst hatte ja - Stichwort: Sperrstunde! - kaum noch etwas auf. Und siehe da, das "Adria" gibt's sogar noch.
Sicher ist es immer noch schön, an der Leopoldstraße einen Cappuccino zu trinken, aber das Flair ist nicht mehr so recht da. Und auch nicht das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein.
In diesem Sinne eine schöne Woche
Ihr
Sigi Müller