Leerstand in München nimmt zu: "Mit so viel Geldgier macht man die Geschäftsstraßen kaputt"
Schwabing – Es ist halt alles eine Frage der Perspektive. Neulich erst hat eine Dame aus Georgia sich kaum eingekriegt vor lauter Staunen über die Tausende von Jeans, die Alexander Bertrand (69) in seinem Laden bis zur Decke gefaltet hat, von der Original Levis 501 von 1954, die noch in Amerika produziert worden ist, bis zu den neuen Exemplaren Marke Blaumann, Made in der Oberpfalz.
"Sowas wie mich hier in der Hohenzollernstraße, hat sie gemeint, das gibt's in den ganzen USA nicht mehr", sagt er. Aber nicht nur Touristen perlen hinein in seinen Kultladen (seit 1931), den es sogar länger gibt als die "Strumpf-Tante" (1936) von Ingrid Staab ein paar Meter weiter. Auch Schwabinger, Giesinger und Umlandmenschen von Erding bis Starnberg kommen. Weil der "Bertrand" auch die hochwertigste Berufskleidung hat, die man kriegen kann. "Wieso soll ich da zumachen", sagt er, "macht doch Spaß."

Andererseits ist es so, dass zum Beispiel schräg gegenüber der Metzger Reiter vor gefühlt zehn Jahren zugemacht hat, und seither nichts nachgekommen ist. Die Mieterhöhung habe ihn vertrieben, hieß es in der Nachbarschaft. "So lange ein Eck in einer Geschäftsstraße veröden lassen, das ist unanständig", findet Bertrand, "Eigentum verpflichtet doch."
Hohenzollernstraße in München: Gerade kleine Läden haben zu kämpfen
Allein am östlichen Ende der Hohenzollernstraße, wo Palwascha Hamid bald 20 Jahre ihren Schmuckladen Sucre führt, kann sie auf fünf leerstehende Geschäfte schauen. Mehr als 100 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter werden da von den Eigentümern aufgerufen, habe ihr eine Maklerin erzählt. Gerne da freilich, wo zuvor das ganze Haus saniert (oder unauffällig verkauft) worden ist.

"Wer soll denn das mit einem kleinen Laden reinverdienen?", fragt die Ladenchefin, die das Glück hat, einen fairen Vermieter zu haben – und halbe Schulklassen, die sich bei ihr Ohrlöcher stechen lassen. "Mit so viel Geldgier kann man auch Geschäftsstraßen kaputt machen." Natürlich, das Ladensterben der Münchner Innenstadt, bedingt durch zu hohe Mieten, viel Onlineshopping oder das falsche Konzept ist auch in Schwabings Lieblingsflaniermeile angekommen.
700 Meter lang ist das quirlige Stück zwischen Leopoldstraße und Kurfürstenplatz. Wo sich heute Blumen-, Buch- und Babymodeläden mit urigen Traditionsgeschäften, jungen Boutiquen und Cafébars mischen, hat es vor Jahren auch noch Elektroläden, Fahrradläden und sogar einen Stempelladen gegeben. Aber vieles hat sich eben nicht gehalten und ist in stetem Wandel.

Noch fällt der Leerstand in der Flaniermeile in Schwabing nicht so extrem auf
Im La Tazza D'Oro sitzt Lars Mentrup bei einem Cappuccino. Der Bezirksausschuss-Vize wohnt in der Straße und kauft da auch gern ein. "Ein paar Ankergeschäfte, die immer bleiben, und kleine, die öfter wechseln – ich finde das nicht schlecht", sagt er, "das ist ja auch belebend und macht immer wieder neugierig."

Eine Reihe neuer Brillengeschäfte ist ihm aufgefallen, auch Kosmetik- und Nagelstudios. Und der just eröffnete Secondhandladen Usé, der auf die Vintagelust der Jugend aufspringt, nicht weit vom schon eingespielten ReSales. Das Glück der Hohenzollernstraße ist – noch: Der Leerstand fällt nicht so extrem auf.
Zum Beispiel, weil Christos Adamopoulos mit seinem griechischen Lukumades-Laden an der Ecke Leopold seit drei Jahren einen bunten Haufen neues Publikum in die Straße lockt. An manchen Tagen reiht sich eine Schlange von 30, 40 Menschen draußen auf, um seine süßen und salzigen Hefebällchen abzuholen.

Neuzugang in der Hohenzollernstraße: Ein großer Asia-Markt macht Schwabing internationaler
Auch die Eisdiele Lorenzo zieht viele Menschen an, sobald die Sonne herauskommt. Man kann in der Straße Designerkleider, Sommerflatterteile und Schuhe shoppen, man kann ausgefallene Stücke in Möbel- und Accessoiregeschäften finden, man kann frühstücken, Eis schlecken und Austern essen.
Und ganz frisch hat etwas aufgemacht, das noch mal ganz neue Kundschaft in die Straße bringt: Wo bislang noch der große Penny an der Ecke Leopoldstraße im Untergeschoss war, ist gerade "Go Asia" eingezogen, ein Supermarkt, der nun auf großer Fläche chinesische, koreanische, thailändische Lebensmittel verkauft. Seither strömen Asiatinnen und Asiaten aus der ganzen Stadt neu hierher. "Toll", ist von etlichen Anwohnern zu hören, so werde man ein Stück internationaler, auch das bringe Leben in die Straße.

Für Alexander Bertrand gilt: Die Lage beobachten, aber nicht in Unruhe geraten. In sieben Jahren wird sein Laden 100 Jahre alt, vermutlich steht sein Sohn Raoul dann hier. Die Straße werde sich verändern, sagt er, "aber kaputt geht sie nicht". "Bertrand Jeans und Berufskleidung" ist übrigens nur tagsüber ein Geschäft. Abends mutiert es zum Übungsraum für Bertrands Bluesband "Spooky Blue". Dann stehen Passanten draußen auf der Straße und hören beim Musikmachen zu. Mittwoch ist es wieder soweit. Eine schöne Perspektive ist das.
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