Kunst-Schatz: So wurden die Bilder zu Geld gemacht

München - Die Schatzkammer von Schwabing ist geöffnet, das Geheimnis der verschollenen Bilder ist gelüftet.
Jahrzehnte lang hatte Rolf Gurlitt (79) mehr als tausend Kunstwerke von namhaften Künstlern wie Franz Marc, Otto Dix, Pablo Picasso oder Pierre-Auguste Renoir in seiner Wohnung gehortet. Der Zoll dem Kunst-Horter auf die Schliche und beschlagnahmte 1500 Bilder, Grafiken und Zeichnungen aus seiner Wohnung.
Dennoch gibt es weiterhin viele Fragen im Fall Gurlitt. Die AZ klärt die wichtigsten Fragen.
Der Fund blieb zweieinhalb Jahre geheim – oder fast! Wer wusste denn davon? Der Zoll, die Staatsanwaltschaft Augsburg, die Expertin für „entartete Kunst“, Meike Hoffmann, das Bundesfinanzministerium und die Bundesregierung. „Die Bundesregierung ist seit mehreren Monaten über den Fall unterrichtet“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert gestern in Berlin.
Ludwig Spaenle ist Bayerns Kunstminister – und Schwabinger! Was wusste er? Laut seiner Sprecherin ist Spaenle nicht zuständig – und will „sich nicht äußern“.
Rolf Gurlitt lebte von den Verkäufen seiner Bilder. Kann man solche Kunstwerke denn einfach verkaufen, ohne dass jemand nachfragt? Offenbar. Gurlitt machte Geschäfte mit der Galerie Kornfeld in Bern – das gab der Kunstexperte am Montag auch per Pressemitteilung zu: 1990 habe er "in der Auktion Arbeiten auf Papier von Künstlern, die wohl aus dem Bestand der von der ,Reichskammer für Kunst' 1937 in deutschen Museen beschlagnahmten ,entarteten Kunst' stammten, die sein Vater in Berlin für billige Ansätze in Devisen in den Jahren nach 1938 angekauft hatte", ließ Eberhard Kornfeld mitteilen. Diese Bilder seien aber "bis heute frei verkäuflich".
Ende 2011 gab Gurlitt auch Max Beckmanns Gemälde „Löwenbändiger“ dem Kölner Kunsthaus Lempertz zur Auktion. Dabei sei man dort gar nicht misstrauisch geworden, sagte der Justiziar des Auktionshauses, Karl-Sax Feddersen.. „Das wirkte, als habe Herr Gurlitt als alter Mann sein Kronjuwel geholt, um für die letzten Jahre noch flüssiges Kapital zu haben“.
Vor der Versteigerung hätten die Experten von Lempertz aber herausgefunden, dass der „Löwenbändiger“ eigentlich aus dem Nachlass des Kunstsammlers Alfred Flechtheim stammte. Nach einer Einigung mit den Erben des legendären jüdischen Galeristen sei das Bild daraufhin für 864 000 Euro mit Aufschlag versteigert worden, das Geld wurde zwischen den Flechtheim-Erben und Rolf Gurlitt aufgeteilt. Er wurde für den Kauf also auch noch belohnt.
Die Bilder aus der Wohnung wurden aber angeblich schon im März 2011 beschlagnahmt. Jetzt wird spekuliert: Stammt der im Dezember 2011 verkaufte „Löwenbändiger“ dann aus einem anderen Kunst-Versteck? Wohl nicht. Laut Nachbarn fand die Razzia in Gurlitts Wohnung nämlich nicht, wie zunächst angenommen, im Frühjahr 2011 statt – sondern im Frühjahr 2012.
Viele Kunstwerke aus Gurlitts Sammlung wurden im Dritten Reich wohl Juden entrissen. Was sagt die Jüdische Gemeinde zur Entdeckung? Der Fund „erinnert an das verstörende Unrecht das jüdischen Künstlern und Sammlern angetan wurde“, sagt die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), Charlotte Knobloch.
Jetzt sollten die Behörden „die Herkunft der Bilder rekonstruieren und klären, wem die Bilder tatsächlich gehört haben.“ Werke, „die in der NS-Zeit aus jüdischen Beständen geraubt wurden, müssen an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben werden“.
Wurde die Jüdische Kultusgemeinde in München denn über den Schwabinger Fund informiert? Nein. „Wir wurden nicht informiert“, sagt der Sprecher der Gemeinde, Aaron Buck, der AZ. Auch Vorstandsmitglied und CSU-Stadtrat Marian Offman habe wie seine Kollegen „davon nichts vernommen“.
Müssen die Bilder jetzt ihren ehemaligen Besitzern zurückgegeben werden? Nur wenn man Gurlitt nachweisen kann, dass sie jemandem anderen gehören. Kunstwerke, die jüdischen Sammlern während des Nazi-Regimes entrissen oder unter Wert abgekauft worden sind, wurden bis jetzt auch nur zum Teil zurückgegeben. Eine Konferenz 1998 zum Thema brachte nur „nicht bindende Grundsätze“ zum Umgang mit Raubkunst.
Ende 1999 entschieden Bundesregierung, Länder und kommunale Spitzenverbände: Museen, Archive und Bibliotheken sollen sich stärker bemühen, Raubkunst aufzuspüren und den legitimen Eigentümern zurückzugeben. Das kann laut Experten aber Jahrzehnte dauern.
Hat schon jemand Anspruch auf die Bilder erhoben? Laut Regierungssprecher Steffen Seibert hat die Bundesregierung derzeit „keine Informationen“ darüber, ob aus dem Ausland Besitzansprüche geltend gemacht wurden“.
Die „Commission for looted Art in Europe“ („Kommission für geraubte Kunst in Europa“) mit Sitz in London will aber sehr wohl mehr zum Schwabinger Fund wissen: Zweieinhalb Jahre lang sei der geheim gehalten worden, sagte Sprecherin Anne Webber dem „Daily Telegraph“. „Wir müssen fragen, warum die bayerische Regierung keine Liste der Gemälde, die gefunden wurden, veröffentlicht hat.“
Die Kommission repräsentiere hunderte Familien weltweit, „und wir suchen nach Tausenden Gemälden, also wollen wir sofort eine Liste sehen.“
Gerade in Bayern gebe es eine „Kultur der Verschwiegenheit“, so Webber. Viele hätten mit geraubten Kunstwerken gehandelt – „vor allem in Bayern.“
Wie war Rolf Gurlitt eigentlich privat? „Lieb und umgänglich“, nennt ihn die Münchner Lempertz-Galeristin Emma Bahlmann in der „SZ“ – und „absolut seriös“.
Kriegen wir die entdeckten Kunstwerke irgendwann auch mal zu sehen? Gut möglich! Heute, Dienstag, um 10 Uhr, gibt die Staatsanwaltschaft Augsburg eine Pressekonferenz. Die Berliner Kunsthistorikerin Meike Hoffmann, die seit Jahren die 1500 Bilder untersucht, wird ihre Erkenntnisse präsentieren – dass dabei Bilder aus Schwabing gezeigt werden, ist sehr wahrscheinlich.