Klau-Report München: Die Tricks der Taschendiebe
München - Die Hände in den Taschen seines Mantels vergraben, so schlendert Reinhold Bergmann durch die Fußgängerzone. Ein entspannter Bummel über den Christkindlmarkt, könnte man meinen. Doch es ist anders.
Bergmann ist hochkonzentriert: Mit Profiblick sucht er Leute, die er im Vorbeigehen beklauen kann. Es ist kurz nach 12 Uhr, die Sonne lacht vom Himmel. In der Fußgängerzone drängeln sich die Menschen. Viele sind bepackt mit Tüten und Taschen. Manche machen an einem der vielen Standl Pause, gönnen sich eine Bratwurst und einen Becher Glühwein.
Ideale Bedingungen für einen Taschendieb. „Die Leute sind abgelenkt und deshalb unaufmerksam“, sagt Beckmann und macht sich an die Arbeit. Er scannt seine Umgebung. Ihn interessieren aber nicht die Schaufenster und bunt dekorierten Auslagen. Sein Blick ruht eine Etage tiefer. Er achtet auf fremder Leute Taschen.
Ein Ehepaar fällt ihm auf. Die Frau geht an Krücken. Ihr Mann trägt einen prall gefüllten teuren Lederrucksack am Rücken. Der Reißverschluss ist einen Spalt offen. „Das ist wie eine Einladung für einen Dieb“, sagt Reinhold Bergmann. Während das Paar Weihnachtsschmuck aussucht, erkunden seine Finger den Rucksack. Doch statt Geldbeutel oder Handy herauszufischen, zieht Bergmann seinen Dienstausweis.
Er ist Erster Kriminalhauptkommissar, Experte für Trickdiebstahl. Bergmann kennt sämtliche Schliche und Tricks der Gauner.
Brigitte und Bernd Müller machen große Augen, als sie bemerken, dass sie beinahe beklaut worden wären. „Im Rucksack sind Medizinische Geräte, die ich immer bei mir haben muss“, sagt Brigitte Müller. „Wir waren abgelenkt und haben den Mann in unserem Rücken nicht bemerkt.“
Ein paar Meter weiter entdeckt Reinhold Bergmann neue Opfer: Eine junge Frau und ihren Begleiter. Sie lehnen an der Mariensäule, trinken Glühwein. Am Boden zwischen den Beinen der Frau steht eine Laptoptasche. Reinhold Bergmann schlendert vorbei, bückt sich kurz und schon hat er sich die Tasche geschnappt. Der Inhalt: Handy, Geldbeutel und ein dicker juristischer Wälzer. „Das Buch hätte einen Dieb bestimmt nicht interessiert“, sagt Andrea Michl, sie ist Kirchenrechtlerin. „Handy und Geld wären futsch gewesen.“
Auch Bergmann ist schon einmal beklaut worden. Im Urlaub in Rom verschwand seine Kamera: Seine Frau und er fuhren zum Colosseum. Im Bus war es rappelvoll. Beim Aussteigen stand ihm eine dicke Frau im Weg. „Ich hab mich irgendwie an ihr vorbeigezwängt“, erinnert sich der Polizist. „Draußen merkte ich, die Kamera ist weg.“ Der Münchner ging gleich zurück. Die Diebin war noch im Bus und rückte ihre Beute freiwillig wieder raus. Dieses Glück haben die wenigsten Opfer.
Je größer das Getümmel, desto einfacher haben es Langfinger. Im Gedränge fallen Berührungen nicht auf. Die Täter können in der Menge blitzschnell untertauchen. Nicht nur der Christkindlmarkt ist ein gefährliches Pflaster, auch in den umliegenden Geschäften und Kaufhäusern lauern Taschendiebe.
Beliebt sind bei ihnen auch S- und U-Bahnen. „Vor allem beim Einsteigen, wenn alles schiebt und drängelt, haben sie leichtes Spiel“, sagt Reinhold Bergmann. Auch Rolltreppen sind gefährlich, sagt er – und führt es gleich vor. Vor ihm steht eine junge Französin. Doch die spürt den Hintermann. Sie macht ein paar Schritte, geht auf Distanz. Carine Witvitzky sagt: „Ich dachte, der will mich belästigen – an einen Dieb hab ich nicht gedacht.“
Mütter mit Kinderwagen sind ideale Opfer. Sie sind durch ihre Babys oft abgelenkt. Senioren mit Rollator ebenso. Tüten und Taschen lassen viele im Korb offen liegen. „Diebe brauchen nur zugreifen“, warnt Bergmann.
Selbst wer seinen Geldbeutel in der Gesäßtasche seiner Jeans eng am Körper trägt, ist nicht sicher. Profis schlitzen den Stoff mit einem Stück Rasierklinge auf. Bergmann: „Der Geldbeutel fällt runter wie eine reife Frucht.“
Taschendiebe sind immer in Bewegung. Selten halten sie sich länger als eine Stunde an einem Ort auf. Sie wollen nicht auffallen, vor allem nicht bei den Standlbesitzern. Die haben alles im Blick, wie der Kripomann wenig später am eigenen Leib erfährt. Als er einer Rentnerin zu sehr auf die Pelle rückt, giftet ihn eine Standlbesitzerin sofort an: „Hey, was machst da? Schau, dass di schleichst!“ Als sie den Dienstausweis sieht, wird sie ganz verlegen. Erst vor ein paar Tagen ist eine Kundin direkt vor ihren Augen beklaut worden. Das ging blitzschnell – und weg war der Kerl.
So schützen Sie sich vor den Dieben:
Rucksäcke nie auf den Rücken nehmen, lieber auf der Brust tragen. So hat man ihn immer im Blick.
Taschen niemals lässig unterhalb der Hüfte baumeln lassen. Lieber am Griff packen und dicht bei sich halten.
Niemals Reißverschlüsse offen lassen. Das gilt auch für Jacken, Mäntel und selbstverständlich auch für Taschen.
Geldbeutel lieber dicht am Körper tragen.
Jacken und Mäntel dabei geschlossen halten.
Wer Mantel oder Tasche im Restaurant auszieht: Geldbeutel vorher rausnehmen und dann erst an die Garderobe hängen.
Nur so viel Geld mitnehmen, wie man braucht.
Achten Sie auf Menschen, die ihnen zu dicht auf die Pelle rücken.
Geldbeutel, Handy niemals auf den Tisch legen. Vorsicht, wenn Ihnen plötzlich mit einem ausgebreiteten Stadtplan oder ähnlichem vor der Nase rumwedelt. Er will Ihnen die Sicht verdecken, damit sein Komplize an Ihre Wertsachen herankommt.
Lassen Sie Tüten und Taschen nie unbeaufsichtigt.
Bleiben sie wachsam, auch wenn er Glühwein schmeckt und die Plauderei mit Freund oder Freundin so anregend ist.
Das Oktoberfest und die Adventszeit locken Taschendiebe aus aller Welt nach München. Oft sind es gut organisierte Banden, die arbeitsteilig vorgehen: Einer lenkt ab, einer zieht ab, einer verschwindet mit der Beute. Im vergangenen Jahr wurden bei der Polizei 40 Taschendiebstähle auf dem Christkindlmarkt angezeigt. Jeden Tag im Schnitt drei Fälle. Nur einen Täter hat man 2012 erwischt.
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