Irre Morddrohung gegen Münchner Tierheim-Chefin

Weil er seinen Hund nicht wiederbekommt, droht ein Mann mit einem Säure-Anschlag. Kein Einzelfall. Tierheim-Chefin Sandra Giltner und ihre Mitarbeiter werden immer wieder mit Beschimpfungen und Gewalt konfrontiert.
von  Natalie Kettinger
Sandra Giltner will Tieren helfen – wird in ihrem Tierheim in Riem (u.) aber immer öfter von frustrierten Haltern attackiert
Sandra Giltner will Tieren helfen – wird in ihrem Tierheim in Riem (u.) aber immer öfter von frustrierten Haltern attackiert © Petra Schramek

Weil er seinen Hund nicht wiederbekommt, droht ein Mann mit einem Säure-Anschlag. Kein Einzelfall. Tierheim-Chefin Sandra Giltner und ihre Mitarbeiter werden immer wieder mit Beschimpfungen und Gewalt konfrontiert. Ein Sicherheitsdienst soll jetzt eingreifen

München - Beschimpfungen, Vandalismus auf dem Parkplatz, wüste Drohungen, zerstochene Reifen: Daran haben sich die Mitarbeiter des Münchner Tierheims längst gewöhnt – notgedrungen. „Dinge wie: ,Ich mach Euch alle fertig’ hören wir leider fast täglich“, sagt Sandra Giltner, die Leiterin der Einrichtung. Etwa zwei Mal im Monat müsse die Polizei anrücken, um Randalierer vom Gelände zu entfernen.

Doch nun hat sich die Bedrohungslage verschärft: Der Chefin wurde mit einem Säure-Anschlag gedroht, eine Kollegin wurde tätlich angegriffen. Sandra Giltner denkt deshalb darüber nach, ihr Team von einem Sicherheitsdienst schützen zu lassen.

Wenn vermeintliche Tierfreunde im Tierheim ausrasten, liegt das meist daran, dass sie aus Tierschutzgründen nicht bekommen, was sie wollen: keine Dogge für die Einzimmerwohnung im elften Stock, keine Freigängerkatze für das Appartement an der vierspurigen Straße, keinen Chinchilla als flauschiges Spielzeug für die Kleinkinder. Manchmal passen Wunsch und Wirklichkeit eben nicht zusammen. „Aber viele Menschen sind für unsere Argumente nicht zugänglich“, sagt Sandra Giltner. „Da heißt es: Ich habe mich in dieses Tier verliebt, jetzt will ich es haben.“

Beleidigende Äußerungen der uneinsichtigen Kundschaft seien da keine Seltenheit. Besonders kritisch wird es bisweilen, wenn Tiere von der Polizei beschlagnahmt werden, oder die Tierheim-Mitarbeiter sie ihren Besitzern nicht zurückgeben – etwa, weil das Tier misshandelt wurde oder sein Halter nicht in der Lage ist, es artgerecht zu versorgen.

Ein Zwischenfall aus den letzten Tagen: Ein Mann bringt seinen Molosser (ein massiger Hirtenhund) ins Tierheim, um ihn dort kostenlos behandeln zu lassen. „Der Hund hatte kaputte Knie und hat sich nur noch auf den Vorderpfoten über den Hof gezogen. Wir mussten ihn notoperieren“, sagt Sandra Giltner. Als der Besitzer den Hund wieder abholen möchte, lehnen die Tierschützer ab, aus zwei Gründen: Erstens kann das Tier nicht laufen und ist zu schwer, um getragen zu werden – sein Halter hat jedoch kein Auto, ist mit der S-Bahn unterwegs. Zudem ist mittlerweile bekannt, dass der vorherige Hund des Mannes ihm weggenommen wurde, weil er ihn schlecht behandelt hatte.

Im Empfangsbereich des Tierheims flippt der Besitzer aus. „Er hat gesagt, er holt jetzt seine Pistole und erschießt uns alle.“ Dann drängt er eine Mitarbeiterin in ihr Büro und redet hektisch auf sie ein. Als sich die Chefin einmischt, droht er: „Ich werde der Person, die mir meinen Hund nicht gibt, Salzsäure ins Gesicht schütten. Ich habe mich erkundigt: Dafür bekomme ich vier bis fünf Jahre Knast, aber das ist mir egal. Hauptsache, ihr Leben ist zerstört.“ Erst als das Team die Polizei alarmiert, verschwindet er.

In einem anderen Fall ist der Hausmeister die Rettung. Er wirft sich dazwischen, als ein frustrierter Hamster-Besitzer mit der Faust auf eine Mitarbeiterin losgeht. Auch Tierpfleger und Gassigeher springen der rein weiblichen Belegschaft in der Verwaltung regelmäßig zur Seite.

„Den Faustschlag und die Säure-Drohung haben wir bei der Polizei angezeigt“, sagt die Tierheim-Leiterin. Bei den zahlreichen Bedrohungen griffen die Kolleginnen aber nur noch selten zum Telefon. „Das lohnt sich einfach nicht.“ Es sind zu viele.

In einem anderen Fall alarmierten die Tierschützer die Beamten jedoch sofort: Die Polizei hatte einen Hund in Riem abgegeben, dessen Besitzer per Haftbefehl gesucht wurde. Als er auf der Flucht im Tierheim auftauchte, um seinen Vierbeiner mitzunehmen, nahmen die Polizisten ihn wenige Minuten später fest.

Einen anderen Hund – auch sein Halter wurde polizeilich gesucht – schickte Sandra Giltner nur mit drei stattlichen Männern zum Spazierengehen. Sie wollte das Tier beschützen – und vor allem die ehrenamtlichen Gassigeher.

Warum sich die Situation immer weiter zuspitzt, ist schwer zu sagen. „Vielleicht liegt es an der Verrohung der Gesellschaft, vielleicht daran, dass sich die soziale Lage vieler Menschen verschärft“, überlegt die studierte Tierärztin. „Dieses Verhalten ist nicht unbedingt schichtgebunden. Es hängt eher von der Kinderstube ab.“

Wie auch immer: Sandra Giltner will handeln und mit dem Vereinsvorstand abklären, ob es die Möglichkeit gibt, einen Security-Service zu engagieren. Zumindest in Stoßzeiten. Auch Selbstverteidigungskurse oder eine Schranke am Eingang seien denkbar. „Es ist schade, dass wir über so etwas reden müssen. Denn eigentlich wollen wir ein offenes Haus sein, in dem man sich jederzeit über unsere Tiere informieren oder Tiere abgeben kann“, sagt die Chefin. „Aber ich möchte mich nicht jeden Tag davor fürchten, in die Arbeit zu gehen, und ich möchte auch nicht, dass meine Mitarbeiter Angst haben müssen.“

 

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