Im Westpark: Lach-Yoga gegen den Kummer

Es fühlt sich gut an und kann sogar Schmerzen lindern: Eine Gruppe Münchner trifft sich sonntags zum Lachen. Für manche Teilnehmer ist der Lachclub im Westpark die einzige Freude in der Woche.
Nadine Cibu |
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In Bewegung: Eine Gruppe des Lachclubs freut sich gemeinsam – und versucht so, die Alltagssorgen zu vergessen. Auch bei schlechtem Wetter treffen sich die Teilnehmer im Westpark.
Nadine Cibu In Bewegung: Eine Gruppe des Lachclubs freut sich gemeinsam – und versucht so, die Alltagssorgen zu vergessen. Auch bei schlechtem Wetter treffen sich die Teilnehmer im Westpark.

München - Seit Stunden regnet es. Am Himmel des Westparks ziehen sich die grauen Wolken dichter zusammen. Ein eisiger Wind bläst über die Gräser. Der Park ist fast ausgestorben. Und trotzdem nicht still. Entlang der fröstelnden Rosen, mitten auf der Wiese, schüttelt sich eine Menschengruppe. Die 15 Münchner lachen, gackern, johlen. Manche klatschen sich in die Hände, andere klopfen sich auf den Rücken. Wasser spritzt ihnen ins Gesicht. Der Regen begießt sie.

In der Mitte der Gruppe steht eine rothaarige Frau. Über ihrem gestreiften Pullover trägt sie einen durchsichtigen Regenschutz. Einige Strähnen lugen aus der Kapuze und kleben ihr am Gesicht. Cornelia Leisch ist Lachtrainerin und leitet seit elf Jahren den Lachclub im Westpark. Eine Stunde lang lauschen Fremde und Stammgäste ihren Anweisungen. „Jetzt machen wir den Reißverschluss“, sagt Leisch mit einem Lachen, „wir ziehen unseren Mund zu einem Lächeln auf, schauen uns in die Augen und dann ziehen wir ihn wieder zu.“

Die Teilnehmer grinsen sich auf Kommando an. Sie streifen mit ihren Fingern am Mund entlang, als wären ihre Lippen ineinander verhakt. Lächeln auf. Lächeln zu.

Einige Lippen bleiben jedoch fest aufeinandergepresst. Das Lachen klappt noch nicht von alleine. Leisch kennt diese Anfangsschwierigkeiten. „Zu mir kommen eher keine Spaßnudeln“, erklärt sie. „Vielen hier geht es nicht so gut.“ Während des Lach-Yogas legt Leisch fünf Regeln fest: Wohlfühlen, Schweigen, Augenkontakt, Offenheit, Begeisterung. Diese sollen den Teilnehmern helfen, sich von ihren Sorgen zu lösen. Wenigstens für eine Stunde.

 

Zum Lachen gehen: Ein leichterer Schritt als in die Therapie

Lisa (alle Name geändert) runzelt die Stirn. Dabei versucht sie ihren Mund zum Lächeln zu bringen. Von den Spitzen ihrer langen braunen Haare tropft der Regen. Sie blickt in die Gesichter um sich herum. Es wird gebrüllt, gekichert, geprustet. Manchmal entwischt ihr ein Hihi. Sich mit einem Lachen zu begrüßen lautet die Aufgabe.

Die Studentin schüttelt kräftig Hände, doch richtig lachen kann sie nicht. Nach jedem Händedruck versteckt sie ihre schlanken Finger im zu großen Jackenärmel. Sie huscht in den Kreis zurück. „Oh nein, was denken sich denn die anderen über 15 Leute, die im Regen stehen?“, ruft Leisch, „Uns egal! Heute wird gelacht!“ Lisas schmale Augenbrauen lockern sich.

„Manche brauchen Wochen, bis sie sich während der Stunde gehen lassen können“, sagt Leisch. Dabei könne Lachen viele Menschen vor dem Burnout retten. „Beim Lachen werden Stresshormone abgebaut. Wir lachen unsere Probleme wortwörtlich raus“, erklärt sie.

Eine, die das versuchen will, ist Lisa. Die Klausuren stehen an, die Präsentation ist noch ein leeres Blatt Papier und den Praktikumsplatz hat sie noch nicht. Die Probleme haben Lisas Mundwinkel immer weiter nach unten sinken lassen. Leisch sagt: „Kinder und Jugendliche stehen heute viel mehr unter Druck: Leistung, gute Noten und Erfolg. Das zehrt an einem.“ Vor einer Woche ist Lisa auf Leischs Homepage gestoßen. Eine Stunde Lach-Yoga gratis, hieß es. Lachen schien weniger befremdlich als eine Therapie.

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Lach-Yoga keine Therapie

Nicht nur Lisa trägt Ballast in die Runde. Hinter jedem Lächeln verbirgt sich Kummer. Doch darüber reden ist während der Stunde untersagt. „Eine Stunde lachen lässt uns erfahren, dass wir selbst in der Lage sind, unsere Laune und Gefühle zu ändern“, sagt Leisch.

Lach-Yoga ist dennoch keine Therapie. Bei der ist Reden Pflicht. Hier wird jedes Wort durch ein haha und jedes Seufzen durch ein hoho ersetzt. Nächste Aufgabe: Sich still begrüßen. Gertrud blickt um sich. Die ältere Dame wankt ein bisschen. Ihre rechte Hand vergräbt sie tief in ihrer Manteltasche und stützt damit ihre Hüfte. Laufen fällt ihr schwer. Wenn die Gruppe anfängt zu lachen, braucht sie etwas länger. Während die anderen schweigend Hallo sagen, steht sie alleine im Regen.

Plötzlich greift ein großer Mann mit schwarzer Jacke Gertruds linke Hand. Er lächelt. Ihre graubraunen Augen weiten sich. Die Falten werden lockerer. Eine weitere Teilnehmerin drückt ihre Hand. Nach der dritten stummen Begrüßung kann Gertrud nicht mehr aufhören zu lächeln. Dafür musste niemand sprechen. Leisch erzählt, dass viele ältere Menschen mit Depressionen zu kämpfen haben.

Neben dem Lachclub arbeitet sie mit Senioren an deren Lachmuskeln. „Oma lacht wieder!“ heißt das Projekt. „Für ältere Leute wird nur selten Psychotherapie angeboten“, sagt sie. „Und dort wird die Vergangenheit aufgearbeitet. Das Leben wieder mit Freude zu genießen, bleibt weg.“

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Der Mann mit dem Trachtenhut lacht seine Probleme aus

„Wenn Menschen uns anlachen, dann berührt das unser Herz“, sagt Leisch. Deswegen sei es so wichtig, sich bei jeder Übung in die Augen zu schauen. „Es zeigt, dass es Menschen gibt, die uns freundlich gesinnt sind.“ Hans lacht nicht laut. Lieber strahlt er die anderen an.

Seit über drei Jahren kommt der große, grauhaarige Mann zum Lachclub. Beim anschließenden Stammtisch ist er immer dabei. Bis auf gelegentlichen Smalltalk mit den Kunden in seinem Getränkeladen bleibt er in seinem Alltag sonst oft alleine. Er wünscht sich seit langem eine Partnerin, mit der er gemeinsam lachen kann. „Ich verstehe nicht, warum es so schwer ist, jemanden zu finden“, sagt er und seufzt.

Für den Lachclub zieht er sein feines Hemd an. „Man kann sich für wichtige Anlässe auch ein bisschen herausputzen“, sagt er. Am Ende der Stunde wird Hans am lautesten klatschen und jubeln, bevor die Teilnehmer sich verabschieden. „Jetzt halten wir alle unsere rechte Hand hoch“, sagt Leisch, „Dabei denken wir an ein Problem, das uns das Leben schwermacht.“ Gerd schaut auf seine Handfläche. Er fixiert sie einige Sekunden und zieht seine buschigen Augenbrauen hoch. Leisch legt den linken Finger in ihre Handmitte. „Und jetzt lachen wir alle unser Problem aus!“, ruft sie. „Ha ha ha“ hallt es im Chor.

Der ältere Mann mit Trachtenhut und braunen Filzmantel prustet los. Er beugt sich nach hinten und vorne. Sein Finger deutet auf das imaginäre Problem. Er lacht es mit aller Kraft aus.

Ein Schmunzelstein zum Abschluss

Gemeinsam mit den Teilnehmern holt sich auch Lachtrainerin Leisch ihre Portion Glück. Früher ging sie selbst als Teilnehmerin in einen Lachclub. „Für mich war es eine wunderbare Erfahrung“, erzählt sie, „Nach der Stunde Lachen ging es mir so gut, wie lange nicht mehr.“ Depressionen hatten damals ihren Alltag bestimmt. Mit zwei Jobs musste die alleinerziehende Mutter sich und ihre Kinder über Wasser halten.

Leisch musste jeden Sonntag zum Treff, auch wenn sie sich nicht danach fühlte. „Das war der Schlüssel, warum es mir dann endlich besser ging“, sagt sie. Leisch hatte eine Therapie gemacht. Aber erst das Lach-Yoga hat ihr die Freude am Leben zurückgebracht.

Am Ende jeder Stunde dürfen sich die Teilnehmer einen Schmunzelstein holen. Ein kleiner grauer Stein mit einem lächelnden Gesicht drauf. Er soll sie daran erinnern, das Lachen nicht zu vergessen. Wer möchte, kann ihn weitergeben. Mit den Worten: „Darf ich dir ein Lächeln schenken?“


Mehr Informationen zu dem Angebot im Westpark gibt es im Internet auf der Seite www.lachclub-muenchen05.de oder direkt bei Cornelia Leisch unter der Telefonnummer: 089/89 54 69 61.

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