Story

Hohenzollernstraße in München: Zwischen Leerstand und Zuversicht

Die Hohenzollernstraße ist wie viele alte Einkaufsstraßen im Wandel. Ein AZ-Rundgang zwischen Händlern, die optimistisch in die Zukunft schauen, verödeten Schaufenstern - und Maklern.
von  Conie Morarescu
Waltraud Breuer vor ihrem Kostüm-Laden.
Waltraud Breuer vor ihrem Kostüm-Laden. © Daniel von Loeper

Schwabing - Der Bräutigam in spe schaut in den Spiegel. Aus dem verschnörkelten Rahmen blickt ihm sein Ebenbild im Frack entgegen. "Ja, auch in diesen Zeiten wird noch geheiratet. Die Welt steht nicht still", bemerkt er lachend.

Ja, die Welt steht nicht still. Auch nicht hier, mitten auf der Hohenzollernstraße, jener Schwabinger Einkaufsmeile, auf der den Spaziergängern in diesen Wochen viel Leerstand auffällt. Doch es gibt auch noch viel Leben. So wie hier, bei der Schneiderin, die jetzt an den Schulterpolstern des Bräutigams zupft. Sie scheint zufrieden. Kostüme Breuer ist einer der wenigen verbliebenen Traditionsläden in der Straße.

Münchner Shopping-Meile in der Hohenzollerstraße

Wie geht es einer alteingesessenen Ladenbetreiberin mit all dem Wandel, wenn sie den Leerstand in der Nachbarschaft sieht? "Anlass zu Sorge und Hoffnung zugleich", sagt Geschäftsführerin Waltraud Breuer. "Denn so schnell die Läden schließen, so schnell sind wieder neue da." Sie selbst könne sich noch halten, trotz großer Umsatzeinbußen: "Das Oktoberfest, große Hochzeiten, Fasching, all das konnten wir nicht bedienen. Natürlich leiden wir darunter." Neuerdings sei es jedoch sehr beliebt, sich im Laden zu verkleiden und Fotos machen zu lassen. "Das ist eine kleine Flucht aus der Realität", so erklärt Waltraud Breuer sich das.

Waltraud Breuer vor ihrem Kostüm-Laden.
Waltraud Breuer vor ihrem Kostüm-Laden. © Daniel von Loeper

Die Schneidermeisterin führt das Familienunternehmen seit 1993. In der Zeit habe sich die Straße stark verändert. "Früher war es eine richtig alltägliche Einkaufsstraße. Man hat dort alles für das tägliche Leben gekriegt", erinnert sich die 66-Jährige. Schließlich hätten immer mehr Boutiquen aufgemacht. Die Hohenzollernstraße sei zu einer Münchner Shopping-Meile geworden.

Werden die lokalen Händler wieder interessanter?

An einem schönen Frühlingstag, an dem Einkaufen noch ohne negativen Coronatest erlaubt ist, fallen die vielen leerstehenden Geschäfte auf. Einerseits. Andererseits ist auf den Gehwegen auch viel Leben. Trügen die Menschen keine Maske, man könnte meinen, Corona existiert nicht.

Ein bisserl Aufbruchstimmung in Schwabing also? Die Ladenbetreiber haben Tafeln aufgestellt: "Welcome back. Spontane Termine möglich." Auf dem Gehweg vor der Gelateria eine lange Schlange. Jugendliche sitzen auf einem Treppenabsatz und blinzeln in die Sonne. Das Ladenangebot ist immer noch bunt: Feinkostladen, Strumpftante, Parfümerie, Nagelstudio.

Einerseits. Andererseits sieht man für Münchner Verhältnisse viele Läden, in denen keiner mehr einkauft. Ein leeres Schaufenster, einsam hängt dort ein handgeschriebener Zettel: "Nach über 60 Jahren schließen wir. Sie finden uns im nächsten Jahr am Viktualienmarkt." Hier war einmal die Metzgerei Wöhrmüller. Ein Metzger, der während der Pandemie schließt? Die Nachforschung ergibt: keine Krisen-Geschichte, sondern eine typisch münchnerische. Peter Wöhrmüller hat keinen Nachfolger für seinen Familienbetrieb. Investitionen seien angestanden, die er nicht mehr tätigen wollte. "Und jetzt im Alter brauche ich mir keine zwei Filialen mehr antun."

Mit der Krise habe die Schließung hingegen keinesfalls zu tun: "Wir Metzger sind die Gewinner der Pandemie." Außer am Viktualienmarkt, seinem anderen Standort. "Da kommt keiner hin zum Einkaufen!" Es würden die Touristen fehlen.

Und dort, wo die Münchner einkaufen - wie auf der Hohenzollernstraße? Carla Kirmis von der IHK München und Oberbayern ist Referentin für Handel und E-Commerce. "Die Menschen entdecken die Einkaufsmöglichkeiten vor ihrer Haustüre und gehen weniger in die Innenstadt zum Einkaufen. Die lokalen Händler werden wieder interessant." Wenn sie denn unter normalen Verhältnissen öffnen dürfen, mögen viele Einzelhändler da stöhnen.

Einzelhändler sollten auch im Netz vertreten sein

Worauf es für den Einzelhändler jetzt ankommt, um in diesen schwierigen Zeiten zu überleben? Kirmis ist überzeugt: Entweder Laden oder Online-Handel - dieses Denken sei nicht mehr zeitgemäß.

"Als Einzelhändler mit Laden muss man unbedingt auch im Netz vertreten sein", betont sie. Das sei auch schon lange vor der Pandemie von großer Bedeutung gewesen, um zu überleben. "Das Konsumverhalten hat sich geändert. Die Kunden recherchieren im Vorfeld online, welche Produkte sie wo zu welchem Preis erhalten." Zu diesen Kunden zähle auch immer mehr die Generation über 60.

Die Älteren in Schwabing, die kennen schon lange die Buchhandlung Pfeiffer, die 1986 in der Hohenzollernstraße öffnete. Vor über zehn Jahren hat Dorothee Luther den Laden übernommen. Sie berichtet von ihren Erfahrungen während der Pandemie: "Uns geht es verhältnismäßig gut. Anfangs waren wir selbst als Fahrradkuriere unterwegs und haben die Bücher ausgeliefert. Dann haben wir zusätzlich einen Online-Shop eingeführt." Dieser werde von den Kunden gern zur Recherche genutzt, bevor sie die Bücher im Laden abholen. "Man kann die Bücher aber auch per Post nach Hause bestellen."

"In Corona-Zeiten wird deutlich mehr gelesen": Dorothee Luthers Buchhandlung Pfeiffer in der Hohenzollernstraße läuft gut. Trotz allem.
"In Corona-Zeiten wird deutlich mehr gelesen": Dorothee Luthers Buchhandlung Pfeiffer in der Hohenzollernstraße läuft gut. Trotz allem. © Daniel von Loeper

Nach wie vor stehe jedoch der enge Kundenkontakt im Vordergrund. Die Buchhandlung Pfeiffer lebt von der persönlichen Beratung: "Es ist uns sehr wichtig, für unsere Kunden da zu sein, denn gelesen wird in Zeiten von Corona deutlich mehr", stellt Luther fest. Ein Aushang im Schaufenster beginnt mit dem Satz: "Lesen ist Freiheit" und endet mit den Zeilen: "Lesen lenkt ab, Lesen tröstet, Lesen ist cool."

"Die Zukunft der Hohenzollernstraße? Wir sehen schwarz"

Doch nicht alle passen in diese seltsame Zeit, haben Wege gefunden, um sie zu überstehen. Celine Wallstein, Betreiberin des Kosmetikstudios Cremebar Beauty & Wellness, muss die Filiale in der Hohenzollernstraße endgültig schließen. Schon vorher sei es schwierig gewesen, doch Corona habe das Fass zum Überlaufen gebracht. Wallstein findet, dass die Hohenzollernstraße schon lange nicht mehr das sei, was sie einmal war.

Hohe Mieten und die Konkurrenz durch den Online-Handel hätten dazu geführt, dass viele Läden schließen mussten. Auch viele nette und interessante Geschäfte, die es brauche, um Kunden zu ziehen. "Daher sehen wir für die Hohenzollernstraße leider schwarz", bedauert Wallstein.

Gegensätze der Hohenzollernstraße: Einer der leerstehenden Läden...
Gegensätze der Hohenzollernstraße: Einer der leerstehenden Läden... © Conie Morarescu
... und Leben auf der Straße, hier eine Schlange vor einer Eisdiele.
... und Leben auf der Straße, hier eine Schlange vor einer Eisdiele. © Conie Morarescu

Ein weiteres Beispiel ist der Hallhuber. Im August vergangenen Jahres schloss die Filiale der Klamottenkette in der Hohenzollernstraße. So wie andere Standorte auch, wie Marketingleiterin Antonia Bruske die AZ informiert.

Eine "geringe zweistellige Zahl" der Filialen sei geschlossen worden. Hallhuber konzentriere sich wegen der hohen Umsatzeinbußen nun auf die starken Standorte. Das Geschäft in der Hohenzollernstraße steht bis heute leer.

"Die Kunden sind immer mehr in die Innenstadt abgewandert"

"Hohe Mieten sind nur in Einzelfällen Auslöser für Geschäftsschließungen", glaubt Immobilienmakler Andreas Schmid. Er vermittelt in der Hohenzollernstraße Wohnungen und Läden im Auftrag eines Kunden. Die Fluktuation kann er bestätigen: "Seit 1985 habe ich sehr viele Ladenmieter kommen und gehen sehen. Ich denke, es kommt ganz stark auf das Geschäftskonzept an, ob man sich dort halten kann."

Auch er nehme wahr, dass die Straße weniger belebt sei als früher. "Die Kunden sind irgendwann immer mehr in die Innenstadt abgewandert." Aktuell vermittelt Schmid wieder eine Ladenfläche. Leer stehen werde die nicht. "Wir haben einige Interessenten. Verstärkt Imbisse und To-go-Konzepte", verrät er.

Noch mehr Imbisse und To-go-Konzepte? Ja, die Welt steht nicht still. Aber wie sie sich hier, mitten in Schwabing, verändert, das muss nicht jedem gefallen.

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