Herrschaftlich spazieren in der Pasinger Villenkolonie I

Die Pasinger Villenkolonie I überrascht mit farbigen Dachziegeln und falschem Fachwerk – dahinter stecken viele Geschichten. Die AZ ist mit einer Viertel-Spezialistin um die Prachtbauten gezogen.
von  Eva von Steinburg
Die großbürgerliche Villa an der Ecke August-Exter-/Chopinstraße.
Die großbürgerliche Villa an der Ecke August-Exter-/Chopinstraße. © Eva von Steinburg

Pasing - Es gibt Leute, die meinen, August Exter wäre mehr Kaufmann als Architekt gewesen. Verbrieft ist: Der Mann kaufte einem Pasinger Bauern 14 Hektar Land ab. Ab 1892 errichtete der Architekt darauf in nur fünf Jahren über 100 Villen. Mit einer modernen Marketing-Strategie: August Exters Kunden konnten ihre Häuser aus einem Katalog oder Prospekt auswählen – und verspielte Details ergänzen.

Kommen Sie mit auf einen Spaziergang zu typischen August-Exter-Villen!

Sie sind zu erkennen am historisierenden Stil mit Türmchen, farbigen Dachziegeln und Fake-Fachwerk unter dem Giebel.

Ein Spaziergang durch das Villenviertel

Die Villenkolonie Pasing I liegt zwischen Bahngleisen, Nymphenburger Kanal und Offenbachstraße. Seit 1973 steht die Gartenstadt unter Ensembleschutz. "Man sieht nur, was man weiß", ist Angela Scheibe-Jaeger vom Kulturforum München-West überzeugt. Deswegen begleitet sie Villenfreunde zum "Spaziergang im Doppelpack" durch die Kolonie. Nur zu zweit läuft sie die Straßen ab, erklärt Geschichte und Stil. So sammelt sie zur Corona-Zeit Geld für die Ausfallhonorare von lokalen Künstlern.

Nicht nur das Groß- und Kleinbürgertum zog es um 1900 in die Gartenstadt am Pasinger Bahnhof, auch viele Künstler hatten hier ein Wohnhaus mit Atelier, erzählt sie.

Der gemeinsame Villen-Bummel beginnt am Pasinger Bahnhof Nord und führt zwei Straßen weit an herrschaftlichen Familienanwesen vorbei. Der Spaziergang endet am Wensauerplatz mit dem Bismarck-Brunnen. Über das kleine Denkmal wird gerade heftig diskutiert.

Die kleine Villen-Tour beginnt am Pasinger Bahnhof Nord: In der August-Exter-Straße, neben der Eisdiele "Buongiorno", deren Spezialität ein Basilikum-Zitronen-Eis ist, sehen Sie die Villa August-Exter-Str. 5 (1) . Das Haus (im Foto ist auch Viertelführerin Angela Scheibe-Jaeger zu sehen) von 1893 zeigt die charakteristischen Elemente der historisierenden Exter-Architektur: den typischen Eckturm mit imitiertem Fachwerk. Ein über Eck gebauter Erker gehört genauso zur Exter-Signatur, genau wie eine Säule als Zierde der Villa. Rosenstöcke vor den Fenstern und ein üppig tragender Birnbaum im Garten machen das romantische Klischee perfekt.

"Vor einem Hexenhaus mit Türmchen hat es mich als Kind immer gegruselt"

Exters Vorbild war die Schweizer Landhausarchitektur", sagt Angela Scheibe-Jaeger. Das beweist die Hausnummer 20 (2) mit den schmucken roten Fensterläden. Diese Villa ist jedoch "purifiziert", sämtlicher Zierrat an der Fassade ist weg. Der aus dem Viertel stammende Rapper Manekin Peace (35) radelt gerade zufällig im Lodenmantel seines Großvaters an dem Haus vorbei. Er hält an und erzählt vom geplanten Auftritt seiner Formation "Swango" am 30. August, 20 Uhr, im Pasinger Ebenböckpark. Der Musiker ist in der Villenkolonie I aufgewachsen. Er sagt: "Hier stehen so viele schöne Häuser. Vor einem Hexenhaus mit Türmchen hat es mich als Kind immer gegruselt, besonders im Herbst."

Der aus dem Viertel stammende Rapper Manekin Peace vor dem Haus in der August-Exter-Straße 15.
Der aus dem Viertel stammende Rapper Manekin Peace vor dem Haus in der August-Exter-Straße 15. © Eva von Steinburg

Eine großbürgerliche Prunkvilla (3) steht an der Ecke August-Exter-/Chopinstraße. Interessant an diesem denkmalgeschützten Anwesen von 1897 ist: Als Exter-Standardtyp einer teuren und historisierenden Villa wurde das Haus in Pasing drei Mal gebaut: mit Holzbalkon und Loggia, dem mittelalterlichen Zinnenturm und einem barocken Schwunggiebel. "Das sind lauter historische Zitate. Man hat sich fröhlich in allen Epochen der Kunstgeschichte bedient", erklärt die Villenexpertin.

Hinter einem schmiedeeisernen Tor erhebt sich diese Villa im Fachwerkstil, wobei das Fachwerk reine Dekoration ist. Gut zu erkennen in der Hausnummer 24 (4): Ein typisches Exter-Extra, das sich die Hauskäufer aussuchen konnten: Ein mit bunten Ziegeln gedecktes Vordach: hier in Weiß, Gelb und Grün. In der Vergangenheit war auf der Fassade der Sinnspruch zu lesen. "Froh, wie die Libelle Teich. Frohsinn macht leicht und reich". Sprüche wie "Mein Heim, mein Glück", Madonnen und Hausheilige an den Fassaden waren vor 130 Jahren sehr beliebt. "Schade, dass der Spruch übertüncht ist", findet Angela Scheibe-Jaeger.

Villa mit geschichtsträchtigem Bewohner

Von der August-Exter-Straße biegen Sie jetzt nach rechts für ein kurzes Stück in die Offenbachstraße ein. Dort steht ein charmantes hellblaues Haus (5), das den Münchnern im Westen vom Vorbeifahren bekannt ist. Der runde Vorbau mit Terrasse aus dem Jahr 1923 ist ein markanter Blickfang an der Straße. Gebaut hat das Anwesen Exter-Schüler Bernhard Borst, der Gründer der Borstei. In dieser Villa hat vormals der jüdische Anatomieprofessor Harry Marcus mit seiner Familie gelebt. Er war der einzige jüdische Professor, der nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Exil wieder an die Ludwig-Maximilians-Universität zurückgekehrt ist.

Einige Häuser weiter spazieren Sie bitte nach rechts in die Peter-Vischer-Straße hinein – zurück Richtung Pasinger Bahnhof. Diese Allee haben vor allem frühere Exter-Mitarbeiter bebaut. In den Gärten voller Flieder oder Obstbäumen stehen dezente Kleinvillen und eine sehr originelle Reihenhausreihe (6) mit fünf Häusern: Alle sind schmal, aber grundverschieden von Dach- und Fensterform, Eingang, Haustür und Anstrich: Gelb, grau, blau und cremefarben leuchten die Häuser Nummer 9 bis 17 mit ihren dunkel gestrichenen Fensterläden und lackierten Holzzäunen. "Wirklich reizend, so witzig und individuell", schwärmt die Obermenzingerin Angela Scheibe-Jaeger: "Für mein Auge ist das ein Lustgewinn."

Reihenhäuser in der Peter-Vischer-Straße.
Reihenhäuser in der Peter-Vischer-Straße. © Eva von Steinburg

Als sozialer Mittelpunkt der Gartenstadt wurde der Wensauerplatz konzipiert, an dem der Villen-Spaziergang endet. Umgeben von vier lauschigen Ahornbäumen steht ein 55 Zentimeter kleines Reiterstandbild von Otto von Bismarck (7) auf einem Brunnen mit zwei Wasserspeiern. Im Rahmen der aktuellen Denkmaldebatte fordern die Münchner Jusos gerade "das Denkmal in einen neuen Kontext zu setzen". Dem Reichkanzler werfen sie vor, ein Kriegstreiber und Kolonialist gewesen zu sein. Angela Scheibe-Jaeger, die auch als Lokalpolitikerin für die SPD im Bezirksausschuss Pasing-Obermenzing sitzt, sagt: "Es wird einen Antrag geben, ob man eine Tafel mit einer Erläuterung ergänzt oder ein Gegendenkmal dazu stellt." Würde die Bronzefigur Bismarcks aus der Villenkolonie entfernt, der Brunnen aus Muschelkalk könnte bleiben. Die "Zamperltränke" nämlich am Fuß des Brunnens, mit Wasser für die Hunde, ist eine nette Sache.

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