Haus steht seit zwei Jahren leer: "Wir fühlen uns von der Stadt im Stich gelassen"

Vor zwei Jahren mussten 37 psychisch Erkrankte aus ihrem Zuhause ausziehen. Seitdem steht das Haus leer – und die Stadt will es kaufen.
von  Christina Hertel
Heiko Hüttenrausch und Michaela Weiß haben in dem Haus in der Arcisstraße hinter ihnen vor zwei Jahren psychisch kranke Menschen betreut. Doch der Eigentümer erhöhte die Miete so lange, bis ihre Einrichtung den Standort aufgeben musste. Seither herrscht Leerstand.
Heiko Hüttenrausch und Michaela Weiß haben in dem Haus in der Arcisstraße hinter ihnen vor zwei Jahren psychisch kranke Menschen betreut. Doch der Eigentümer erhöhte die Miete so lange, bis ihre Einrichtung den Standort aufgeben musste. Seither herrscht Leerstand. © Petra Schramek

Maxvorstadt - An der Arcisstraße 63 sind die Fenster so grau und staubig, dass man kaum durchschauen kann. Im Hinterhof liegen kaputte Fahrräder, zerbrochene Flaschen, Müll. "Schauen Sie, alles verwuchert", sagt Michaela Weiß und deutet auf Gebüsch, das aus den Beeten hinaus über die Pflastersteine wächst.

Miete immer weiter verteuert: 37 psychisch kranke Menschen mussten raus

Weiß ist die Geschäftsführerin von "Soziale Dienste", eine Einrichtung, die sich um psychisch erkrankte Menschen kümmert. Sie hat sich an diesem Vormittag extra aus Vaterstetten auf den Weg in die Maxvorstadt gemacht. 37 ihrer Klienten haben bis vor gut zwei Jahren hier gelebt, bis ein Investor das Haus kaufte. Er verteuerte die Miete immer weiter und zwang die Einrichtung letztlich zum Auszug.

22,76 Millionen Euro hätte das Haus kosten sollen: Kommunalreferat rät ab 

Doch sein Plan, das große Geschäft zu machen, ging offensichtlich nicht auf: Seit eineinhalb Jahren steht das Haus an der Arcisstraße, zwischen Univiertel und Elisabethplatz, leer.

Die Stadt hatte zweimal – nämlich 2017 und 2020 – die Chance das Haus zu kaufen. Damals wäre es möglich gewesen, dass die Stadt für die Immobilie ihr Vorkaufsrecht nutzt - so wie sie es 2020 in 21 anderen Fällen tat und 147 Millionen Euro dafür ausgab. Doch in diesem Fall riet das Kommunalreferat von dem Kauf ab. Die 22,76 Millionen Euro, die das Haus hätte kosten sollen, seien zu teuer, fand es. Und der Stadtrat sah das mehrheitlich auch so.

Leerstand in der Arcisstraße 63: Neuer Anlauf der Stadt?

Jetzt will der Eigentümer das Haus wieder verkaufen. Allerdings hat sich inzwischen sich vieles geändert. Gerichte entschieden, dass Kommunen nur noch in Ausnahmen ihr Vorkaufsrecht nutzen können. Wenn die Immobilie verfällt. Oder wenn sie leer steht. Und deshalb wird sich der Stadtrat am Mittwoch in einer nicht-öffentlichen Sitzung wieder mit der Arcisstraße 63 befassen.

Die Einschätzung des Kommunalreferats hat sich inzwischen geändert. Diesmal rät es dem Stadtrat, zuzuschlagen. So geht es aus einer nicht-öffentlichen Beschlussvorlage hervor.

Anders ist diesmal auch der Preis. Der liegt nun bei 21 Millionen Euro - 1,74 Millionen Euro weniger als zuvor. Dafür verloren 37 psychisch erkrankte Menschen, zwischen 19 und fast 70 Jahren, ihr Zuhause - und fanden zumindest zum Teil kein neues.

Einen Tag vor dem Treffen an der Arcisstraße ruft die AZ bei Michaela Weiß an. Sie weiß zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass das Haus seit eineinhalb Jahren leer steht. Und sie weiß auch nicht, dass die Stadt wieder überlegt, es zu kaufen. Was sie weiß: Viele der Menschen, die damals in dem Haus lebten, waren so krank, dass sie nicht fähig waren, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.

Sozialpädagoge half bei Behördengängen oder bei der Jobsuche

An der Arcisstraße konnten sie trotzdem alleine oder mit ihrem Partner in einer Wohnung leben. Niemand, der an dem Haus vorbeilief, konnte ahnen, welche Geschichten und Probleme die Mieter hatten. Ein Sozialpädagoge half bei Behördengängen, bei Arztbesuchen, bei der Jobsuche.

"Wir haben uns wahnsinnig schwergetan, die Bewohner woanders unterzubekommen", sagt Weiß. Zehn Menschen wurden von ihrem eigenen Apartment in der Maxvorstadt in eine WG der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewofag am Prinz-Eugen-Park verlegt.

Die anderen, erzählt Weiß, zogen zum Teil zurück zu ihren Familien oder Freunden. Doch dort konnten sie oftmals nicht lange bleiben. Am Ende seien manche bloß in Obdachlosenunterkünften untergekommen. Den Kontakt zu ihnen hat Weiß inzwischen verloren.

"Jetzt vor dem leeren Haus zu stehen, fühlt sich frustrierend an", sagt Weiß. Und ihr Kollege Heiko Hüttenrausch meint: "Wir fühlen uns von der Stadt im Stich gelassen."

War es ein Fehler, dass die Stadt nicht schon vor zwei Jahren kaufte?

Die Stadträtinnen Anne Hübner von der SPD und Heike Kainz von der CSU beteuern beide, dass sie davon ausgegangen seien, dass für die Bewohner ein Ersatz gefunden wird. Die Fraktionschefin der Grünen, Mona Fuchs, will sich zum Verkauf gar nicht äußern.

Eine Idee war damals, die Bewohner im Kreativquartier unterzubringen. Dass das scheitern würde, sei ihm bereits damals klar gewesen, sagt Stefan Jagel von der Linken. Schließlich soll das neue Viertel erst 2026 fertig sein. "Psychisch erkrankte Menschen stehen einfach nicht auf der Prioritätenliste der Koalition", sagt Jagel.

Er beantragte bereits Anfang 2021, dass die Stadt einen Ersatz für die Einrichtung finden muss. Das Gesundheitsreferat antwortete ihm daraufhin in einem Brief, dass ein "besonders wertvolles Angebot verloren geht" und dass inzwischen viele Träger auf dem "äußerst angespannten Miet- und Immobilienmarkt" keine betreuten Wohnungen mehr anbieten können.

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Stadt sich jetzt anders entscheidet? 

Außer Bedauern konnte das Gesundheitsreferat aber nichts anbieten. Denn der Stadtrat hatte damals bereits entschieden, dass er das Haus nicht kaufen will.

Es ist wahrscheinlich, dass er diesmal anders entscheidet, heißt es im Rathaus. Jagel fordert, dass dann wieder eine Einrichtung für psychisch erkrankte Menschen einzieht.

Auch Weiß und ihr Kollege Hüttenrausch hoffen beide, dass die Stadt diesmal zuschlägt - obwohl es ihren Klienten nichts mehr bringt.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.