Handicap? Herausforderung!
Schwabing - Am Gisela-Gymnasium werden schwerhörige und normalhörende Kinder gemeinsam unterrichtet. Max Dimpflmeier, schwerhöriger Lehrer und Betreuer der hörgeschädigten Schüler der Schule, im Interview.
Herr Dimpflmeier, seit 1984 integriert das Gisela-Gymnasium schwerhörige Schüler. Wie findet das im Schulalltag konkret statt?
Ab der 10. Klasse bis zum Abitur werden bei uns hörgeschädigte mit normalhörenden Schülern unterrichtet. Aber auch Aktivitäten außerhalb des Unterrichts, wie gemeinsame Ausflüge, sind Teil der Inklusion. Es gibt regelmäßige Besuche der schwerhörigen Zehntklässler in den fünften Klassen und bei Informationsveranstaltungen für Lehrer: Hier sprechen sie über Ausprägung und Folgen ihrer Schwerhörigkeit.
Gibt es spezielle Räume für hörbehindertengerechten Unterricht?
Wir verfügen über schallgedämmte Klassenzimmer, die mit einer Hör-Sprechanlage ausgestattet sind. Die Schüler sitzen im Halbkreis, so dass auch von den Lippen abgelesen werden kann. Unsere neuste Errungenschaft für die Inklusionsklassen ist das mobile Beschallungssystem Dynamic SoundField. Mittels FM-Übertragung können wir gleichzeitig schwerhörige Schüler direkt auf dem Hörgerät und die Normalhörenden über einen Lautsprecher ansprechen.
Inwiefern erleichtern Ihnen diese technischen Hilfsmittel den Unterrichtsalltag?
Die Akustik im Klassenzimmer ist viel besser und störende Hintergrundgeräusche werden ausgeblendet. Den Schülern und mir selbst fällt es leichter, Gesprochenes zu verstehen. Und als Lehrer ist es mir wichtig zu hören, was die Schüler sagen – schließlich muss ich das auch bewerten. Vor allem in Unterrichtsfächern wie Ethik, in denen viel diskutiert wird, ist das System eine große Hilfe. Ein weiterer angenehmer Effekt: In gewissen Situationen muss ich nicht mehr „die Stimme erheben“ – das schont Stimmbänder und Nerven.
Sie selbst sind hörgeschädigt und haben 1990 Abitur am Gisela-Gymnasium gemacht. Warum ist es für schwerhörige Schüler so wichtig ist, mit Normalhörenden Abitur zu machen?
Das hat vor allem mit Selbstfindung und Identitätsentwicklung zu tun. Schaffe ich es mit Normalhörenden die gleiche Ausbildung bzw. das gleiche Abitur zu machen, ist mein Selbstvertrauen auch für künftige Herausforderungen in der Welt der Hörenden gestärkt. Das heißt aber nicht, dass Inklusion für jeden der richtige Weg ist. Um das heraus zu finden, führen wir intensive Vorab-Gespräche mit den potenziellen Schülern und ihren Eltern. Erst danach können wir abschätzen, ob unser Modell der richtige Weg für sie ist.
Heute unterrichten Sie Inklusions- und Regelklassen am Gisela-Gymnasium. Vor welchen Herausforderungen stehen Sie jeden Tag?
Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist für jeden eine Herausforderung. Als schwerhöriger Lehrer kämpfe ich außerdem mit Hintergrundlärm im Unterricht und der Aussprache der Schüler. Daneben muss ich natürlich sicherstellen, dass die schwerhörigen Kinder dem Unterricht folgen. Und dann versuche ich auch mit beiden Lebenswelten – die der Schwerhörigen und die der Hörenden – im Einklang zu sein. Die Balance zu halten ist nicht immer einfach – aber die Anerkennung ist groß, wenn es gelingt.
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