Haidhausen: Wird der historische Sophie-Scholl-Zaun abgerissen?

Ein Zaun am Ostbahnhof könnte zum Denkmal für die Weiße Rose werden - doch die Umsetzung verzögert sich.
von  Lea Kramer
Der Zaun heute.
Der Zaun heute.

Haidhausen - Es ist Sommer 1942. Eine junge Frau steht auf der Befestigungsmauer eines Zaunes am Ostbahnhof. In der Hand hält sie eine Blume, ihre Ledertasche hat sie am Zaun aufgehängt. Im Hintergrund kommt ein Pferdetransporter vorbei. Die junge Frau hebt die Arme in die Höhe und lächelt, um sie herum eine Gruppe junger Burschen in Uniform. Ein Alltagsbild - und doch ein geschichtsträchtiger Moment.

Die Szene, Teil einer Serie von Aufnahmen, zeigt Sophie Scholl mit ihrem Bruder Hans und weiteren Widerstandskämpfern der "Weißen Rose". Das Bild ist eine der wenigen Aufnahmen, auf dem die Aktivisten gemeinsam festgehalten sind. Die Fotos, aufgenommen vom Medizinstudenten Jürgen Wittenstein, sind vielfach gedruckt und in der ganzen Welt bekannt. Entstanden sind sie vor 76 Jahren, am 23. Juli 1942. Sophie Scholl war zum Ostbahnhof gekommen, um ihren Bruder Hans sowie die Freunde Hubert Furtwängler, Alexander Schmorell und Willi Graf, die als Teil einer Studentenkompanie an die Ostfront beordert wurden, zu verabschieden.

Die meisten Weiße-Rose-Mitglieder haben die Nazi-Zeit nicht überlebt. Doch der Zaun steht noch immer. Er rostet etwas unbeachtet am Rande der Orleansstraße vor sich hin. Einen Hinweis darauf, was an diesem Ort geschah, findet man fast schon gschamig versteckt an einer Häuserwand auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Eine Tafel ist schon da, ein Denkmal soll folgen

Der Zaun heute.
Der Zaun heute.

Der Zaun heute.

München tut sich mit der Aufarbeitung seiner Nazi-Vergangenheit und der Erinnerung im öffentlichen Raum schwer. Das verdeutlichen die Debatten, die um das Haus der Kunst, die Stolpersteine, das NS-Dokumentationszentrum oder eben den maroden Zaun am Ostbahnhof immer wieder neu geführt werden.

Lange Zeit hat sich ein Haidhauser um die Erinnerung an der Stelle bemüht. Schon 2003 schrieb Werner Thiel einen Brief an den damaligen Oberbürgermeister Christian Ude. Er schlug vor, dort "eine Stele mit den historischen Fotos und Hintergrundinformationen zu errichten". Dieser Plan wurde vom Bezirksausschuss Au-Haidhausen auch gegen den Willen der Stadt unterstützt. 2013 wurde eine Tafel angebracht, ein Denkmal soll folgen - nur wann, ist ungewiss.

Das liegt an einem ebenfalls konfliktbehafteten Projekt: der Zweiten Stammstrecke. Die Deutsche Bahn hat "bauvorbereitende Maßnahmen" am Ostbahnhof für den Herbst 2018 angekündigt. Der Bezirksausschuss fürchtet, dass der Zaun den Bauarbeiten zum Opfer fällt. Die Deutsche Bahn gibt Entwarnung: "Das Gelände, auf dem sich der Zaun an der Orleanstraße befindet, wird für die Arbeiten der Zweiten Stammstrecke nicht benötigt und betrifft unsere Bauarbeiten somit nicht", sagt eine Sprecherin.

Wird ein Zaunstück eingelagert?

Das Areal gehört der Grundstücks-, Verwaltungs- und Verwertungsgesellschaft (GVG). Die hat grundsätzlich nichts gegen das Erinnern. An der alten Gedenktafel hatte sie sich sogar finanziell beteiligt. Mittelfristig soll das Gelände bebaut werden - mit Wohnungen. Kritiker des Zaun-Denkmals sind ohnehin der Meinung, dass es mit der "DenkStätte" an der Ludwig-Maximilians-Universität, dem Geschwister-Scholl-Platz, dem Saal im Justizpalast und im NS-Dokumentationszentrum genug Erinnerungsorte für die "Weiße Rose" gibt.

Das Kulturreferat hat vorgeschlagen, ein Stück des Schmiedeeisernen im städtischen Museumsdepot einzulagern. Ob ein Zaunstück in der Sammlung selbst einen Platz findet, ist fraglich. Schließlich ist ein Umbau des Stadtmuseums angedacht. Vor 2025 ist dort mit einer Fertigstellung nicht zu rechnen.

"Ich würde es außerordentlich begrüßen, wenn zumindest ein Teilstück des Zauns an Ort und Stelle erhalten bliebe", sagt Hildegard Kronawitter von der "DenkStätte". In ihren Räumen sei aber zu wenig Platz, um den Zaun zu präsentieren.

Deshalb rückt der Wunsch vom Denkmal für die "Weiße Rose" an einem Originalschauplatz erneut in weite Ferne, selbst wenn sich die meisten Beteiligten eigentlich einig sind, dass sie sich eigentlich erinnern wollen.

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