Gemüsehobel in der Fußgängerzone: Der Standl-König dankt ab

Altstadt - Er hat es geliebt. Morgens aufstehen, die Ware ins Auto laden, in die Fußgängerzone fahren, Stand aufbauen, um 10 Uhr ging’s los. Da standen dann oft schon 50 Leute, die auf ihn warteten. Auf ihn, Sigi Fendl, den König der Gemüsehobel, Rollbürsten und Nussknacker.
Die Leute rissen ihm die Hobel aus den Händen, ein paar Sprüche an die jungen Damen, "Wir helfen Ihnen gerne beim Hobeln, wenn Ihr Hobel nicht daheim ist" – "Wenn Sie zu den ersten sechs Schnellentschlossenen gehören, kriegen Sie drei Rollen für zehn Euro!" An guten Tagen ging er mit 15.000 Mark nach Hause. Er hat es geliebt.
Diese Liebe hielt 41 Jahre, jetzt ist sie vorbei. Die Tage, die Stunden voller Spaß waren, die Jahre, in denen er einfach zur Bank gehen und sich ein neues Auto kaufen konnte – vorbei. Heute freut sich Sigi Fendl (76) wenn überhaupt Passanten stehen bleiben, über seine Witze lachen sie nur noch selten, deswegen macht er nur noch selten welche.
Zwiebeln, Kartoffeln und Karotten
Fendl verkauft seit 41 Jahren Gemüsehobel in der Neuhauserstraße, er kann Zwiebeln, Kartoffeln und Karotten in wenigen Sekunden in kleine Würfel, zarte oder kräftige Streifen verwandeln. Er hat an Senta Berger verkauft, an Arnold Schwarzenegger. Aber Fendl, das Münchner Standl-Original, der älteste Werbeartikelverkäufer der Stadt und der Letzte seiner Art, er glaubt, dass seine Zeit nun vorbei ist.
So wie die Zeit der Werbeartikelverkäufer, Staubsaugervertreter und Marktschreier ja generell vorbei ist.
Sigi Fendl, den man sonst schon von Weitem an seiner orangefarbenen Schürze erkennt, trägt jetzt einen Pullover mit braunen Bären. Er sitzt in einem Café in Stand-Nähe, ein Kollege vertritt ihn; wenn er am Stand steht, muss er verkaufen und kann nicht erzählen. Von einem Geschäft, das früher so gut lief und heute ein Kampf ist.
"Ich hatte einen Kollegen", sagt er, "der hat auf Märkten Strumpfhosen verkauft und gemeint, ich soll mal mitkommen." Damals ist er 27 und arbeitet in einem Münchner Sportgeschäft. Er fährt einen Tag lang mit, "ich hab mich gleich verliebt".
Unzerreißbare Strumpfhosen preisen die beiden an, "das war a bisserl gelogen", so unzerreißbar waren sie gar nicht. Drei Monate später macht er sich selbstständig, Gemüsehobel-Verkäufer am Marienplatz, einer von vielen, heute ist er der Einzige. "An guten Tagen habe ich 500 oder 600 Hobel verkauft."
Er strahlt, wenn er von damals erzählt, den guten Zeiten. An den Wochenenden Märkte, Rollbürsten verkaufen, das waren Zeiten!
"Das war ein Action-Beruf, wir haben uns selbst verkauft." Die Leute brauchten keine Krümel-Aufsauger, aber sie kauften sie. "Wir haben Witze gemacht, sie haben sich gebogen vor Lachen!"
Die Kinder helfen beim Verkaufen
Als seine Tochter 12 ist und sein Sohn 14, stirbt seine Frau. Seine Kinder helfen ihm beim Verkaufen, nach der Wende fahren sie nach Dresden, "die haben das ja alles nicht gekannt". Die Leute reißen ihm die Nussknacker aus den Händen: "Du hättest den Beruf früher mal sehen sollen!"
Jetzt stirbt er aus, sagt er. Der Euro, das Internet, "die Kauflust ist gestorben." Und dann die Mieten: "Früher hat die Platzmiete 70 Mark pro Woche gekostet, jetzt sind es 480 Euro." Die Umsätze gehen zurück, die Kosten steigen, es lohnt sich kaum noch.
Früher, sagt Fendl, hatten manche Verkäufer jeden Tag eine andere Rolex an, die Passanten kamen, um unterhalten zu werden. Heute hetzen sie durch die Stadt, Kette an Kette, die Stadt hat ihr Flair verloren, die Leute ihren Humor.
"Achtung, Achtung, eine Sondermeldung! Habt ihr schon Bayern 3 gehört? Unser Oberbürgermeister hat gesagt, alles rein in die Fußgängerzone, da verschleudert der verrückte Fendl wieder seine Ware!" Ach, das waren noch Zeiten. Fendl seufzt. Er muss zurück zu seinem Stand. Er arbeitet jetzt nur noch bis 16 Uhr. Ein Jahr hat er noch.
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