Gärtnerplatzviertel: Ärger über zu laute Kneipen

Ärger im Gärtnerplatzviertel: Wegen der ständigen Beschwerden von Anwohnern gibt es immer weniger Lokale für Nachtschwärmer. Manche wandeln ihre Kneipen in Cafés um
Laura Kaufmann |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
A.J. Menexes hat das Konzept seiner Bar geändert.
Petra Schramek 2 A.J. Menexes hat das Konzept seiner Bar geändert.
Wenn es in der Reichenbachstraße keine Zukunft mehr für ihn gibt, will der Wirt woanders weitermachen: Das "Holy Home".
Armin Smailovic/Ostkreuz 2 Wenn es in der Reichenbachstraße keine Zukunft mehr für ihn gibt, will der Wirt woanders weitermachen: Das "Holy Home".

Spinatknödel statt Schnaps – das bestellen die Gäste jetzt im „Trachtenvogl“. Menschen, die Knödel essen, machen wenig Lärm. Im Gegensatz zu Menschen, die Schnaps trinken. Die Cafébar in der Reichenbachstraße ist deswegen zum Esslokal mutiert: Wegen ständiger Beschwerden der Anwohner ist hier jetzt um 22 Uhr Schluss. Zapfenstreich im Gärtnerplatzviertel.

Neun Jahre lang drängten sich hier noch spät die Nachtschwärmer am Tresen. „Wenn das so weitergeht, ist unsere Straße bald tot“, sagt A.J. Menexes. Auch er hatte mit massiven Anwohnerproblemen zu kämpfen. Bis er vor gut einem Jahr sein „K&K“ in die gediegene „Bar Reichenbach“ verwandelte.

Im K&K hatte das Partyvolk am Wochenende Mühe, einen Drink an der Bar zu ergattern. Die Leute saßen in Fensterrahmen, in Sitznischen und auf Bänken, der Rest stand. Ein DJ spielte, ein bisschen hip, ein bisschen alternativ ging es im K&K zu. „In den letzten zwei, drei Jahren hatten sich die Beschwerden massiv gehäuft“, sagt Menexes. Ständig mit der Polizei in Kontakt und mit dem Anwalt Briefe aufsetzen – so hatte er sich das Wirte-Dasein nicht vorgestellt.

Sein Vertrag hatte noch zwei Jahre Laufzeit, und der Vermieter machte ihm klar: Du kannst gern bleiben, aber nicht mit diesem Konzept.

„Die Idee, eine Bar wie die Bar Reichenbach zu eröffnen, ist mir schon lange im Kopf herumgeschwirrt“, sagt Menexes. „Aber nie wäre mir der Gedanke gekommen, das K&K dafür zu schließen, das war ein gut laufender Laden. Wir, die die Sachen etwas anders machen, all diese Leute mit ihren Kneipen, die zum Charme des Viertels beitragen, werden einfach weggentrifiziert.“

Nach den alteingesessenen Bewohnern des Glockenbachviertels, die die Mieten nicht mehr zahlen können, geraten jetzt die Kneipen in Bedrängnis. Häuser werden entmietet, luxussaniert, teuer verkauft. Und die neuen Bewohner lassen sich ihre Lage extrem viel kosten.

„Da kommen welche mit der Einstellung: Alles, was schon früher da war und stört, muss weg – das ist asoziales Verhalten“, sagt Menexes. In seiner „Bar Reichenbach“ hat er keine Probleme mehr. Wer hier hinein will, muss klingeln und wird an der Tür empfangen. Die Gäste sitzen, keiner steht, keiner drängt, sie trinken Champagner-Cocktails oder teure Brände.

„Ich bin gottfroh, dass der Ärger für mich vorbei ist“, sagt A.J. Menexes. Tobias Lintz hat keinen Grund, gottfroh zu sein. Er muss in der Reichenbachstraße um seine Existenz bangen. Seit 16 Jahren führt er hier die kleine Bar „Holy Home“, er hat viel investiert in seinen Laden. „Die Tendenz im Viertel ist beunruhigend: Sogar eine Institution wie die Fraunhofer Schoppenstuben muss raus“, sagt Lintz.

Auch im früher rappelvollen „Zappeforster“ direkt am Gärtnerplatz ist es längst zappenduster. Hier residiert jetzt die ruhigere „Kirk Bar“. „Meistens liegt das an neuen Hausbesitzern und Investoren. Das Problem ist, dass man mittlerweile für einen Einzelhandel genauso viel Pacht verlangen kann wie für einen Gastronomiebetrieb.“ Kleider und Schuhe machen keinen Lärm, Gäste schon.

„Das Nachtleben spielt sich jetzt schon nur noch auf der Sonnenstraße ab. Wenn das so weitergeht, ist unser Stadtbild in zehn Jahren ein anderes: Nur noch Architekturbüros und Möbelläden.“

„Das Glockenbachviertel hat seinen Charme durch eine gewisse Mischung“, sagt auch Robinson Kuhlmann. „Ich kann es ja verstehen, dass mit den Mieten auch die Ansprüche steigen. Aber dass man sich nicht vor dem Einzug anschaut, ob vielleicht lautere Kneipen in der Gegend sind, verstehe ich nicht.“

Er lässt es sich einiges kosten, mit den Anwohnern seiner Bar in der Corneliusstraße im Reinen zu sein. Unter der Woche hat er einen, am Wochenende zwei „Silencer“ engagiert: Ein Beruf, den das Rauchverbot geschaffen hat. Ein Silencer sorgt vor der Tür dafür, dass die Gäste nicht zu laut werden. Meist hört sich das so an: „Schhhht!“. Die Anwohner beschweren sich trotzdem.

„Manchmal finde ich heraus, wer es ist, dann klingele ich und rede mit den Leuten“, sagt Robinson. „Es ist schade, dass es immer über diesen Flüsterpostweg Anwohner-KVR-Polizei läuft. Im direkten Gespräch kann man besser herausfinden, was genau die Leute stört. Und man geht anders miteinander um, nachbarschaftlich – und grüßt sich auf der Straße.“

Viele Probleme, sagt der Barbesitzer, würden gerade im Sommer durch die Gärtnerplatzbelagerung entstehen und dann den Kneipenbesitzern angelastet werden. „Vor meiner Bar stehen 20 Leute – ein paar Schritte weiter sitzen 1000.“

Daniela Schlegel vom KVR kann einen leichten Anstieg von Beschwerden feststellen. Beim Trachtenvogl zum Beispiel hätte es seit Jahren immer wieder Beschwerden gegeben. Würde der Besitzer aber schallschützende Maßnahmen ergreifen, dürfte er auch wieder länger offen haben. Oft ist das aber sehr teuer, gerade in einem Viertel wie diesem, voller hellhöriger Altbauten mit alten Leitungen und Kaminzügen.

„Früher war die Wohnung über einer Kneipe billig oder gleich die Wirtewohnung“, sagt ein Vermieter aus dem Glockenbachviertel. „Hier ist das nicht mehr so. Das Problem ist, dass die Leute teures Geld zahlen, um mittendrin zu sein – aber davon nichts mitkriegen wollen.“

Er sieht auch die Makler in der Schuld: Sie würden oft nicht mit offenen Karten spielen. „Da heißt es dann, die Kneipe muss eh bald raus, statt: Du hast zwar Schallschutzfenster, aber du wohnst eben direkt an der Partymeile.“

Wenn sich die Gegend um den Gärtnerplatz weiter so entwickelt, wie es ihre Wirte befürchten und wie es sich in der Reichenbachstraße andeutet, braucht es bald keine Silencer oder Schallschutzfenster mehr. Dann ist es von alleine totenstill. Wie ausgestorben.

 

 

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.