Friedhof: Rundgang durch Neuhausens stillsten Ort

Friedhöfe sind Orte des Trauerns und Erinnerns. Und sie sind grüne Inseln voller Geschichte(n). Die AZ lädt Sie ein zu einem Rundgang in Neuhausen.
von  Nina Job
Alfred Böhmlers Großvater gründete Böhmler im Tal.
Alfred Böhmlers Großvater gründete Böhmler im Tal. © Bernd Wackerbauer

Neuhausen - An Allerheiligen sind wieder Tausende Gräber liebevoll geschmückt. Viele Münchner besuchen ihre Lieben auf dem Friedhof.

So viele Friedhöfe hat München

29 städtische und zwei israelitische Friedhöfe gibt es in München - vom kleinen ehemaligen Dorffriedhof bis zum riesigen Wald-Areal, in dem man stundenlang wandeln kann: Alle haben gemeinsam, dass sie Orte des Erinnerns und der Besinnung sind. Und sie können viel erzählen über die Geschichte der Stadt und den Menschen, die darin lebten.

Uralt: der Winthirfriedhof

Einer der kleinsten ist der Winthirfriedhof in Neuhausen. 1315 wurde er erstmals erwähnt. Heute liegen hier auch viele bekannte Persönlichkeiten. Neben der Friedhofsmauer ragen an zwei Seiten Häuser empor, was die friedliche Atmosphäre aber nicht stört. Manche Neuhauser kommen täglich, weil sie die Atmosphäre mögen.

Die frühere Bibliothekarin und Verlegerin Lioba Betten gab der AZ eine Führung. Auf dieser Seite nehmen wir Sie mit zu einen Rundgang.

Autorin Lioba Betten.
Autorin Lioba Betten. © Bernd Wackerbauer

Der Dichter-Priester

Peter Dörfler (1878-1955) kam aus einer Bauernfamilie und wurde Priester, Archäologe und Schriftsteller. Er schrieb Erzählungen und Romane und leitete 35 Jahre lang ein Waisenhaus. Gegenüber von seinem Grab ließen Freunde einen Brunnen errichten, geschaffen von der Bildhauerin Ruth Schaumann.

Das Grab von Peter Dörfler.
Das Grab von Peter Dörfler. © Bernd Wackerbauer

Der umtriebige Pfarrer

Der Stadtpfarrer von Neuhausen, Fritz Betzwieser (1929-1993), kannte sie alle: Er war ein sehr guter - wenn nicht der beste - Freund von Sigi Sommer; er war dabei, wenn sich Politiker und Schriftsteller im Augustiner in der Neuhauser Straße am Stammtisch trafen und reiste durch die halbe Welt - bis nach Indien zu Mutter Theresa. Er verkehrte mit Kardinal Ratzinger und Franz Josef Strauß, traf sich mit Herbert Rosendorfer und korrespondierte mit Dietrich Bonhoeffer.

Efeuumrankt: das Grab von Fritz Betzwieser.
Efeuumrankt: das Grab von Fritz Betzwieser. © Bernd Wackerbauer

Und Betzwieder sammelte schmiedeeiserne Grabkreuze, die er in ganz Oberbayern zusammensuchte. Wenn jemand starb, riet er den Angehörigen, doch ein schmiedeeisernes Kreuz zu wählen. Wohl deshalb stehen auf diesem kleinen Friedhof so viele davon.

Der Spaziergänger

Schreibst halt jeden Tag a Verserl, an Stoff findst auf der Straß", das war das Motto von Sigi Sommer, der Jahrzehntelang als "Blasius der Spaziergänger" für die Abendzeitung Geschichte(n) schrieb. Nahezu täglich spazierte er an die zehn Kilometer in Tennisschuhen durch seine geliebte Heimatstadt. Was ihm dabei ein- und auffiel, schrieb er winzig klein auf rote Karteikarten. Abends hielt er im Augustiner unter einer Kastanie Hof.

Mit Engeln: Sigi Sommers Grab.
Mit Engeln: Sigi Sommers Grab. © Bernd Wackerbauer

Alle kamen zu seinem Stammtisch: Politiker, Künstler, auch der Kardinal. Sigi Sommers erster Roman "Und keiner weint mir nach" wurde in 17 Sprachen übersetzt. Darin schildert der Poet den Überlebenskampf der kleinen Leute in großen, grauen Mietskasernen - für Bert Brecht damals der beste deutsche Nachkriegsroman.

Der Museumsgründer

Oskar von Miller, dem Gründer des Deutschen Museums, wird auf dem kleinen Friedhof doppelt Ehre zuteil. An der Kirche hängt eine Tafel mit seinem Konterfei, außerdem hat er die größte Grabplatte weit und breit. Rundum liegen Ahnen und Nachkommen der adeligen Familie. Oskar von Miller gründete ein Ingenieurbüro in München, das das Walchenseekraftwerk, Bayernwerk und die Reichselektrizitätsversorgung baute. Nach seinem Herztod wurde von Miller im Deutschen Museum aufgebahrt.

Mächtig: Millers Grabplatte.
Mächtig: Millers Grabplatte. © Nina Job

Der Herzkasperl

Unvergessen in München und Bayern ist der Schauspieler und Kabarettist Jörg Hube. Er spielte Versiffte und Minister, Goldkettchenzuhälter, Vorstadtrevoluzzer und Charakterschweine - polternd, mit anarchischer Wut. Er war zugleich feinfühlig und zutiefst nachdenklich - ein Mann voller Widersprüche und enormer Energie. Hube war in vielen BR-Serien ("Monaco Franze", "Löwengrube", "Café Meineid") und Krimis (Tatort, Polizeiruf), zu sehen. Er spielte in Edgar Reitz' "Heimat"-Chroniken und war Petrus im Brandner Kaspar.

1975 entstand seine bekannte Kabarettfigur Herzkasperl. "Mein Kopf ist eine Bombe", hieß eine Ausstellung in der Monacensia über ihn. Dort wird sein Nachlass verwahrt. Die Münchner Schickeria hat Hube immer gemieden. Er starb 2009 mit 65 an Krebs. Auf seinem Grab im hinteren Teil des Friedhofs steht ein schmiedeeisernes Kreuz. Oft stecken Rosen darin.

Die Bildhauerin

Die Offizierstochter Ruth Schaumann (1899-1975) hatte gleich mehrere Hochbegabungen. Mit sechs Jahren war sie an Scharlach erkrankt und verlor ihr Gehör. Sie lernte Lippenlesen, wurde - gefördert von ihrer Familie - Lyrikerin, Schriftstellerin, Bildhauerin und Zeichnerin. Ab 1935 galt ihre Kunst als "entartet", publizieren durfte sie aber weiter. Auf dem Friedhof Neuhausen kann man zwei Werke der Bildhauerin bewundern.

Relief von Ruth Schaumann.
Relief von Ruth Schaumann. © Bernd Wackerbauer

Schaumann schuf das sogenannten Bettelbrünnlein mit einer Figurengruppe für den Priester, Freund und Schriftstellerkollegen Peter Dörfler, der ebenfalls auf dem Friedhof begraben ist. Ruth Schaumann schuf auch das Relief für das Grab, in dem sie und ihr Mann Friedrich Fuchs (1890-1948) bestattet sind. Er starb lange vor ihr. Fuchs war ein bekannter Redakteur, Journalist und Literaturkritiker. Die beiden hatten fünf Kinder.

Der königliche Erzgießer

Johann Baptist Stiglmaier (1791-1844) war ein bedeutender Erzgießer im 19. Jahrhundert. Er war außerdem Goldschmied, Bildhauer, Zeichner und Medailleur. Als 1. Inspekteur der Königlichen Erzgießerei belebte er die seit der Antike fast vergessene Kunst des monumentalen Erzgusses wieder.

Seit fast 178 Jahren liegt Stiglmaier hier begraben.
Seit fast 178 Jahren liegt Stiglmaier hier begraben. © Bernd Wackerbauer

Stiglmaier schuf die Obelisken am Karolinenplatz (Pläne: Leo von Klenze), die Bronzetore an der Glyptothek und der Walhalla sowie zwölf feuervergoldete Figuren der Wittelsbacher für die Residenz. Nach ihm ist der Stiglmaierplatz benannt.

Die Stummfilmdiva

Sie war der deutsche Stummfilmstar der 1920er Jahre, heute ist sie weitgehend vergessen: Die großgewachsene elegante Erna Morena (Ernestine Maria Fuchs) spielte in mehr als 100 Kinofilmen mit, unter anderem mit Fritz Albers. Über sich selbst sagte sie mal: "Ich kreierte die Mondäne und das Weibchen." Vor ihrer Karriere arbeitete sie als Rotkreuzschwester. 1915 bis 1921 war sie mit dem Schriftsteller Wilhelm Herzog verheiratet. Ab 1938 betrieb sie eine Künstlerpension.

In einem Grab: Erna Morena, ihre Mutter und ihre Tochter.
In einem Grab: Erna Morena, ihre Mutter und ihre Tochter. © Bernd Wackerbauer

Der "Gusseiserne"

Angeblich wollte er schon als Fünfjähriger Rennfahrer werden: Georg Meier aus Mühldorf am Inn. Mit 15 begann er eine Mechanikerlehre, danach ging er zur Polizei nach München. Bei Geländeübungen auf dem Motorrad wurde sein Talent entdeckt. Er wurde zu Rennen in einer Dreier-Polizeimannschaft verpflichtet. Ab da holte Meier einen Titel nach dem anderen: Zwischen 1938 und 1953 wurde er sechs Mal Deutscher Motorradmeister und 1938 Europameister in der Klasse 500 ccm.

Auch aus Eisen: Meiers Kreuz.
Auch aus Eisen: Meiers Kreuz. © Bernd Wackerbauer

1939 siegte er als erster Ausländer bei der "Tourist Trophy" auf der Isle of Man, 1949 wurde er Sportler des Jahres. Sein Spitzname: "Der Gusseiserne Schorsch". Später wurde er BMW-Händler. Auf seinem Sterbebildchen 1999 stand: "Ois gwunna!"

Der Chefdirigent

Insgesamt 17 Jahre war der Pianist und Dirigent Fritz Rieger (1910-1978) künstlerischer Leiter der Münchner Philharmoniker: von 1949 bis 1967. Sein Einstandskonzert gab er in einer provisorisch eingerichteten Uni-Aula. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte das Orchester noch keinen Konzertsaal.

Rieger hatte an der Prager Musikakademie studiert, war danach Operndirektor am Staatstheater in Bremen und Chefdirigent am Nationaltheater in Mannheim. Während seiner Zeit mit den Münchner Philharmonikern arbeitete Rieger bei Gastspielen an der Staatsoper und Konzerten in aller Welt unter anderem mit dem Geiger David Oistrach und dem Bariton Hermann Prey zusammen.

Der Möbelhaus-Enkel

Es gibt wohl kaum einen Münchner, der das Einrichtungshaus Böhmler im Tal nicht kennt. Gegründet wurde es 1875 von Johann Georg Böhmler. 1882 zog die Firma an seinen jetzigen Standort. Bei der Eröffnung schaute auch Prinzregent Luitpold von Bayern bei dem Königlichen Hoflieferanten im Tal vorbei. 1884 konnte Johann Georg Böhmler das Grundstück erwerben.

Seine Initialen J. G. stehen auch heute noch an der Fassade. Böhmler im Tal beschäftigt 200 Mitarbeiter und ist nach wie vor in Familienhand. Mittlerweile wird es in vierter und fünfter Generation gefürt. Auf dem kleinen kleinen Friedhof an der Winthirstraße ist ein Enkel des Gründers und dessen Frau begraben.

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Mehr Namen und Geschichten

Der München Verlag hat bereits sechs Bücher über Münchens Friedhöfe herausgegeben. "Die Münchner Friedhöfe" (20 €) ist das zweite, das die frühere Verlegerin Lioba Betten selbst geschrieben hat. Viele Fotos, Geschichtliches und biografische Notizen zu ca. 500 Verstorbenen laden ein zu Rundgängen. Die Autorin bietet auch Führungen an (à 9/10 €). Infos/Anmeldung unter: mvhs.de

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