Fraunhoferstraße in München: Radlstreifen, die spalten - Händler verzweifelt
Isarvorstadt - Nach 15 Jahren in der Fraunhoferstraße bleibt dem Dachdecker Andreas Becker (44) keine Wahl mehr. Er ist gerade dabei, nach Taufkirchen umzuziehen. "Als ich im Mai gehört habe, dass die Parkplätze an der Fraunhoferstraße wegkommen sollen, dachte ich zuerst, das sei ein Aprilscherz", sagt er der AZ. Denkt er jetzt, ein halbes Jahr später, an die Situation in seiner Straße, ist ihm alles andere als zum Lachen zumute.
Dann spricht er von einem "undurchdachten Schnellschuss der Rathauspolitik", bei dem die Anliegen der Handwerker und Händler "komplett vernachlässigt" wurden. "Die Nebenstraßen sind auch längst überlastet, es hat für mich als Handwerker einfach keinen Sinn mehr gemacht, weiterhin an der Fraunhoferstraße zu bleiben", sagt Becker, der mehrmals täglich schwere Materialien aus seinem Lager zu Kunden liefern muss.

Fraunhoferstraße in München - Einzelhändler kämpfen um Kunden
Das Problem kennt auch Marion Kilian (52) vom gleichnamigen Münchner Schlüsseldienst Kilian. Die Transporter, die ihre schwere Ware (der Schlüsseldienst bietet auch Türsysteme und Tresore an) anliefern, seien schlichtweg gezwungen, gegen die Straßenverkehrsordnung zu verstoßen, ärgert sie sich. "Ich warte nur darauf, bis sie uns sagen, dass sie uns nicht mehr beliefern", erzählt die Münchnerin, die mehrmals betont, nicht generell gegen Radwege zu sein.

Geschäftsleute an der Fraunhoferstraße in Sorge
Ein anderes – aber dennoch sehr ähnliches – Problem hat Ralf Fischer (57), seit vier Jahren Inhaber des Bekleidungsgeschäftes "Ralf’s Fine Garments". "Als Einzelhändler kämpfe ich um jeden Kunden", sagt er der AZ. Seit die Parkplätze im August gestrichen wurden, habe er 33 Prozent weniger Umsatz.

Denn neben Münchnern hat er viele überregionale Kunden, die etwa auf der Durchreise bei ihm zum Einkaufen vorbeifahren. "Immer wieder werde ich jetzt angerufen und höre, dass die Kunden zu mir kommen wollten, aber in der Nähe keinen Parkplatz gefunden haben", klagt er. Für den Einzelhändler ein herber Verlust. Denn ein Kunde kann ihm durchaus 1.500 bis 2.000 Euro einbringen.
"Fraunhoferstraße als Einladung, zu rasen"
Doch fernab vom Geschäftlichen beobachtet Ralf Fischer, der übrigens in seiner Freizeit Rennrad fährt, noch etwas anderes: "Seit die Parkplätze weg sind, sehen Trambahnen, Autos und Radler die Fraunhoferstraße als Einladung, zu rasen. Die Straße hat dadurch komplett ihr Flair verloren", sagt er.
Händler führt private Schallmessung durch - 106 Dezibel
Über rasende Autos und Trambahnen klagt auch Pierre Schmoock vom Gebrauchtwarenladen "Sams and Son". Er hat im Sommer, als es für ihn an heißen Tagen zu laut gewesen sei, die Ladentür zu öffnen, eine private Schallmessung durchgeführt, erzählt er der AZ. "Gemessen habe ich 106 Dezibel", sagt er. Zum Vergleich: Bei Konzerten gelten 100 Dezibel als Grenzwert!

Schmoock sagt jedoch auch: "Den Laden schließen werde ich trotz allem nicht – aber von mir aus könnte die Fraunhoferstraße zur 30er-Zone – oder lieber gleich zur Fußgängerzone – werden."
Mit Sorge beobachtet auch Mariele Liebl, die seit 25 Jahren den Antiquitätenladen "Palma Kunkel" betreibt, die Entwicklungen in ihrer Straße. Die Fraunhoferstraße sei durch die schneller fahrenden Autos, Trambahnen und Radl ungemütlicher geworden. "Kleine Läden werden langfristig nicht mehr überleben", lautet ihre Prognose. Dabei verlassen schon jetzt längst nicht nur kleinere Händler und Handwerker die Straße – oder spielen zumindest mit dem Gedanken, das zu tun. Auch im Drogeriemarkt Rossmann heißt es, dass die Filiale in der Fraunhoferstraße Ende März schließen wird. "Aus Umsatzgründen", erzählt man im Laden.
Debatte über Radstreifen - Anwohner melden sich zu Wort
Doch wo die einen klagen, freuen sich andere. Das gilt nicht nur fürs Rathaus, wo die CSUler, die vor dem "Modell Fraunhoferstraße" gewarnt haben, SPD und Grünen gegenüberstehen, die die Radwege auf Kosten von 120 Parkplätzen lobpreisen. OB Dieter Reiter (SPD) hat sich und seine Politik mit der Fraunhoferstraße geschmückt.

Diese Spaltung gilt auch für Anwohner. Denn hört man sich in den Sozialen Netzwerken um, gibt es neben Beschwerden auch viel Lob. "Genauso muss man es machen, Radfahren wird attraktiver und sicherer und Autofahren unattraktiver", schreibt Tassilo Eichler. Als "echten Gewinn" bezeichnet auch Jens Linstädt, der selbst oft mit dem Radl durch die Fraunhoferstraße fährt, die Radstreifen. Er schreibt: "Kein Vergleich mehr zu den katastrophalen Zuständen vorher."
Stadtrat: Paket mit 40 Maßnahmen zum Radentscheid
Mit Spannung blicken sicher alle – egal welcher Meinung – auf den 4. Dezember. Denn da wird im Stadtrat ein Paket mit 40 Maßnahmen zum Radentscheid besprochen. Auf viel Konkretes hoffen die einen, auf wenig Extremes die anderen.
Lesen Sie hier: Kritik am Ist-Zustand - Die "Katastrophe" Fraunhoferstraße
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