Findelkind Raquel: Die Nachbarn wollen helfen

Am Mittwochmorgen findet eine schwangere Frau die erst einen Tag alte Raquel in einer Hauseinfahrt. Die Polizei ermittelt, die Nachbarn in der Borstei wollen helfen.
Moosach – Ruhig wie eine Puppe liegt Raquel in ihrem Weidenkorb, eingewickelt in eine blaue Decke mit goldenen Sternen und Monden. Und für genau das, für eine Puppe, hält die Borstei-Bewohnerin das einen Tag alte Baby, das in ihrem Hauseingang abgestellt ist.
Gegen acht Uhr am Mittwochmorgen verlässt die Frau das Mehrfamilienhaus in der Franz-Marc-Straße, sie will nur schnell Semmeln holen ein paar Häuser weiter. Als sie zurückkommt, fällt ihr Blick wieder auf den geflochtenen Korb. Und Raquel bewegt sich.
Wenig später ist der Kindernotarzt da, die beschauliche Borstei ist mit Sankas und Polizei zugeparkt. „Die Polizistin, die den Einsatz geleitet hat, hat sich sehr nett um die Finderin gekümmert“, sagt Adi Flunker, Wirt vom „Happy Corner“ nebenan. „Man hat schon gemerkt, dass es ihr nicht gut geht.“ Die Frau, die das Baby im Hauseingang gefunden hat, ist selbst schwanger.
Nur ganz kurz kann der Korb im Hauseingang gestanden haben, Hausbewohner, die ein und aus gingen, haben ihn bis 7.45 Uhr nicht dort stehen sehen.
Auch Wolfgang Schiller lebt in dem Haus. Als er Frühstück holte, war das Kind noch nicht da. Als er wenig später ausgehen wollte, musste er warten – die Spurensicherung war am Werk. „Erst war nur ein Polizeiwagen hier, dann wurde das Polizeiaufgebot immer größer“, sagt er. Und: „Als ich gestern Abend nach Hause kam, stand die Tür offen. Normalerweise schließen wir sie, aber sicher hat sie jemand bei der Hitze zum Lüften offengelassen. Ich habe sie dann auch nicht geschlossen.“
So konnte die Mutter ihr Kind im Hauseingang deponieren, wie Moses in einem Weidenkorb. Putzmunter ist die Kleine. Nur eine leichte Unterkühlung stellen die Ärzte in der Kinderklinik Dritter Orden fest, wo Raquel jetzt betreut wird. Ihre Mutter hat das Mädchen wohl ohne fachkundigen Beistand zur Welt gebracht: Die Nabelschnur war nicht fachgerecht abgetrennt, sagt die Polizei. In der Borstei erzählt man, die Nabelschnur sei mit einer Wäscheklammer abgeklemmt gewesen.
„Bitte kümmern Sie sich gut um sie. Ich kann es nicht! Ein Tag alt und heißt Raquel“, steht auf einem Zettel, den die Frau auf den Korb mit ihrem Baby gelegt hat.
„Wir sind uns sicher, dass die Frau das Baby bewusst in der Borstei ausgesetzt hat“, sagt Monika Schübel, die Apothekerin in der Straße. „Hier ist es so sicher wie in einer Babyklappe, und jeder kümmert sich um jeden.“
Einige Anwohner wollen eine unbekannte Hochschwangere in der Gegend gesehen haben. In einem sind sich die Bewohner der Borstei einig: Die Frau war nicht von hier. „Das ist unvorstellbar“, sagen Nachbar Wolfgang Schiller und Wirt Adi Flunker.
Am Haus und vor ihrer Apotheke hat Monika Schübel Schilder aufgestellt, die der Mutter vertrauliche Hilfe anbieten: „Sie soll keine Angst haben, sich zu melden.“
Drei Monate bis zehn Jahre Haft kann es für eine solche Tat geben – aber weil die Mutter offensichtlich dafür gesorgt hat, dass ihr Kind gefunden wird statt es beispielsweise in eine Mülltonne zu stecken, ist eine solche Verurteilung unwahrscheinlich. In einem vergleichbaren Fall ist die Mutter freigesprochen worden.
„Vielleicht ist die Frau Ausländerin und weiß gar nicht, wie viele Hilfsangebote es in Deutschland gibt“, sagt Schübel. „Wir helfen gern weiter.“
Das Borstei-Baby beschäftigt die Nachbarn. „Wir denken darüber nach, ein Spendenkonto einzurichten, und wir wollen dem Kind Postkarten schreiben, die es später mal bekommt – damit es weiß, dass seine Geburt nicht nur schrecklich war und dass es immer in die Borstei kommen kann, wo es viele Ersatztanten und -omas hat.“
Raquel geht es gut. Die Polizei sucht jetzt nach ihrer Mutter: Hat jemand beobachtet, wer das Kind in dem abgebildeten Korb in den Hausflur gestellt haben könnte? Ist jemand eine Frau aufgefallen, die schwanger war – und es jetzt nicht mehr ist? Hat jemand sonst irgendwelche Beobachtungen gemacht, die in Zusammenhang mit dem Findelkind stehen könnten?
Hinweise erbittet die Polizei unter 29100.