Feierabend am Rotkreuzplatz

AZ-Leser Marco Salaris erzählt von einem Erlebnis mit Station im Jadgschlössl. Ein wenig hat er gewiss dazu gedichtet. Hier schreibt er.
Neuhausen - "Nächster Halt... Rotkreuzplatz“: Die U1 fährt ratternd in den Heimatbahnhof ein; wieder ein zermürbender Arbeitstag hinter mir, doch endlich Feierabend, und fast zu Hause.
Noch zwei Rolltreppen und Etagen hoch und schon höre ich die vertrauten Klänge des rumänischen Akkordeon-Spielers vorm Kaufhof. Ist er mal nicht zu hören, mache ich mir schon Sorgen ob er ausgewiesen wurde oder krankheitsbedingt verhindert ist. Heute scheint alles in Ordnung und selbst die Sonne ist noch gnädig. Tschibo ist nicht mehr, vorerst, und aus der Bohne ist Alex geworden.
Schnell noch ein paar Mark auf der Commerzbank holen und raus ins Leben.
Ich entscheide mich heut für das Feierabend-Bier im Jagdschlössl. Dort erstrahlt der Biergarten noch teilweise von der über dem Schwersternheim stehenden letzten Abendsonne. Nichts wie hin, sonst wird’s kühl, und das im Juni.
Irgendeine politische Gruppierung hat was zu verkünden aufm Platzl und schwenkt ihre Fahnen.
Sei‘s drum, mir heut und jetzt gleich, … ich verkünde die Bestellung:…“ein Helles …bittschee….“.
Mein Augustiner kommt, und schon bald auch die herrlich sedierende Wirkung. Die Sonne wärmt und der Verkehr wirkt beruhigend wie das Rauschen des Flusses. Nichts stört mich nun.
Auch nicht die immer wiederkehrende Stadtteil-Streunerin; immer gleich gekleidet, in verblichenen Beigetönen. Nun steht sie vorm Zaun und fixiert die Menschen im Biergarten.
Ich lasse das Bier wirken und den Jagdschlössl-Kosmos hinter mir. Endgültig heim jedoch will ich auch noch nicht. Das Ratschkathl, einst eine kurzzeitig interessante Wirtschaft der Jungwirtin Katharina, ist immer noch geschlossen. Schade. Was Katharina wohl so treibt? Also die „Frundsberg“ entlang, vorbei am Tea-House und noch schnell ein Glas’l Rotwein auf der Terrasse des Garibaldi. Gegenüber schließt die Statdteil-Bibliothek und mir fällt ein, dass ich den Schätzing noch zurückbringen muss.
Mahngebühren, bestimmt schon so teuer wie eine Taschenbuchausgabe. Na ja, die müssen auch leben.
Gut schmeckt er, der Morellino di Scansano, schön ist‘s hier, wie im Süden. Und da sehe ich sie wieder. Die Rotkreuzplatz-Streunerin mit der Immobilie von der Commerzbank. Steht da und wartet auf die Tram. Eilig hat sie es, und schöne Ledertasche hat sie da, seltsam. So eine,..? So eine hab ich auch. Nee, oder,? Das…? Das kann nicht sein... das IST meine. Mann. Kopfkino. Tasche. Oh Mann. Laptop. Hausschlüssel. Ehe ich den Morellino hinknalle, vorbei ist‘s mit lässigem Schwenken, fährt die Tram ein, ist sie drin und die Türen zu.
Weg. Da fährt sie die Tram. Mit meiner Ledertasche und meinem halben Leben drin. Gut, nur dem halben, aber immerhin. Und den Hausschlüsseln. Vor allem.
Egal. Die Sonne scheint ja noch. „ Scusi, noch ein Glas Morellino bitteschön“, hab ja noch die Bankkarte in der Brusttasche.
Werde heut die Commerzbank-Immobilie besichtigen.
Nach weiteren ein oder zwei Gläsern, genau weiß ich das nicht mehr so, des Ärgers wegen natürlich, wegen der Tasche freilich, und einem kurzen Abstecher an die Aral-Tankstelle am Grünwaldpark, auch Menschen müssen anscheinend tanken, lande ich schließlich, kurz vor meiner Wohnung , noch an der Gerner Brücke. Schön ist’s hier jetzt. Mild , nicht zu kühl und ruhig. Und das Wasser, fast wie im Urlaub. Canale Grande halt. Seltsam. Wo kommen nur die Flaschen Augustiner her. Sei’s drum, nicht den Kopf zu sehr darüber zerbrechen, sondern die Gelegenheit nutzen.
Noch so viel nette Menschen hier, und gesprächig alle, wunderbar.
Irgendwann, …gefühlt kurz nach Feierabend jedenfalls , schaffe ich dann doch noch endlich den beschwerlichen Endspurt, die Winthirstrasse entlang, zur Wohnung. Haustür ist offen, erspart mir das Schlüssel-Fummeln in der Tasche,… Tasche? War da nicht was, und Schlüssel ? Und überhaupt.
Rauf in 4.Stock und mühevoll die letzten Meter zur Wohnungstür.Hilfe suchend durchforste ich meine Jackentaschen, da fällt mein Blick auf eine Ledertasche vor meinen Füßen vor der Haustür. Meine Ledertasche! Mit meinem Laptop und vor allem meinen Hausschlüsseln. War i scho do-? Da fällt‘s mir wie Schuppen und so weiter,: das Tier vom Jagdschlössl. „Na wart nur, wenn i di erwische.“Morgen in der Bank wird abgerechnet, das zahl ich dir heim.“
Gute Nacht Neuhausen.