"Farce an der Isar"

AZ-Leser Stephan Thurm ist oft an der Isar unterwegs, gerade gibt es dort ein Kunstprojekt. Eine schöne Idee, finden viele Münchner. Stephan Turm ist anderer Meinung... 
von  Stephan Thurm
Der leergefegte "Isarboulevard" versperrt durch ein weißes Tuch.
Der leergefegte "Isarboulevard" versperrt durch ein weißes Tuch. © Stephan Thurm

AZ-Leser Stephan Thurm ist oft an der Isar unterwegs, gerade gibt es dort ein Kunstprojekt. Eine schöne Idee, finden viele Münchner. Stephan Turm ist da ein wenig anderer Meinung... 

Isarvorstadt - Die Urbanauten haben es durch geschickte Lobbyarbeit geschafft, den Abschnitt der Wittelsbacherstraße zwischen Reichenbachbrücke und Baldeplatz in einen "Isarboulevard" zu verwandeln.

Es sollte uns Münchnern endlich ermöglicht werden, ohne Angst vor bösen Autos Stress und konsumfrei die Natur entlang der Isar zu genießen.

Dazu wurde die Wittelsbacherstraße in diesem Abschnitt am Wochenende komplett gesperrt, damit man so richtig schön Platz zum Flanieren hat.

Warum der extrem breite Fußweg mitsamt nebenliegendem Radweg - die beide an normalen Wochenenden sehr gut frequentiert und angenommen sind - dazu nicht ausreichen sollen, ist eine Frage, die anscheinend nur Kulturbanausen in den Sinn kommen kann.

Der Radweg wurde komplett mit Absperrbändern verkehrsbereinigt, ebenso die Straße. Dass dies dem gemeinen Münchner Radfahrer herzlich egal ist, konnte sich ja niemand vorher denken.

Das hat zur Folge, dass die Radfahrer natürlich mit unverminderter Geschwindigkeit auf den Gehweg ausweichen, was das ansonsten entspannte Spazierengehen natürlich unmöglich macht, da man als Fußgänger ständig befürchten muss, umgefahren zu werden, und - wenn man nicht rechtzeitig ins Gebüsch auf die Seite springt - derb beschimpft wird.

Vor allem als Spaziergänger mit Hund wird man so vor neue Herausforderungen gestellt, will man Reifenabdrücke auf seinem Tier vermeiden. Nicht besonders hilfreich sind da die großen weißen Vorhänge, die mitten über den Boulevard gehängt sind.

Nur mit Verrenkungen kommt darunter hindurch, dass sie einem die Sicht auf die Natur nehmen, gehört wahrscheinlich zum Ansinnen der Künstler, jene erlebbar zu machen. Ob dahinter eine Aussage, wie etwa eine armselige Kopie der berühmten Christo-Gates aus dem Centralpark steht, erschließt sich dem gemeinen Passanten nicht.

Die Fußgänger, die ansonsten die Isar an dieser Stelle bevölkern, sind längst auf das andere Flußufer ausgewichen, wo sie noch ungestört und ohne Angst vor rasenden Radlern spazieren gehen können.

Das obligatorische "Play me, I’m yours" Piano, das zwischen den Vorhängen aufgestellt wurde, erfreut den kunstbeflissenen Passanten nicht nur mit der Zwölftonmusik der Kinder, die darauf herumhacken, sondern scheint auch als Sperrmüllplatz verstanden zu werden, hat sich doch schon ein ausrangierter Backofen dazugesellt. Wenn dies zum Kunstprojekt gehört, entschuldige ich mich für meine Ignoranz!

Wir haben also allen Anlass den "Künstlern" der Urbanauten für dieses großartige Projekt zu danken, das auch den positiven Nebeneffekt hat, dass die Reichenbachstraße aufgrund der abgeschnittenen Verkehrsanbindung am Samstag von der Isar kommend kaum mehr zu erreichen war, und der Umsatz, der sonst den bösen, gierigen kleinen Geschäftsinhabern zugeflossen wäre, nun dem Getränkestand der Urbanauten zugute kommt. Glückwunsch!

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