Einmal Tür in Moosach öffnen: 410,66 Euro!

Eine kranke Rentnerin sperrt sich nachts aus ihrer Moosacher Wohnung aus. Zuerst ist die 73-Jährige froh, als sie den Aufkleber eines 24-Stunden Schlüsseldienstes im Haus entdeckt. Doch die Firma nutzt ihre Not schamlos aus.
Moosach – Sie hatte eine Tablette genommen, weil sie in den Nächten zuvor kaum geschlafen hatte. Das ist das Letzte, an das sich Erna B. (Name geändert) erinnert, als sie wach wird. Sie steht im Nachthemd im Treppenhaus vor ihrer geschlossenen Wohnungstür. Es ist 2.30 Uhr – die 73-Jährige war schlafgewandelt. Erna B. leidet seit 15 Jahren an Parkinson (Schüttellähmung), die Krankheit bringt viele Einschränkungen mit sich, aber das war ihr noch nie passiert.
Im Nachthemd klingelt die Rentnerin ihren Nachbarn aus dem Bett
Im Haus ist es vollkommen ruhig. Erna B. klingelt aufgeregt bei ihrem Nachbarn. Was die Rentnerin anschließend erlebt, empört sie und ihren Sohn zutiefst. Ein Schlüsseldienst-Unternehmen nutzt die Notlage der kranken Münchnerin schamlos aus. Erna B. klingelt bei ihrem Nachbarn. „Von ihm aus habe ich meinen Sohn angerufen. Er ist sofort mit dem Zweitschlüssel gekommen“, erzählt sie der AZ. Das Problem: Die Moosacherin hatte ihren Schlüssel innen ins Schloss gesteckt, die Tür lässt sich von außen nicht öffnen. Auch mit einer Plastikkarte gelingt es nicht. Sie müssen einen Schlüsselnotdienst anrufen.
„Ich habe mich daran erinnert, dass an unserer Haustür eine Nummer klebt: „’Schlüsseldienst 24 Std 0170-7050960’, steht darauf“, berichtet Erna B. Sie zeigt den Aufkleber ihrem Sohn. „Ich ging davon aus, dass diese Nummer vom Hausmeister oder der Hausverwaltung legitimiert ist, da sie ja am Haus klebte“, sagt Franz B. – doch das ist ein Irrtum. Der 41-Jährige begleitet seine Mutter zu seinem Auto, damit sie darin warten kann.
„Es war eine Notsituation. Meine Mutter benötigt regelmäßig Medikamente. Ich wollte, dass schnell Hilfe kommt.“ Der Lehrer hatte sich auch schon einmal ausgesperrt, deshalb fragt er vorher, wie viel die Türöffnung kosten wird. Damit sein Nachbar mithören kann, stellt er das Telefon laut. „Der Mann sagte, es würde komplett maximal 150 bis 200 Euro kosten“, versichert Franz B. der AZ.
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Die böse Überraschung lässt nicht lange auf sich warten. Als der Schlüsseldienst-Mitarbeiter der Firma "Facility Service Souridas" in Moosach eintrifft, lässt er Franz B. zunächst einen Vertrag ausfüllen und unterschreiben. „Erst danach hat er die einzelnen Positionen eingetragen, darunter vier ‘Einheiten An- und Abfahrt’ zu je 39,90.“ Außerdem trägt der Mann eine Zusatzzeit (je 15 Minuten) für eine „zerstörungsfreie Öffnung“ à 95 Euro und eine Betriebs-, Fahrzeugkostenpauschale von 43 Euro ein. Insgesamt soll die Türöffnung nun plötzlich 410,66 Euro kosten – mehr als das Doppelte!
Franz B. fällt aus allen Wolken und beruft sich auf das Telefonat. Doch der Schlüsseldienst-Mitarbeiter besteht auf diese Summe und fordert Bares. „Es war eine ausweglose Situation. Er hat mich reingelegt. Aber ich wollte auch nicht erst einen anderen Schlüsseldienst anrufen. Ich konnte meine Mutter nicht so lange warten lassen.“
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Schlecht gelaunt fährt der Lehrer zum nächsten EC-Automaten, während der Notdienst die Tür öffnet. „Das hat eine Minute gedauert“, sagt Erna B. Der Schlüsseldienst-Mann steckt das Geld ein und fährt wieder. Als Arbeitszeit hat er zwölf Minuten eingetragen. „Ich bin eigentlich ein friedlicher Mensch. Aber da ist mir die Galle hochgekommen. Vor solchen Unternehmen muss man andere warnen“, sagt Erna B. Ein paar Tage später geht sie sogar zur Polizei, um Anzeige zu erstatten. „Doch die haben mir gesagt, da könne man nichts machen.“
Die Werbung der Firma klebt in vielen Münchner Häusern an Briefkästen und Türen
Die Münchnerin ärgert sich im Nachhinein, dass sie nicht auf den Aushang der Hausverwaltung im Treppenhaus geschaut hatte, denn dort sind Telefonnummern von Unternehmen aufgelistet, die die Verwaltung üblicherweise als seriös einstuft. Die nur wenige Zentimeter großen, durchsichtigen Aufkleber mit der Nummer 0170-7050960 kleben an vielen Eingangstüren und Briefkästen in München. Und nicht nur dort: Auf der Internet-Seite www.tellows.de wird diese Nummer als aggressive Werbung eingestuft. Ein Nutzer schreibt:. „Ein junger Mann mit roter Schirmmütze verschafft sich Zutritt zu Miethäusern in München. Anschließend reißt er die Telefonnummer des von der Hausverwaltung vorgeschlagenen Schlüsseldienstes aus den Aushängen und überklebt die Stelle mit einem Aufkleber mit obiger Telefonnummer. Unter keinen Umständen dort anrufen, höchst unseriös!!“
Ein anderer empörter Nutzer schreibt: „Immer wieder unerlaubte Aufkleber von diesem 'Anbieter'. Eigene Hinweise mit 'Stop Werbung' werden ignoriert oder entfernt. Für mich fast kriminell.“ Auch aus Hamburg oder Neu-Isenburg kommen Beschwerden.
Bei der Verbraucherzentrale Bayern, die 2014 unseriöse Schlüsseldienste ins Visier genommen und 10 Unternehmen exemplarisch abgemahnt hat, war die Firma bislang nicht bekannt. Auf der Rechnung von "Facility Service Souridas" wird Frankfurt am Main als Firmensitz angegeben, anstelle einer Steuernummer steht lediglich „Beantragt“ auf der Rechnung.
Auf AZ-Anfragen per Mail sowie telefonisch reagierte die Firma "Souridas" nicht. Juliane von Behren von der Verbraucherzentrale: „Die Sache mit der 4-fachen An- und Abfahrt ist absolut unseriös.“ Eine Chance für Erna B. das Geld – oder einen Teil davon – wiederzubekommen, sieht die Juristin nicht.