Ein Nest für die Psyche

Zwei „Clubhäuser“ helfen psychisch Kranken in München bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft und kämpfen gegen Stigmatisierung. Die AZ hat eine der Einrichtungen besucht
Ludwigsvorstadt - Es gibt Tage, an denen kann Alexandra (38) kaum aufstehen. Nächte, in denen sie nicht schlafen kann, weil ihr zu viele Gedanken durch den Kopf kreisen und Medikamente sie wachhalten. Dann gibt es Tage, an denen fühlt sie sich gut, stark, bis plötzlich ein Schwächeanfall ihre Hände zittrig macht und ihr schwindelig wird.
Alexandra ist depressiv und leidet zudem an einer sogenannten Borderline-Persönlichkeitsstörung, die sich bei ihr durch plötzliche Stimmungsschwankungen, ein geringes Selbstwertgefühl und starke Unsicherheit ausdrückt. Wenn Alexandra nicht weiter weiß, ritzt sie sich am linken Unterarm, er ist davon bereits ganz vernarbt.
So oft sie kann, kommt Alexandra deshalb ins „Clubhaus Schwalbennest“ in der Landwehrstraße, eines von zwei besonderen Betreuungszentren in München.
Hier und im Schwesternhaus in der Giesinger Kühbachstraße können Menschen mit psychischen Erkrankungen Hilfe finden, die über eine psychologische Betreuung hinausgeht: „Tagesstruktur“, nennt Alexandra es, „einen Grund, morgens aufzustehen.“
Die gelernte Malerin und Lackiererin musste ihren Job vor vielen Jahren wegen einer Knieverletzung aufgeben, wurde dann Metzgereifachverkäuferin, bis ihre Depressionen sie in die Arbeitsunfähigkeit führten. Seitdem hangelt die Münchnerin sich von einem Tag zum nächsten.
Die Mitarbeiterinnen des Clubhauses spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie geben Alexandra Halt und das Gefühl, gebraucht zu werden. „Uns geht es darum, den Menschen zu zeigen, was sie können“, erklärt Melanie Lindner, Leiterin des Clubhauses Giesing.
Deshalb können die rund 150 Mitglieder, davon 80 im "Schwalbennest", in allen Bereichen der Clubhäuser mitarbeiten, etwa in der Küche oder der Verwaltung. Sie sind mitverantwortlich für Entscheidungen und werden bei allen Beschlüssen mit einbezogen.
Alexandra meint: „Hier halten alle immer fest zusammen.“
Den Zusammenhalt und die Gemeinschaft des Clubhauses genießt auch Sonja (30). Seit einem Monat kommt die gelernte Köchin jeden Tag ins Clubhaus.
Hier findet sie die Geborgenheit, die sie weder im koreanischen Waisenhaus noch bei ihrer deutschen Adoptivfamilie erfahren durfte. „Im Clubhaus haben an meinem Geburtstag alle für mich gesungen und mich umarmt“, erzählt die unter Depressionen leidende Frau und ihre Augen leuchten. „Das habe ich zuvor noch nie erlebt. Es war so schön.“
Eine psychische Erkrankung verstärke die Isolation in der Gesellschaft oft noch, erklärt Vera Hahn, Leiterin des „Schwalbennests“, obwohl genau das Gegenteil den Patienten helfen würde, mit ihrer Krankheit fertig zu werden: „Stigmatisierung ist ein großes Problem, vielleicht das größte überhaupt.“
Am Donnerstag demonstrierten die Münchner Clubhäuser mit einem Aktionstag unter dem Motto „Etikettiert Dosen statt Menschen“ gegen diesen gesellschaftlichen Missstand.
Viele Plakate für die Aktion hat Alexandra professionell gesprayt. „Schließlich war das jahrelang mein Job, das kann ich gut.“ Sie lächelt stolz und Vera Hahn lacht zufrieden. Für sie und ihre Kolleginnen sind solche Momente ein Erfolg.
Am Montag bietet das Clubhaus "Schwalbennest" einen Tag der offenen Tür an, der sich ausdrücklich an alle Interessierten richtet, auch an Nachbarn, Passanten und Angehörige. Neben Kaffee und Kuchen wird zu jeder vollen Stunde eine Führung angeboten.
Wann? Montag, 14. Oktober, 15-18 Uhr.
Wo? Landwehrstraße 22, Eingang in der Hofeinfahrt.
Wie viel? Die Teilnahme ist frei.