Ein Jahrhundert in zwei Wohnungen
Anni K. hatte vor wenigen Tagen Geburtstag. Hier erzählt die gebürtige Münchnerin aus ihrem bemerkenswerten Jahrhundert-Leben.
Bogenhausen - Die Wohnung ist blitzblank aufgeräumt, das Bett gemacht. Anni K. schafft ihren Haushalt noch selbst. Sie kocht, bügelt ihre Blusen und schaut, dass sie möglichst jeden Nachmittag ihre „Runde dreht”. Nur wenn es regnet, dann mag sie nicht nach draußen. „In der einen Hand den Schirm, in der anderen den Stock, das ist mir zu viel.”
Anni K. wurde vor Kurzem 100 Jahre alt. Nur etwa 280 Menschen in München sind so alt oder älter. Viele leben im Heim. Die zierliche alte Dame mit dem weißen Bubikopf versorgt sich mit Hilfe von Freundinnen und Nachbarinnen weitgehend allein.
Bis vor Kurzem stieg Anni K. täglich vom vierten Stock die Treppen hinunter und wieder hoch, um sich ihre Zeitungen zu holen. Die 100-Jährige liest gleich mehrere Tageszeitungen, darunter die AZ. „Man muss wissen, was in der Welt passiert”, sagt die gebürtige Münchnerin.
Sie diskutiert gern. So engagiert, dass es ihrer Freundin Margit manchmal fast zu viel wird. Dabei ist die erst 75. „Wenn ich in München was zu sagen hätte, würde ich als Erstes für erschwingliche Mieten sorgen”, sagt Anni K.
Sie selbst hat nur in zwei Wohnungen gewohnt. Davon 61 Jahre in Haidhausen in der Wolfgangstraße 2, wo sie auf die Welt kam. Erst nach dem Tod der Eltern, der Vater war Brauer bei Augustiner, zog sie aus.
Bei einem Spaziergang durch Bogenhausen entdeckte sie das Haus, in dem sie nun seit 39 Jahren wohnt. „Hier möchte ich nie mehr weg. Hier will ich nur noch hinaus getragen werden”, sagt die 100-Jährige.
Irgendwann weigerte sie sich einfach, mehr Miete zu zahlen. Die äußerst sparsame Frau hätte sich nichts mehr leisten können. Da hatte ihr Vermieter ein Einsehen. Sie durfte trotzdem bleiben. „Durchsetzungsfähig ist sie schon, die Anni”, sagt Freundin Margit.
„Ich war immer in Bewegung. Und ich hab’ viel gearbeitet, deshalb bin ich so alt geworden”, ist Anni K. überzeugt. Schon mit 6 Jahren war sie im Turnverein, mit 14 stand sie zum ersten Mal auf Skiern. „Ich hab’s vom Zuschauen gelernt. Wir hatten ja kein Geld.”
Anni K. machte eine kaufmännische Ausbildung, arbeitete als Sekretärin, Buchhalterin und in einem Verlag. Dann arbeitete sie viele Jahre im Sportgeschäft Oberrottl in der Sendlinger Straße. Jeden Freitag ging’s mit den Freunden nach der Arbeit vom Holzkirchner Bahnhof nach Lenggries und zu Fuß auf die Hütte.
Als Rentnerin ging’s auf große Reise: Kanada, USA, Moskau und Ungarn.
Ihre große Leidenschaft blieb der Sport. Bis vor Kurzem ging Anni K. noch jede Woche in die Gymnastikgruppe vom Seniorentreffpunkt Bogenhausen. „Mit 96 hab’ ich aufgehört. Ich bin nimmer in die Höhe gekommen”, erzählt die 100-Jährige.
Das Zeitunglesen ist ihr geblieben, ihr Humor sowieso und auch die Freude an der Musik. Wenn bei Arte eine Oper ausgestrahlt wird, setzt sich Anni K. in ihrer bequemsten Hose vor den Fernseher und dann sagt sie sich: „Heute hab’ ich wieder meinen Smoking an und sitz' in der ersten Reihe.”
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